Phädra, seelenkrank und todessehnsüchtig, weil sie ihren Stiefsohn Hippolitos liebt, wird von ihrer Amme gedrängt, sich ihm zu offenbaren. Der liebt aber Arikia, die Feindin, die an Theseus' Hof gefangen gehalten wird. Phädra bekennt sich dem Stiefsohn, er weist sie zurück, die Tragödie nimmt ihren Lauf. Denn der tot geglaubte Theseus, Phädras Mann und Hippolitos' Vater, kehrt zurück, glaubt sich von seinem Sohn verraten, den Phädra verleumdet, und verflucht ihn. Die Amme geht ins Wasser, Hippolitos trifft die Rache Neptuns, der den Fluch des Vaters erfüllt, Phädra nimmt Gift. Ein schauriges Ende voll Schuld und Vernichtung. "Wie euch eure eigenen Wünsche zerstören", sagt die Amme ganz zu Beginn zu Phädra und trifft damit den Kern der Tragödie. Alle wirken gehetzt in diesem Drama, häufig sprechen sie sich in den Rücken, getrieben von dem Kampf, den die Vernunft gegen die Leidenschaft zu führen hat, aussichtslos, wie es scheint. Verbotene Liebe, Eifersucht, Rachegelüste, Demütigung, tödliche Schuld und Verachtung sind die Zutaten dieser Götter-Soap aus dem 17. Jahrhundert. (Ein Klassiker in Frankreich, der lange als ebenso unübersetzbar wie angestaubt galt.) Racine hat, weil er die Leidenschaft verurteilt, seine "Phädra" für das Vernünftigste gehalten, was er auf die Bühne gebracht hat. Bei Chéreau ist ihr Liebeswahn wie herauspräpariert offenbar, in den halbgeschlossenen Lidern und beweglichen Augenbrauen der wunderbaren Dominique Blanc. Ein Schwert und ein paar Stühle sind die karge Ausstattung in einem Drama, das nicht von Bewegung, sondern von Worten voran getrieben wird, die Chéreau glücklicher Weise meist pathosfrei zu inneren Ausdrücken von großer Spannbreite verdichtet hat. (Etwa wenn die gedemütigte Gefangene Arikia momenthaft als ungezügelte Jägerin agiert. Oder sich auf ihrem Stuhl zusammenkrümmt, während Hippolytos klagt: "Warum seid ihr von Eis?") - Als es mitten im Drama auch noch anfängt zu regnen, unterstreichen die akustischen Schauer die der Worte. Zum Teil fröstelnd - die 20 Meter hohe Halle produziert an manchen Stellen offenbar ungünstige Fallwinde - wurden die Besucher daran erinnert, wo sie sich befanden. Für diesmal war die Sicht auf die lichte Glasdachkonstruktion nämlich durch graue akustische Segel abgedeckt, für diesmal musste die Spannung, wie am ersten Pariser Spielort übrigens auch, aus dem Gegensatz erwachsen. Dass Industriedenkmäler auch ein kunstvolles Eigenleben haben, macht Festivalleiter Gerard Mortier zum Ausgangs- und größten Pluspunkt seiner Ruhr Triennale. Gestern war das eher unfreiwillig zu spüren.
Die Feuer in den Hochöfen sind geschrumpft zu einer Allee von Kerzenschalen, die dem Besucher den Weg vom Gelände weist. So schön ist die Ruhr Triennale.
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