Christoph Heinemann: Am kommenden Sonntag werden Francois Hollande und Angela Merkel an das historische Treffen von Staatspräsident De Gaulle und Bundeskanzler Adenauer in Reims erinnern. Was können Frau Merkel und Herr Hollande von ihren Vorgängern lernen?
Bernard Cazeneuve: Zunächst sollte man das Visionäre dieser Tat von Bundeskanzler Adenauer und General de Gaulle vor 50 Jahren sehen, nur wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Es ging darum, die Grundlagen für die deutsch-französische Aussöhnung zu schaffen und eine Perspektive für die künftigen deutsch-französischen Beziehungen zu entwickeln, mit dem Ziel, dass diese Beziehungen zum Motor für Europa werden. In den zurückliegenden 50 Jahren hat der deutsch-französische Motor seine Rolle gespielt, indem er Europa strukturiert und seine Einheit gestärkt hat - durch die persönlichen Beziehungen zwischen Bundeskanzler Adenauer und General De Gaulle, zwischen Helmut Schmidt und Valéry Giscard d`Estaing zwischen Präsident Mitterrand und Helmut Kohl. Im Dienst der Völker, des Friedens und der Entwicklung des gesamten Kontinents.
Christoph Heinemann: Es gibt aber einen Unterschied zu den gegenwärtig Handelnden. Wieso stimmt die Chemie zwischen Francois Hollande und Angela Merkel nicht?
Bernard Cazeneuve: Die Chemie zwischen Präsident Hollande und Kanzlerin Angela Merkel stimmt bestens. Die persönliche Beziehung zwischen beiden ist hervorragend und von gegenseitigem Respekt geprägt. Ihre Offenheit führt zu guten Kompromissen, die für Europa von Nutzen sind. Gegensätzlichkeiten, die sich möglicherweise daraus ergeben, dass der Staatschef und der Regierungschef aus unterschiedlichen politischen Lagern stammen, haben beim deutsch-französischen Motor trotzdem stets seine Rolle spielen lassen.
Christoph Heinemann: Man hat gegenwärtig schon den Eindruck, dass sich da eine Madame Sparpolitik und ein Monsieur Ausgabenpolitik gegenüberstehen...
Bernard Cazeneuve: Nein, es gibt keine Madame Sparpolitik und keinen Monsieur Ausgabenpolitik, denn Francois Hollande ist selbst ein Mann, der sehr sorgfältig auf die Ausgaben schaut. Wir haben in Frankreich eine ausgesprochen schlechte Lage der öffentlichen Finanzen vorgefunden. Die Vorgängerregierung hat 2011 ein Defizit von über 5,2 Prozent hinterlassen, das wir in diesem Jahr auf 4,4 im kommenden auf drei Prozent zurückfahren, um 2017 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Wir wünschen uns Sparanstrengungen, Haushaltsdisziplin, aber auch Wachstum. Und für Wachstum bedarf es der europäischen Initiativen, auf die wir uns gemeinsam beim europäischen Gipfel der vergangenen Woche verständigt haben.
Christoph Heinemann: Sie haben gerade den Begriff Sparpolitik "rigueur" verwendet. Wieso hat Premierminister Ayrault in seiner Regierungserklärung in dieser Woche die Worte "rigueur" oder "austerité", also "harte Sparpolitik", nicht ausgesprochen?
Bernard Cazeneuve: "Austerité" und "rigueur" ist nicht dasselbe. Austerité bedeutet Sparpolitik ohne Wachstumsperspektive. "Rigueur" heißt sorgfältige und disziplinierte Führung der öffentlichen Finanzen, aber mit Perspektive. Dadurch kann die Arbeitslosigkeit verringert, das Wachstum angekurbelt und das Land industriepolitisch vorwärtsgebracht werden. Also: Sparen ohne Wachstum bedeutete Austeritätspolitik. Wir wollen sparen und Wachstum.
Christoph Heinemann: Informationen am Morgen im DLF, ein Gespräch mit dem französischen Europaminister Bernard Cazeneuve. Der Staatspräsident hat angekündigt, dass diejenigen, die besonders lange eingezahlt haben, künftig im Alter von 60 Jahren in Rente gehen können. Außerdem sollen 65.000 Beamte eingestellt werden. Wie können die Ausgaben verringert und diese Wahlkampfversprechen gehalten werden?
Bernard Cazeneuve: Sie vereinfachen die Dinge etwas. Sie haben nur die Hälfte dessen benannt, was wir uns vorgenommen haben. Der Präsident hat in der Tat die Schaffung von 60.000 Lehrerstellen in den nächsten fünf Jahren angekündigt. Aber dadurch soll sich der Gesamtbestand der öffentlich Bediensteten nicht erhöhen. Das heißt: In anderen Teilen der Verwaltung werden diese Stellen auf intelligente Art eingespart. Bei der Rente geht es um Gerechtigkeit. Es ist doch normal, dass diejenigen, die früh und unter schwierigen Bedingungen zu arbeiten begonnen haben, früher in Rente gehen können. Unsere politischen Gegner werfen uns vor, dass dies mehrere Milliarden Euro kosten würde. Wir haben seit unserer Regierungsübernahme zusätzliche Ausgaben in Höhe von 800 Millionen Euro ausschließlich durch Einsparungen oder zusätzliche Steuereinnahmen finanziert. Gleichzeitig hat der Rechnungshof gerade festgestellt, dass sich die Lage der öffentlichen Finanzen in den vergangenen fünf Jahren stetig verschlechtert hat.
Christoph Heinemann: In welchen Bereichen werden die Ausgaben denn verringert?
Bernard Cazeneuve: Frankreich wird einerseits für neue gerechte Steuereinnahmen sorgen, die Geringverdiener sollen davon ausgenommen werden. Und im Staatsapparat und im Ausgabenverhalten sind beträchtliche Anstrengungen geplant. Eine Maßnahme ist eine Reform der Dezentralisierung, um doppelte Zuständigkeiten und Überschneidungen zwischen Staat und Gebietskörperschaften zu vermeiden. Unsere Vorgängerregierung hat eine Finanzplanung nach Brüssel gemeldet, die sie selbst nicht eingehalten hat. Wir wollen die Strukturen des Staates reformieren. Und auf dem Weg dieser Modernisierung sollen auch die Ausgaben unter Kontrolle bleiben.
Christoph Heinemann: Also nicht nur Erhöhung der Einnahmen, sondern eine Verringerung der Ausgaben...
Bernard Cazeneuve: Das hat der Premierminister klar zum Ausdruck gebracht und diejenigen, die das nicht verstanden haben, hören selektiv.
Christoph Heinemann: Präsident Hollande spricht sich für Eurobonds aus, eine Vergemeinschaftung der Schulden innerhalb der Eurozone. Wie soll man dem deutschen Steuerzahler, der bis zum Alter von 67 Jahren arbeiten muss, erklären, dass er die sozialen Errungenschaften der anderen finanzieren soll?
Bernard Cazeneuve: Der deutsche Steuerzahler weiß ganz genau, dass das deutsche Wachstum zu großen Teilen auf dem Außenhandel beruht. Deutschland erzielt einen Außenhandelsüberschuss von 150 Milliarden Euro. Wenn sich überall und vor allem in Europa eine Austeritätspolitik durchsetzte, dann würde der deutsche Steuerzahler merken, dass sich das Wachstum abschwächt. Wir wollen, dass Wachstums überall in Europa zu einer Reindustrialisierung und zu weniger Jugendarbeitslosigkeit führt. Und das setzt strukturelle Reformen voraus.
Zweitens: Es wird keine Solidarität ohne Integration der Wirtschafts-, Haushalts- und Geldpolitik geben. Wir nennen das solidarische Integration - eine Politik, die garantiert, dass alle Anstrengungen mit einer Haushaltsdisziplin einhergehen, die dafür sorgt, dass die Finanzen, der Staaten, die von der Solidarität profitieren, in Ordnung gebracht werden.
Schließlich drittens – und das ist wichtig: Wir wünschen uns Maßnahmen zur Regulierung und Überwachung der Märkte. Denn wenn es keine Kontrolle gibt, sind alle unsere Anstrengungen, um die Zinsen für Anleihen zu senken, wirkungslos. Wir unterstützten zusammen mit Deutschland den Vorschlag einer Bankenaufsicht, der dafür sorgen soll, dass zusammen mit der Rekapitalisierung von Banken eine echte Regulierung der Märkte und der Aktivitäten der Banken geregelt wird. Und auch hier gilt: keine Leistung ohne Gegenleistung, so wie es Frau Merkel in einer schönen Formel ausgedrückt hat.
Bernard Cazeneuve: Zunächst sollte man das Visionäre dieser Tat von Bundeskanzler Adenauer und General de Gaulle vor 50 Jahren sehen, nur wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Es ging darum, die Grundlagen für die deutsch-französische Aussöhnung zu schaffen und eine Perspektive für die künftigen deutsch-französischen Beziehungen zu entwickeln, mit dem Ziel, dass diese Beziehungen zum Motor für Europa werden. In den zurückliegenden 50 Jahren hat der deutsch-französische Motor seine Rolle gespielt, indem er Europa strukturiert und seine Einheit gestärkt hat - durch die persönlichen Beziehungen zwischen Bundeskanzler Adenauer und General De Gaulle, zwischen Helmut Schmidt und Valéry Giscard d`Estaing zwischen Präsident Mitterrand und Helmut Kohl. Im Dienst der Völker, des Friedens und der Entwicklung des gesamten Kontinents.
Christoph Heinemann: Es gibt aber einen Unterschied zu den gegenwärtig Handelnden. Wieso stimmt die Chemie zwischen Francois Hollande und Angela Merkel nicht?
Bernard Cazeneuve: Die Chemie zwischen Präsident Hollande und Kanzlerin Angela Merkel stimmt bestens. Die persönliche Beziehung zwischen beiden ist hervorragend und von gegenseitigem Respekt geprägt. Ihre Offenheit führt zu guten Kompromissen, die für Europa von Nutzen sind. Gegensätzlichkeiten, die sich möglicherweise daraus ergeben, dass der Staatschef und der Regierungschef aus unterschiedlichen politischen Lagern stammen, haben beim deutsch-französischen Motor trotzdem stets seine Rolle spielen lassen.
Christoph Heinemann: Man hat gegenwärtig schon den Eindruck, dass sich da eine Madame Sparpolitik und ein Monsieur Ausgabenpolitik gegenüberstehen...
Bernard Cazeneuve: Nein, es gibt keine Madame Sparpolitik und keinen Monsieur Ausgabenpolitik, denn Francois Hollande ist selbst ein Mann, der sehr sorgfältig auf die Ausgaben schaut. Wir haben in Frankreich eine ausgesprochen schlechte Lage der öffentlichen Finanzen vorgefunden. Die Vorgängerregierung hat 2011 ein Defizit von über 5,2 Prozent hinterlassen, das wir in diesem Jahr auf 4,4 im kommenden auf drei Prozent zurückfahren, um 2017 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Wir wünschen uns Sparanstrengungen, Haushaltsdisziplin, aber auch Wachstum. Und für Wachstum bedarf es der europäischen Initiativen, auf die wir uns gemeinsam beim europäischen Gipfel der vergangenen Woche verständigt haben.
Christoph Heinemann: Sie haben gerade den Begriff Sparpolitik "rigueur" verwendet. Wieso hat Premierminister Ayrault in seiner Regierungserklärung in dieser Woche die Worte "rigueur" oder "austerité", also "harte Sparpolitik", nicht ausgesprochen?
Bernard Cazeneuve: "Austerité" und "rigueur" ist nicht dasselbe. Austerité bedeutet Sparpolitik ohne Wachstumsperspektive. "Rigueur" heißt sorgfältige und disziplinierte Führung der öffentlichen Finanzen, aber mit Perspektive. Dadurch kann die Arbeitslosigkeit verringert, das Wachstum angekurbelt und das Land industriepolitisch vorwärtsgebracht werden. Also: Sparen ohne Wachstum bedeutete Austeritätspolitik. Wir wollen sparen und Wachstum.
Christoph Heinemann: Informationen am Morgen im DLF, ein Gespräch mit dem französischen Europaminister Bernard Cazeneuve. Der Staatspräsident hat angekündigt, dass diejenigen, die besonders lange eingezahlt haben, künftig im Alter von 60 Jahren in Rente gehen können. Außerdem sollen 65.000 Beamte eingestellt werden. Wie können die Ausgaben verringert und diese Wahlkampfversprechen gehalten werden?
Bernard Cazeneuve: Sie vereinfachen die Dinge etwas. Sie haben nur die Hälfte dessen benannt, was wir uns vorgenommen haben. Der Präsident hat in der Tat die Schaffung von 60.000 Lehrerstellen in den nächsten fünf Jahren angekündigt. Aber dadurch soll sich der Gesamtbestand der öffentlich Bediensteten nicht erhöhen. Das heißt: In anderen Teilen der Verwaltung werden diese Stellen auf intelligente Art eingespart. Bei der Rente geht es um Gerechtigkeit. Es ist doch normal, dass diejenigen, die früh und unter schwierigen Bedingungen zu arbeiten begonnen haben, früher in Rente gehen können. Unsere politischen Gegner werfen uns vor, dass dies mehrere Milliarden Euro kosten würde. Wir haben seit unserer Regierungsübernahme zusätzliche Ausgaben in Höhe von 800 Millionen Euro ausschließlich durch Einsparungen oder zusätzliche Steuereinnahmen finanziert. Gleichzeitig hat der Rechnungshof gerade festgestellt, dass sich die Lage der öffentlichen Finanzen in den vergangenen fünf Jahren stetig verschlechtert hat.
Christoph Heinemann: In welchen Bereichen werden die Ausgaben denn verringert?
Bernard Cazeneuve: Frankreich wird einerseits für neue gerechte Steuereinnahmen sorgen, die Geringverdiener sollen davon ausgenommen werden. Und im Staatsapparat und im Ausgabenverhalten sind beträchtliche Anstrengungen geplant. Eine Maßnahme ist eine Reform der Dezentralisierung, um doppelte Zuständigkeiten und Überschneidungen zwischen Staat und Gebietskörperschaften zu vermeiden. Unsere Vorgängerregierung hat eine Finanzplanung nach Brüssel gemeldet, die sie selbst nicht eingehalten hat. Wir wollen die Strukturen des Staates reformieren. Und auf dem Weg dieser Modernisierung sollen auch die Ausgaben unter Kontrolle bleiben.
Christoph Heinemann: Also nicht nur Erhöhung der Einnahmen, sondern eine Verringerung der Ausgaben...
Bernard Cazeneuve: Das hat der Premierminister klar zum Ausdruck gebracht und diejenigen, die das nicht verstanden haben, hören selektiv.
Christoph Heinemann: Präsident Hollande spricht sich für Eurobonds aus, eine Vergemeinschaftung der Schulden innerhalb der Eurozone. Wie soll man dem deutschen Steuerzahler, der bis zum Alter von 67 Jahren arbeiten muss, erklären, dass er die sozialen Errungenschaften der anderen finanzieren soll?
Bernard Cazeneuve: Der deutsche Steuerzahler weiß ganz genau, dass das deutsche Wachstum zu großen Teilen auf dem Außenhandel beruht. Deutschland erzielt einen Außenhandelsüberschuss von 150 Milliarden Euro. Wenn sich überall und vor allem in Europa eine Austeritätspolitik durchsetzte, dann würde der deutsche Steuerzahler merken, dass sich das Wachstum abschwächt. Wir wollen, dass Wachstums überall in Europa zu einer Reindustrialisierung und zu weniger Jugendarbeitslosigkeit führt. Und das setzt strukturelle Reformen voraus.
Zweitens: Es wird keine Solidarität ohne Integration der Wirtschafts-, Haushalts- und Geldpolitik geben. Wir nennen das solidarische Integration - eine Politik, die garantiert, dass alle Anstrengungen mit einer Haushaltsdisziplin einhergehen, die dafür sorgt, dass die Finanzen, der Staaten, die von der Solidarität profitieren, in Ordnung gebracht werden.
Schließlich drittens – und das ist wichtig: Wir wünschen uns Maßnahmen zur Regulierung und Überwachung der Märkte. Denn wenn es keine Kontrolle gibt, sind alle unsere Anstrengungen, um die Zinsen für Anleihen zu senken, wirkungslos. Wir unterstützten zusammen mit Deutschland den Vorschlag einer Bankenaufsicht, der dafür sorgen soll, dass zusammen mit der Rekapitalisierung von Banken eine echte Regulierung der Märkte und der Aktivitäten der Banken geregelt wird. Und auch hier gilt: keine Leistung ohne Gegenleistung, so wie es Frau Merkel in einer schönen Formel ausgedrückt hat.