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Französische Klassik im Industriedenkmal

Als eine "Montagehalle für die Kunst" hat der grüne NRW-Kulturminister Michael Vesper die ehemalige Krupp-Gaskraftzentrale gewertet. Für rund 25,6 Mio. Euro wurde sie zum zentralen Festspielhaus der Ruhr Triennale umgebaut; gut 11 Mio. zusätzlich kostete die Innentechnik, die aus der Jahrhunderthalle in Bochum eines der modernsten Theater Europas gemacht hat. Das ebenso monströse wie grazile Bauwerk - im Leerzustand verbanden sich in ihr Potenz und Ende des Industriezeitalters - hat gigantische Ausmaße. Die fast 9000 Quadratmeter wurden für die variable Nutzung dreier Bühnenbereiche technisch aus- und aufgerüstet, das ist gut für die Akustik und gegen kalte Füße, gibt aber auch dem Wort "Häppchenkultur" eine ganz neue Bedeutung. Das backsteinerne Industriedenkmal wurde am Eröffnungsabend nur im ersten Drittel bespielt. - Ein lichter Vorbau aus Stahl und Glas, das Foyer, nimmt das Konstruktionsprinzip der Halle wieder auf und verströmt karge Eleganz bis ins Untergeschoss: dort herrscht gediegene Parkhausatmosphäre, großzügig selbstredend und frauenfreundlich.

Karin Fischer berichtet |
    Und dann also Patrice Chéreaus Phädra. Ein riesiges steinernes Portal mit den Insignien der Herrschaft bestückt, erratisch und bröckelnd zugleich, schließt den Theaterraum auf der einen Seite ab. Am Übergang vom Fels zum Stahl der Jahrhunderthalle verschwindet der Stahl im Fels. (Die Schauspieler haben lange Wege zurückzulegen zwischen den sich gegenüber liegenden Tribünen für zwei mal Dreihundert Gäste.) In solchem "Dazwischen" spielt sich auch das gesamte Drama ab. Jahrhunderte werden hier überbrückt, so leicht und klar wie lange nicht mehr, mythische Charaktere ins Heute geholt, so zerbrechlich und dunkel wie Phädras schulterfreies samtenes Kleid.

    Phädra, seelenkrank und todessehnsüchtig, weil sie ihren Stiefsohn Hippolitos liebt, wird von ihrer Amme gedrängt, sich ihm zu offenbaren. Der liebt aber Arikia, die Feindin, die an Theseus' Hof gefangen gehalten wird. Phädra bekennt sich dem Stiefsohn, er weist sie zurück, die Tragödie nimmt ihren Lauf. Denn der tot geglaubte Theseus, Phädras Mann und Hippolitos' Vater, kehrt zurück, glaubt sich von seinem Sohn verraten, den Phädra verleumdet, und verflucht ihn. Die Amme geht ins Wasser, Hippolitos trifft die Rache Neptuns, der den Fluch des Vaters erfüllt, Phädra nimmt Gift. Ein schauriges Ende voll Schuld und Vernichtung. "Wie euch eure eigenen Wünsche zerstören", sagt die Amme ganz zu Beginn zu Phädra und trifft damit den Kern der Tragödie. Alle wirken gehetzt in diesem Drama, häufig sprechen sie sich in den Rücken, getrieben von dem Kampf, den die Vernunft gegen die Leidenschaft zu führen hat, aussichtslos, wie es scheint. Verbotene Liebe, Eifersucht, Rachegelüste, Demütigung, tödliche Schuld und Verachtung sind die Zutaten dieser Götter-Soap aus dem 17. Jahrhundert. (Ein Klassiker in Frankreich, der lange als ebenso unübersetzbar wie angestaubt galt.) Racine hat, weil er die Leidenschaft verurteilt, seine "Phädra" für das Vernünftigste gehalten, was er auf die Bühne gebracht hat. Bei Chéreau ist ihr Liebeswahn wie herauspräpariert offenbar, in den halbgeschlossenen Lidern und beweglichen Augenbrauen der wunderbaren Dominique Blanc. Ein Schwert und ein paar Stühle sind die karge Ausstattung in einem Drama, das nicht von Bewegung, sondern von Worten voran getrieben wird, die Chéreau glücklicher Weise meist pathosfrei zu inneren Ausdrücken von großer Spannbreite verdichtet hat. (Etwa wenn die gedemütigte Gefangene Arikia momenthaft als ungezügelte Jägerin agiert. Oder sich auf ihrem Stuhl zusammenkrümmt, während Hippolytos klagt: "Warum seid ihr von Eis?") - Als es mitten im Drama auch noch anfängt zu regnen, unterstreichen die akustischen Schauer die der Worte. Zum Teil fröstelnd - die 20 Meter hohe Halle produziert an manchen Stellen offenbar ungünstige Fallwinde - wurden die Besucher daran erinnert, wo sie sich befanden. Für diesmal war die Sicht auf die lichte Glasdachkonstruktion nämlich durch graue akustische Segel abgedeckt, für diesmal musste die Spannung, wie am ersten Pariser Spielort übrigens auch, aus dem Gegensatz erwachsen. Dass Industriedenkmäler auch ein kunstvolles Eigenleben haben, macht Festivalleiter Gerard Mortier zum Ausgangs- und größten Pluspunkt seiner Ruhr Triennale. Gestern war das eher unfreiwillig zu spüren.

    Die Feuer in den Hochöfen sind geschrumpft zu einer Allee von Kerzenschalen, die dem Besucher den Weg vom Gelände weist. So schön ist die Ruhr Triennale.

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