Archiv

Franz Schuh: "Lachen und Sterben"
Tod in Wien

Nicht nur, aber vor allem in Wien ist Franz Schuh berühmt. Seiner geschliffenen Texte wegen gilt er in seiner Heimatstadt als Inbegriff hintergründiger Intellektualität. In "Lachen und Sterben" setzt sich der schwerkranke Schriftsteller – auch – mit den letzten Dingen auseinander.

Von Günter Kaindlstorfer |
Franz Schuh bei einer Lesung 2016 und sein Buch "Lachen und Sterben"
Franz Schuh bei einer Lesung 2016 und sein Buch "Lachen und Sterben" (Foto: IMAGO/Rudolf Gigler, Cover: Hanser Verlag)
Der Tod, das muss ein Wiener sein: ein abgenutzter Kalauer, dem man eine gewisse Triftigkeit allerdings nicht absprechen kann. Franz Schuh zum Beispiel, ein Wiener durch und durch, zeigt in seinen Texten seit jeher ein obsessives Interesse an den Bezirken des Thanatos, die er als pointensicherer Essayist ebenso geistreich wie witzig zu erkunden weiß.

Sterbekundliche Interessen

In seinem Buch "Lachen und Sterben" finden die sterbekundlichen Interessen des Schriftstellers nun besonders beredten Ausdruck, was nicht weiter überrascht, denn Franz Schuh hat schon seit längerem mit gesundheitlichen Beschwernissen der ernsteren Observanz zu kämpfen, wie er bereits auf den ersten Seiten seines Buchs bekennt. Der Schriftsteller berichtet da von einer länger andauernden "Hospitalisierung" und einer "über Nacht gekommenen Erkrankung", die ihm seit etwa einem Jahr zu schaffen macht:
"Wer krank ist, hat etwas zu erzählen, ich diese Anekdote: Nachdem ich ins Spital eingeliefert worden war, ersuchte meine Freundin Dorit den an mir diensthabenden Arzt um eine Auskunft, wie es denn um mich stünde. Zufällig kannte mich der Arzt aus dem sogenannten normalen Leben. Der Freundin teilte er mit, dass mein Tod wahrscheinlich wäre, und er fügte hinzu: ‚Er hat sich ja immer für den Tod interessiert.‘ Ja, das stimmt, und auch der Tod hat sich für mich interessiert."

Luhmann und die NDR-Talkshow

Franz Schuhs Gescheitheit und seine guillotinemesserscharfe Intelligenz sind legendär zwischen "Café Central" und dem "Café Hegelhof" in der Wiener Johannesgasse, wo der praktizierende Kaffeehausliterat jahrzehntelang seinen Mokka zu nehmen pflegte. Inzwischen ist Schuh krankheitsbedingt schon länger nicht mehr ins Kaffeehaus gekommen, an seinen schriftstellerischen Qualitäten hat die Bettlägerigkeit des Autors allerdings nichts geändert.
Der Mann, das zeigt die Lektüre seines Buchs, ist immer noch ein Stilist von ehrfurchtgebietender Originalität, ein Pointenvirtuose und wandelnder Zettelkasten, der sich in den Gedankengebäuden Luhmanns und Hegels ebenso souverän zu bewegen weiß wie in den Romanwelten Musils und den Untiefen der deutschen Fernseh-Unterhaltung.
Drei Dutzend Essays zu den unterschiedlichsten Themen versammelt "Lachen und Sterben", und wie es sich für die Gattung gehört, sind es einzig und allein die Interessen, Stimmungen und Gemütslagen des Essayisten, die eine Art inhaltliche Klammer bilden. Franz Schuh philosophiert über das Laster der Eitelkeit und die Ingredienzen des Wiener Schmähs, über die Hinfälligkeit des menschlichen Körpers und die Vergänglichkeit alles Irdischen, über den Begriff der "Einsamkeitsfähigkeit" bei Odo Marquard und die Dramaturgie der "NDR-Talkshow".

Literatur mit Hape Kerkeling

Daneben streut er Reminiszenzen an seine Zeit als Grundwehrdiener in der Rainerkaserne in Salzburg-Elsbethen ein und verneigt sich vor Harald Schmidt, dem er das rare Talent attestiert, den Zeitgeist zugleich zu affirmieren und lächerlich zu machen. In anderen Texten liefert Schuh wiederum brillante Porträts von Georg Ringsgwandl und Hape Kerkeling ab; er philosophiert aber auch über die Kunst der Polemik, die er bei Elias Canetti ebenso könnerhaft ausgeübt findet wie bei Anton Kuh. Ein Klasse für sich ist auf diesem Terrain natürlich Karl Kraus:
"Für mich (und weiß Gott für viele nicht) ist Karl Kraus der größte Österreicher, weil er eines gezeigt hat, dass man nämlich, ob nun im Habsburgerreich oder in der Republik, ‚die Wahrheit‘ im emphatischen Sinn über alles, was Österreich betrifft, nur polemisch sagen kann. Die Tradition der Polemik, die im zwanzigsten und im 21. Jahrhundert mit den Namen Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek verbunden ist, erkläre ich mir daraus, dass in einem Klima der Wahrheitsunfreundlichkeit der Versuch, den verbreiteten Lügen nicht nachzugeben, nur polemisch, also kriegerisch ausfallen kann."

Ironisierungen von gnadenloser Eleganz

Franz Schuh ist kein Polemiker, er ist Ironiker. Und wo in seinen höchstpersönlichen Maximen und Reflexionen das Tragische oder auch nur das Traurige um die Ecke biegt, wird es mit gnadenloser Eleganz ironisiert. Dabei ist Schuh auch in diesem Band, was er immer war: ein scharfsichtiger Beobachter der politischen Ereignisse. Über die message-control-verseuchte Massenkommunikation unserer Tage, die er etwa am Wiener Ballhausplatz am Werk sieht, schreibt er:
"Die am Horizont erscheinende illiberale Demokratie hat in der beinahe liberalen Demokratie ein würdiges Vorbild: Sprachfetzen wurden von sogenannten Spindoktoren prominenten Sprechern ins Maul geschoben, sodass sie immer nur geknebelt sprachen, was nicht so schlimm war, weil sie eh nur eine Botschaft hatten: Kauft mich, der andere ist nichts wert!"
Franz Schuhs Blick auf die Welt ist unsentimental, gescheit, witzig, humanistisch, selbstironisch und in einem Ausmaß form- und sprachbewusst, das man nur als imponierend bezeichnen kann. In souveräner Stilbrillanz tänzelt, schwebt, gleitet der Philosophenschriftsteller von einem Gedanken, einer Reflexion zur anderen. Und so ist "Lachen und Sterben" vielleicht auch so etwas wie ein Triumph der filigranen Formulierungskunst und des freien schriftstellerischen Assoziierens über die skandalöse Hinfälligkeit des menschlichen Körpers.
Franz Schuh: "Lachen und Sterben"
Zsolnay Verlag, Wien. 336 Seiten, 26 Euro.