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Französische Kammermusik
Nervös und selig

Das Wiener Klaviertrio hat aufs Schönste zwei französische Klaviertrios eingespielt. Ein Werk von Ernest Chausson und eines von Maurice Ravel. Das unbekanntere Trio von Chausson kann mit dem bekannten Werk von Ravel absolut mithalten. Eine sehr gelungene Aufnahme, meint unser Kritiker.

Am Mikrofon: Klaus Gehrke |
    Der Geiger David McCarroll, der Cellist Clemens Hagen und der Pianist Stefan Mendl vom Wiener Klaviertrio stehen an eine weiße Wand gelehnt.
    Seit drei Jahrzehnten zählt das Wiener Klaviertrio zu den führenden Ensembles seiner Gattung (Dabringhaus und Grimm Audiovision GmbH)
    Die Programmkombination mit bekanntem Klassiker und wenig gespieltem Außenseiter ist seit Langem nicht nur im Konzertbetrieb sehr beliebt; auch auf dem CD-Markt begegnet man ihr immer wieder in den unterschiedlichsten Bereichen. Und meist zeigt diese Zusammenstellung, dass die unbekannteren Werke den Klassikern durchaus das Wasser reichen können – wenn sie nicht, durch welche Umstände auch immer, in Vergessenheit geraten wären. Für die beim Label Musikproduktion Dabringhaus und Grimm erschienene jüngste CD des Wiener Klaviertrios haben die Musiker die Trios von Maurice Ravel und Ernest Chausson ausgewählt – eine gute Wahl, wie ich finde.
    Musik: Ernest Chausson, 1. Satz aus Trio g-Moll für Violine, Violoncello und Klavier op. 3
    Eine Terrasse im Sonnenschein mit gepflegten sommerlichen Blumenrabatten und zwei elegant gekleidete Paare sind zu sehen. Sie genießen sowohl die Sonne als auch den Blick auf das Meer hinter der Terrasse. Auf dem Wasser sind bis zum Horizont Segel- und Dampfschiffe zu sehen: Das Bookletbild der CD, ein Gemälde aus der Zeit um 1900, strahlt fast biedermeierliche Gemütlichkeit aus. Doch davon ist in den beiden vom Wiener Klaviertrio eingespielten Werken von Ravel und Chausson nichts zu spüren. Vielmehr tragen beide eine gewisse nervöse Grundstimmung in sich, die auf ihre Weise die damaligen Zeitumstände widerspiegeln.
    Musik: Ernest Chausson, 1. Satz aus Trio g-Moll für Violine, Violoncello und Klavier op. 3
    1881 komponierte Ernest Chausson sein Trio op. 3 für Klavier, Violine und Violoncello. Da war die Welt in Frankreich nur scheinbar in Ordnung: Der verlorene Krieg gegen Preußen zehn Jahre zuvor schmerzte immer noch und hatte innenpolitische Konsequenzen nach sich gezogen. Die französischen Intellektuellen begegneten dem deutschen Einfluss in Kunst und Musik mit einer Suche nach eigenen nationalen Ausdrucksmöglichkeiten. Auch der junge Chausson orientierte sich vorzugsweise an seinen Lehrern Jules Massenet und César Franck; dennoch war es die Musik Richard Wagners bei einem Besuch in München 1879, die den Studenten bewog, sich für den Beruf des Komponisten zu entscheiden. Auch die Wahl der Gattung Klaviertrio für sein erstes großes Werk ist nicht gerade typisch für Frankreich, wo vor allem die Oper als Prüfstein für Komponistenkarrieren galt.
    Große Sensibilität und Klangsinnlichkeit
    Chausson verarbeitete in seinem Trio deutsche und französische Einflüsse gleichermaßen und schuf ein Werk voll packender Leidenschaft und Dramatik. Das zeigt bereits der erste Satz, aus dem das Wiener Klaviertrio gerade einen Ausschnitt spielte. Die Musiker arbeiten sowohl dessen pathetisch düstere Passagen als auch die zart lyrischen Abschnitte mit großer Sensibilität und Klangsinnlichkeit heraus. Ganz anders als der Beginn kommt der zweite Satz daher, der auch der bekannteste des Werkes ist: Hier zaubert Chausson eine eher leicht beschwingte Atmosphäre. Hin und wieder blitzen elfenhaft huschende Elemente im Stil von Felix Mendelssohn auf.
    Musik: Ernest Chausson, 2. Satz aus Trio g-Moll für Violine, Violoncello und Klavier op. 3
    Im dritten Satz, einem düster melancholischen Adagio, arbeiten der Geiger David McCarroll und der Cellist Clemens Hagen vom Wiener Klaviertrio die großen elegischen Bögen nuanciert und mit tiefer Sinnlichkeit heraus; der Pianist Stefan Mendl begleitet die manchmal wie selbstvergessen wirkenden dahin strömenden Kantilenen von Violine und Violoncello sehr zart und zurückgenommen.
    Unbekümmerte Walzerseligkeit
    Das Finale von Chaussons Trio konfrontiert die Ausführenden mit zwei Welten, die kaum konträrer sein könnten: Es beginnt mit einem schwungvoll leichtem Walzer, der nach verschiedenen dramatischen Aufladungen einem Höhepunkt zutreibt, plötzlich abbricht und einer leidenschaftlichen klagenden Schlusspassage weicht. Hier zieht das Wiener Klaviertrio noch einmal sämtliche interpretatorischen Register und spannt einen immensen Bogen von der unbekümmerten Walzerseligkeit bis hin zur dunklen Vorahnung des Fin de siécle.
    Musik: Ernest Chausson, 3. Satz aus Trio g-Moll für Violine, Violoncello und Klavier op. 3
    Ein Ausschnitt aus dem Finale des Trios op. 3 von Ernest Chausson mit dem Wiener Klaviertrio. Es gehört seit 30 Jahren zu den führenden Ensembles dieser Kammermusikgattung und hat unter anderem sämtliche Trios von Franz Schubert, Johannes Brahms, Heinrich von Herzogenberg oder Antonín Dvořák eingespielt. Die Mitwirkenden, die seit 2006 im Wiener Konzerthaus eine eigene Kammermusikreihe bestreiten, interessieren sich neben Klassik und Romantik auch für die zeitgenössische Moderne und haben gemeinsam mit den Komponisten Friedrich Cerha, György Kurtág oder Jörg Widmann deren Werke erarbeitet. Von Beginn an dabei ist Pianist Stefan Mendl; der kalifornische Geiger David McCarroll kam 2015, der österreichische Cellist Clemens Hagen im letzten Jahr dazu.
    Mit Verve und zupackender Energie
    Die vorliegende Aufnahme, die erste des Trios in der jetzigen Besetzung, ist so homogen und aufeinander abgestimmt, als hätten die drei Musiker schon immer zusammen gearbeitet. Das zeigt sich nicht nur in Chaussons leider nicht allzu häufig aufgeführtem Klaviertrio, sondern auch in dem ungleich bekannteren von Maurice Ravel. Ravel komponierte sein ebenfalls viersätziges Trio zwischen Anfang April und Ende August 1914 in St. Jean de Luz am Golf von Biskaya. Die zunehmend verunsicherte und ahnungsvolle Stimmung in Europa wenige Monate vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges, die auch Ravel sicherlich gespürt hat, scheint sich im dritten Satz des Werkes widerzuspiegeln: einer schwermütig düsteren Passacaglia mit einem ruhig melancholischen Thema. Ob dieser Satz noch vor dem Kriegsbeginn am 1. August oder danach entstand, ist nicht bekannt.
    Musik: 3. Satz aus Maurice Ravels Trio a-Moll für Violine, Violoncello und Klavier
    Als Ravels Trio am 28. Januar 1915 in Paris uraufgeführt wurde, dauerte der Erste Weltkrieg bereits fünf Monate und der als untauglich ausgemusterte Komponist hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um doch noch seinen Militärdienst an der Front leisten zu können. Die Kritiker staunten nicht schlecht angesichts des flirrend schwebenden Klangcharakters etwa im zweiten Satz oder der vielen polyrhythmischen Schichtungen. Insbesondere im Finale wählte Ravel mit Fünf-Viertel oder Sieben-Achtel durchaus ungewöhnliche Taktarten. Dazu kommen gerade hier viele technisch höchst anspruchsvolle Passagen für die Ausführenden. Das Wiener Klaviertrio meistert sie mit Verve und zupackender Energie. Eine sehr gelungene Einspielung.
    Musik: 4. Satz aus Maurice Ravels Trio a-Moll für Violine, Violoncello und Klavier
    Das war ein Ausschnitt aus dem Finale des Trios in a-Moll von Maurice Ravel mit dem Wiener Klaviertrio. Dessen Einspielung mit Trios von Chausson und Ravel ist beim Label Musikproduktion Dabringhaus und Grimm erschienen. Das Manuskript dieser Sendung finden Sie im Internet unter deutschlandfunk.de. Dort können Sie die "Neue Platte" auch hören sowie in der dlf-Audiothek-App auf Ihrem Mobiltelefon. Am Mikrofon war Klaus Gehrke.
    Wiener Klaviertrio
    Ernest Chausson: Trio g-Moll für Violine, Violoncello und Klavier op. 3
    Maurice Ravel: Trio a-Moll für Violine, Violoncello und Klavier
    MDG 760623213064