Franz Müntefering war in der Ära Gerhard Schröder Parteichef und Vizekanzler. "Wir haben gute Politik mit den Grünen gemacht. Die waren damals ja noch Pfadfinder in manchen Bereichen", sagte Franz Müntefering. Dass es Deutschland jetzt so gute gehe, liege auch daran, "weil wir damals vorgelegt haben."
Dass vor allem Menschen aus unteren Schichten nicht mehr an die SPD glauben würden, hält Müntefering für falsch. Gleichwohl habe sich die Parteienlandschaft extrem verändert.
"Die Demokratie verteidigen"
Die klassische Industriearbeiterschaft gebe es heute nicht mehr. Das bekämen auch die sozialdemokratische Parteien in anderen europäischen Ländern zu spüren. "Wir müssen die Ökologie mit dazu nehmen und die Demokratie verteidigen", so Müntefering über die aktuellen Herausforderungen der SPD.
Bedenklich stimmt Müntefering, dass das Thema Sicherheit alle anderen Werte wie Gerechtigkeit und Freiheit überlagere. Das würde es der SPD nicht leichter machen.
Mit Blick auf die Zukunft und den SPD-Vorsitz zeigt sich Müntefering zuversichtlich, dass noch mehr Vorschläge für den SPD-Vorsitz kommen werden. Er könne sich zudem eine Doppelspitze aus Mann und Frau für die SPD vorstellen.
Das Interview in voller Länge.
Philipp May: Es war der 08.08.1869 in Eisenach, als August Bebel, Wilhelm Liebknecht* und einige andere Sozialdemokraten der ersten Stunde die Sozialdemokratische Arbeiterpartei SDAP gründeten, die wenige Jahre später dann zusammen mit dem noch ein paar Jahre älteren Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein fusionierte und dann zur SPD wurde. Über 150 Jahre Sozialdemokratie, in der die Partei unter anderem die Nazizeit trotz Verbot überstand und die Weimarer Republik und vor allem aber natürlich Nachkriegsdeutschland entscheidend mitgestaltete, und einer der Gestalter der jüngeren Vergangenheit ist jetzt am Telefon. Er war Vizekanzler und gleich zweimal SPD-Vorsitzender, für ihn das schönste Amt nach dem Papst, wie wir wissen. Schönen guten Morgen, Franz Müntefering!
Franz Müntefering: Guten Morgen, Herr May, grüße Sie!
May: Sie sind Sauerländer und Sie sind katholisch – da ging man doch eigentlich Ende der 60er zur CDU. Wieso also die SPD?
Müntefering: Na ja, das hat was mit der Geschichte der SPD zu tun. Ich komme aus der katholischen Ecke, das ist klar, meine Eltern haben Zentrum gewählt und dann CDU gewählt, und dann in meiner Jugend habe ich mich viel um Politik gekümmert, habe gelesen, habe mir angeguckt, wie die deutsche Geschichte war, und mein Weg zur SPD, der ist nicht über Karl Marx gelaufen, sondern über die Erkenntnisse, dass das die waren, die damals seit 100 Jahren die Demokratie hochgehalten haben, die in Deutschland gegen den Nationalsozialismus gekämpft haben. Ich bin mit Stolz Sozialdemokrat geworden und bin es auch gerne geblieben.
Fahne der Demokratie von Anfang an hochgehalten
May: Und dafür stand damals die SPD – und die Union eben nicht.
Müntefering: Wenn man sich die Geschichte mal anguckt aus der Zeit der Weimarer Republik und danach, es gab auch natürlich Konservative, die man mögen konnte, aber die Partei, die durchgehalten hat und die Fahne der Demokratie hochgehalten hat von Anfang an, das waren die Sozialdemokraten. Wir haben 1863, '69, '78 in Gothaer dann vereinigt das freie und gleiche Wahlrecht gefordert, als andere das noch nicht wollten. Männer und Frauen dürfen wählen, das hat dann 50 Jahre gedauert bis 1919. Wir haben immer einen langen Atem gehabt, wir haben nie aufgegeben, und wir haben dann, als 1918 das Kaiserreich zu Ende ging, nicht Anarchie gemacht und nicht Kommunismus, was einige wollten, sondern parlamentarische Demokratie. Parlamentarische Demokratie, das wollten sie, und in diesem Kreuzchen, was man da machen kann, da steckt auch das Anerkennen, die Anerkennung, dass jeder einzelne in der Demokratie gleich viel wert ist. Das ist die alte sozialdemokratische Idee, und die hat mich auch irgendwann erwischt, und so bin ich dazu gekommen.
May: Und dann sind Sie in die aktive Politik gegangen, 1975 dann in der sozialliberalen
Ära, unter Kanzler Helmut Schmidt kamen Sie in den Bundestag. Wieso die aktive Politik für Sie?
Ära, unter Kanzler Helmut Schmidt kamen Sie in den Bundestag. Wieso die aktive Politik für Sie?
Müntefering: Ich habe so zwischen 15 und 25 sehr viel gelesen, in der Zeit hat sich auch meine politische Orientierung da verändert. Klar, das hat mich gekümmert, aber ich habe dann so mit 25 gemerkt, es gibt da so ein schönes Arbeiterlied, "Die Gedanken sind frei", das ist richtig, aber das reicht nicht. Es reicht nicht, dass man es besser weiß, sondern man muss es besser machen. Ich bin sozusagen aus der Position des Besserwissers, der sich um alles immer gekümmert hat und immer alles beurteilt hat, auf den Platz gegangen und habe mitgespielt und versucht, erst in der Kommunalpolitik, dann auf anderen Ebenen meinen Beitrag zu leisten. Das bleibt auch heute richtig: man muss handeln, das ist der entscheidende Punkt, wenn es gut werden soll.
May: Sie haben die Ära Schmidt hautnah miterlebt im Bundestag. Am Ende der Ära 1982 hatte die FDP dann zur Union rübergemacht, und mit den Grünen gab es eine neue Partei, Fleisch vom Fleische der SPD, kann man sagen, später dann ja auch das gleiche mit der WASG, nach der Regierungszeit Schröders. Ist das tatsächlich eines der Grundprobleme der Sozialdemokraten: immer irgendwie zerrissen zwischen den Idealisten und den Pragmatikern?
Müntefering: Diese beiden Begriffe, die sind ein bisschen schwankend. Ich glaube, jeder von uns hat ein bisschen an Pragmatismus nötig, aber auch Vorstellungen, Ideale, Grundwerte. Der Idealismus wird ja so ein bisschen immer als etwas … eine Form, von der man sich ein bisschen fernhalten muss. Ich glaube aber, dass in der Politik Grundwerte, Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, dazugehören und natürlich die Demokratie als Staatsform, aber auch als Lebensform. Das waren schon, seit es uns gibt, die grundlegenden Dinge, an denen wir uns orientieren. Dass wir auch Fehler gemacht haben, dass menschliche Schwächen dazukamen, dass man sich irrt, dass man nachbessern muss, alles richtig, aber die Linie stimmte, und sie stimmt, und das ist auch nach 1982 und dann nach 2000, '99 mit Gerhard Schröder als Kanzler so gewesen.
'Einigkeit macht stark' auf den Wimpeln der Sozialdemokraten
May: Aber hadert man als Sozialdemokrat immer etwas mehr mit Anspruch und Wirklichkeit als zum Beispiel im bürgerlichen Spektrum?
Müntefering: Ich will das Bürgerliche da nicht beurteilen, das ist nicht meine Sache hier, aber dass man immer wieder skeptisch sich auch fragt, sind wir auf dem richtigen Weg, das ist schon klar, denn es gibt verschiedene Wege, um nach Rom zu kommen, wie man so sagt, und das gilt auch für die Frage, wie man zu seinen politischen Zielen kommt. Da kann der Streit über den Weg schon was Nötiges sein und auch was sein, was uns weiterbringt. Da muss man keine Angst vor haben. Man muss nur eines immer sehen, auf den ersten Wimpeln der Sozialdemokraten, als sie sie gründeten, stand immer 'Einigkeit macht stark'. Letztlich muss man Kompromisse finden und untereinander dann handlungsfähig sein und darf sich nicht in kleinen Gruppen verlieren. So ein bisschen Sektierertum steckt in den Köpfen und in den Herzen auch immer drin, das ist leider wahr.
May: Okay. Damals standen Sie noch in der zweiten Reihe, dann aber – Sie haben es schon angesprochen – war es ganz anders beim SPD-Comeback, nach langer Oppositionszeit im Bund, 1998 dann Rot-Grün. Sie waren in der Ära Schröder zuerst Verkehrsminister, dann Generalsekretär, Fraktionsvorsitzender und vor allem am Ende Parteichef. Ketzerisch würde ich jetzt sagen, von da an ging es bergab.
Müntefering: Ich glaube nicht, dass man das in solcher Weise personalisieren kann, aber es war schon eine gute Zeit. Ich bin auch stolz auf die Zeit, in der wir da regiert haben, und wir haben gute Politik gemacht mit den Grünen zusammen, die da sehr hilfreich waren. Das waren damals Pfadfinder in bestimmten Lebensbereichen, wo die uns auch nach vorne gebracht haben, aber das ist eine Zeit gewesen, in der wir vieles Gutes gemacht haben für das Land. Leider ist uns die Neigung auch immer so da, dass man ein bisschen vorsichtig ist, sich selbst zu loben, aber da bin ich von anderer Art. Ich sage, wer soll uns denn loben, wenn nicht wir selbst. Wir müssen uns mal selbst auf die Schulter klopfen und sagen, wir haben nicht alles immer richtig gemacht, aber vieles, und es geht dem Land auch deshalb relativ gut, weil wir damals in der Zeit mit den Grünen vorgelegt haben.
Agenda 2010 - "Das war ein großer Wurf"
May: Und dennoch gilt für viele Sozialdemokraten diese Zeit als Zeit der Agenda 2010, für die Sie stehen, die Sie verteidigen bis heute. Sie haben als Arbeitsminister dann im Kabinett Merkel die Rente mit 67 eingeführt. Das sind ja tatsächlich Themen, mit der die SPD mit heute nie ihren Frieden gemacht hat. Warum?
Müntefering: Das liegt an der SPD und an den Gewerkschaften auch, muss man mal sagen an der Stelle, denn als wir regierten '98, '99 beginnend, haben wir gemerkt, die Schubladen sind leer, die Arbeitslosigkeit ist hoch, es wusste keiner Bescheid, wie man sie bekämpfen sollte, und wir haben Initiativen ergriffen und haben das mit der Agenda 2010 … Das war ein großer Wurf, das war viel Geld für die Schaffung von Arbeitsplätzen. Das war viel Geld, das ging an erneuerbare Energien, das war viel Geld, das ging in Kindergärten und Schulen und all die Dinge, die wichtig waren wie Gerechtigkeit auch für die Menschen erreichen zu können. Also da haben wir viele gute Dinge gemacht. Wir haben uns auch gekümmert um die Grundsicherung der langzeitarbeitslosen Menschen, und da haben wir die Zahl der Langzeitarbeitslosen mehr als halbiert. Das ist auch eine Leistung aus dieser Zeit.
May: Jetzt würden Linke wahrscheinlich sagen, und das alles führte dann dazu, dass es jetzt einen großen Billiglohnsektor zum Beispiel gibt, den es vorher nicht gegeben hat.
Müntefering: Das ist so eine Erfahrung, die man macht, wenn man in der Politik ist. Man hat Vorstellungen davon, wie es geht, und dann merkt man, dass plötzlich andere Leute da sind, die, während man noch das Gesetz macht, schon die Umgehungstatbestände suchen. Der Mindestlohn war ein großes Problem in der ganzen Zeit. Ich hätte ihn damals schon gerne gehabt, aber da, muss man ehrlicherweise sagen, waren auch unsere großen Gewerkschaften ((Unterbrechung)) und die IGBCE ganz vorsichtig. Die haben gesagt, das ist nicht Sache des Staates, das ist Sache der freien Verhandlung, und das ist auch so, und deshalb ist Mindestlohn auch nur ein Ausnahmezustand, den man da haben kann. Ansonsten muss zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern der Lohn ausgehandelt werden. Das gilt übrigens auch heute für die Pflegeversicherung, wo viel zu wenig Menschen organisiert sind und sich deshalb auch die Arbeitnehmerschaft in dem Bereich so schlecht wehren konnte gegen zu niedrige Löhne. Also der Mindestlohn war dann – den haben wir ja dann später geschaffen – gut und richtig, aber er war damals noch nicht durchsetzbar.
May: Und dennoch galt am Ende die berühmte Liedzeile "und schuld daran ist nur die SPD". Warum glauben gerade die Arbeiter und Angestellten, die sogenannten kleinen Leute, nicht mehr, dass die SPD ihre Interessen vertritt?
Müntefering: Ich glaube, das ist ein bisschen komplizierter, was wir jetzt ansprechen.
Viele Änderungen für die Demokratie
May: Wir haben ein bisschen Zeit.
Müntefering: Es ist ganz sicher so, dass sich viele Dinge verändert haben für die Demokratie und für die Parteien insgesamt, dass neben den klassischen Fragen zu Industriearbeit auch viele anderen Dinge gekommen sind, die Mobilität, ...
May: Herr Müntefering, die Verbindung war bis gerade eben fantastisch, die Handyverbindung, jetzt leidet sie gerade ein bisschen. Können Sie vielleicht das Telefon noch mal anders halten und dann einfach noch mal probieren? Wäre schade, wenn wir das jetzt abbrechen müssten das Gespräch.
Müntefering: Ich lege auf, und Sie rufen mich wieder an?
May: Nein, jetzt gerade geht es wieder. Machen Sie einfach weiter. Gerade hat man Sie kurzzeitig nicht gehört. Jetzt hören wir Sie wieder. Machen wir einfach weiter.
Müntefering: Gut, okay. Es verändern sich die Bedingungen der Demokratie sehr stark. Das betrifft natürlich besonders die originären Industriearbeiter-Parteien, das trifft ja nicht nur uns, sondern auch die sozialdemokratischen Parteien in anderen europäischen Ländern. Die Arbeitswelt hat sich völlig verändert, und das, was da drinsteckte in dieser Arbeitnehmerschaft, die sich organisiert, auch gewerkschaftlich dann Gott sei Dank organisierte, das ist heute bunter, das ist anders, und das ist auch etwas, was die Sozialdemokratie erreicht. Dass die uns nicht mehr glauben, das wiederum glaube ich nicht. Ich glaube, dass wir da durchaus noch Chancen haben, auch bei den jungen Leuten sie wieder zu erreichen. Wir müssen die Ökologie ganz sicher mit dazunehmen, und wir müssen vor allen Dingen die Demokratie heute auch wieder verteidigen. Das muss man leider wieder sagen.
May: Haben Sie Angst um die SPD, dass die möglicherweise – Sie haben gerade Europa schon angesprochen –, dass die Sozialdemokraten in Deutschland das gleiche Schicksal erleiden wie zum Beispiel die Sozialisten, Ihre Schwesterpartei in Frankreich, und komplett in der Versenkung verschwinden?
Müntefering: Nein, die Angst habe ich nicht, aber ich bin auch kein Optimist. Ich bin zuversichtlich, dass wir genug Inhalte haben, mit denen wir die Menschen auch erreichen können, aber es ist schon eine große Anstrengung, in der wir stecken, denn die Bedingungen verändern sich. Die Parteien waren Bildungsvereine, so sind wir damals auch entstanden, Arbeiterbildungsvereine. Die Hälfte dort war 1869 analphabetisch, und die gingen zu den Parteien, um zu lernen, wie das mit der Politik eigentlich funktioniert. Das haben wir hingekriegt, das haben wir auch geleistet und mit den Gewerkschaften zusammen geleistet.
Diese Funktion, die ist heute nicht mehr so da, weil sich die Medien verändert haben und weil die Informationsströme ganz anders laufen, und wir müssen mit der Zeit gehen und dafür sorgen, dass wir die Menschen erreichen mit unseren Botschaften. Den Menschen muss man sagen, Leute, ihr müsst euch zusammensetzen, und ihr müsst Kompromisse schließen. Wenn immer nur die einzelnen eine Meinung haben und glauben, sie können sie durchsetzen, irren sie sich sehr. Demokratie besteht aus Kompromissfinden, und diese Kompromissfindung, die muss eine Methode haben, und da muss sich jeder einmischen können, und es muss auch weiterentwickelt werden können. Das heißt, man darf beim Kompromiss nicht stehenbleiben, aber man darf sich nicht immer wieder gegenseitig die Kompromisse zerschlagen. Das heißt im Augenblick Mut haben zum Regieren, Mut haben, die Dinge anzugehen, die jetzt in Deutschland zu tun sind.
"Das Herz ist links, das ist doch klar"
May: Also von einem Linksschwenk halten Sie nichts.
Müntefering: Ich halte dieses ganze Links-rechts für ein ziemlich albernes .... Also was ist links, was ist rechts. Das Herz ist links, das ist doch klar, da bin ich sehr dafür, dass das in Ordnung ist, aber ansonsten … Das ist die Sitzordnung im Parlament, mehr ist das nicht. Die Extreme links und rechts, die treffen sich hinter dem Vorhang wieder und die ganzen Kameraden zusammen, die weniger hilfreich sind.
May: Aber zwischen der Sitzordnung, da steht ja auch ein politisches Programm, und mehr links heißt ja mehr Sozialstaat, mehr Umverteilung zum Beispiel. Viele favorisieren ja auch das Modell Dänemark: mehr Umverteilung, aber gleichzeitig mehr Härte im Rechtsstaat. Wäre das ein zukünftiger Weg für die SPD?
Müntefering: Das ist mit pauschalen Worten schwer zu sagen. Eines ist nur ganz wichtig, und da ist eine große Gefahr, das deutet sich auch an in den Worten, die Sie sagen: Die Sicherheit ist dabei, die anderen Grundwerte zu dominieren. Das war schon in den letzten Jahren so, dass bei uns Sicherheit das Dominierende wurde und dass dahinter die Gerechtigkeit ein Stück zurücktrat, auch die Freiheit. Die Gefahr, die wir heute in der Welt haben, das ist noch nicht in Deutschland so, aber man merkt das an einigen Stellen in den neuen Parteien, die da sind, sie legen nicht mehr so großen Wert auf Demokratie und auf die Freiheit des einzelnen, sondern sie versuchen, den Wohlstand zu mehren und zu bessern und den Menschen einzureden, gleichzeitig kann das mit der Demokratie und mit den Menschenrechten aber auch ein bisschen reduziert werden. Das kann Sozialdemokraten nicht mitmachen.
Um Klartext zu sprechen: Wir müssen die Mitverantwortung für das übernehmen im Rahmen unserer Möglichkeiten, was in der Welt zu tun ist, und das heißt auch, Menschen zu helfen und auch denen zu helfen, die heute flüchten müssen oder die unter Bomben leiden oder unter Not leiden. Man muss bei uns im Lande denen helfen, aber in der Welt insgesamt auch, immer wissend, man kann nicht allen helfen, aber di Tatsache, dass man nicht allen helfen kann, darf keine Entschuldigung dafür werden, dass wir möglichst wenigen einzelnen helfen, sondern man muss denen, denen man helfen kann, auch bereit sein zu helfen. Das ist sozialdemokratischer Glaubenssatz, und ich glaube, davon dürfen wir nicht abgehen. Das wird sich auch durchsetzen.
May: Okay, jetzt braucht es aber auch einen neuen Kopf, der die Richtung vorgibt, aber die Sozialdemokraten aus der ersten Reihe, die ducken sich alle weg. Herr Müntefering, ist SPD-Vorsitzender doch nicht mehr das schönste Amt nach dem Papst?
Müntefering: Ich bin sicher, wir sind da mitten in der Findungsphase drin. Bis zum 1. September können Meldungen kommen, danach gibt es dann die Vorstellung, und dann kann immer auch noch der eine oder andere melden und sagen, ich möchte gerne. Ich bin sicher, wir kriegen noch ein paar Vorschläge. Es wird dann eine interessante Diskussion werden über die Zeit, die wir vor uns haben, wobei man immer sagen muss, Vorstellungen sind wichtig, aber es gehört dazu eine große Gruppe von Menschen, die mit ihnen zusammenarbeitet und die sie unterstützt dabei, denn das ist nicht, das Programm, dem einzelne vorsitzen, sondern das ist immer das Programm der Partei insgesamt, und es ist vor allen Dingen immer ein Programm, das in die Zeit passt. Willy Brandts Wort, ihr müsst auf der Höhe der Zeit sein, denn gute Politik heißt ja, die Dinge verändern sich.
"Nur die Internationalität kann die Probleme lösen"
May: Und da hat die SPD Probleme?
Müntefering: Bitte?
May: Auf der Zeit zu sein, auf Höhe der Zeit zu sein?
Müntefering: Ja, das ist auch nicht immer so ganz leicht. Ich habe das ja gesagt, bei veränderter Arbeitswelt, bei der Mobilität, die wir da haben, bei Wanderungen im Lande. Das ist nicht so leicht wie das mal schien. Da haben sich Dinge verändert. Man muss mit der Zeit gehen, und zu der Zeit gehört aber auch, dass nur die Internationalität – und das war damals 1869 eine der ganz großen Ideen, die da mitschwangen dabei –, nur die Internationalität kann die Probleme lösen. Das ist nicht nur bei der Umwelt so, sondern das ist auch bei der Demokratie so. Letztlich wird die Welt nur gelingen können, der Planet Erde nur gelingen können, wenn wir uns bewusst sind, dass man das nicht innerhalb von nationalen Grenzen und gar städtischen Grenzen lösen kann, sondern dass wir Teil dieser Erde sind. Da ist Europa ein Riesenfortschritt, und den müssen wir weitermachen. Das müssen wir weiterhin tun.
May: Eine Frage habe ich noch, ganz kurz, wenn ich jetzt hier auf die Zeit gucke. Ist eine Doppelspitze, Mann und Frau, ist das mit der Zeit gehen?
Müntefering: Ja, das ist eine gute Sache. Doppelspitze hat es schon bei den Sozialdemokraten früh gegeben vor 100 Jahren....
May: Warum nicht bei Ihnen? Sie und Andrea Nahles, das wäre doch was gewesen 2005, dann wäre auch noch Platz für Kajo Wasserhövel gewesen als Generalsekretär.
Müntefering: Da waren wir noch nicht soweit, muss ich sagen, ja. Man lernt immer dazu.
May: Vielleicht wäre dann der SPD viele erspart geblieben. Mehrere Vorsitzende haben Sie danach verschlissen.
Müntefering: Na, das sind immer so Spekulationen, was wäre wenn. Da will ich mich nicht so lange mit aufhalten. Ich will nach vorne gucken. Ich bin sicher, dass wir eine gute Spitze bekommen und dass die Partei mitmacht dabei. Wir müssen vor allen Dingen den sozialdemokratischen Stolz und die Gewissheit, dass wir auf dem richtigen Wege sind, im Blick behalten, und wir dürfen nicht allzu kleinlich sein im Umgang miteinander, aber wir müssen uns doch gegenseitig stützen und helfen und dafür sorgen, dass die, die dann gewählt sind, aber auch den Rückenwind der ganzen Partei haben.
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*) Name korrigiert