"Arbeit macht frei" hieß der zynische Spruch, der an den Toren einiger deutscher Konzentrationslager angebracht war. Johann Chapoutot spielt mit seinem Buchtitel direkt darauf an: "Gehorsam macht frei: Eine kurze Geschichte des Managements – von Hitler bis heute". Das ist kein billiger Effekt. Denn der französische Historiker weist tatsächlich starke Kontinuitätslinien im Führungsdenken zwischen der NS-Zeit und der deutschen Nachkriegsperiode nach.
Zudem bringt er weitere Belege dafür, dass die NS-Zeit als extreme Variante der Moderne deutbar ist. Die NS-Gesellschaft wurde nämlich nicht allein durch Repression und Propaganda zusammengehalten, sondern auch durch moderne Auffassungen der Organisation und Mitarbeiterführung. Chapoutot fasst seinen erstaunlichen Befund zu den Managementtheoretikern des Dritten Reiches so zusammen:
"Paradoxerweise entwickelten sie ein nicht autoritäres Konzept von Arbeit, bei dem die Angestellten und Arbeiter aus freien Stücken in ihr Los und in die Bedingungen ihrer Tätigkeit einwilligten - in einem Raum der Freiheit und Autonomie, der mit dem illiberalen Charakter des Dritten Reiches eigentlich unvereinbar war."
Chapoutot nennt zwei Gründe für diese liberale Linie im nationalsozialistischen Führungsdenken. Zum einen war es die polykratische Struktur der Herrschaft. Es gab von der SS bis zum Reichsarbeitsdienst eine Vielfalt von Institutionen und Organisationen, die relativ autonom arbeiteten und um die Gunst des Führers konkurrierten. Außerdem nahm der Bedarf an Organisationsarbeit zu, je mehr das Reich im Krieg expandierte.
Statt autoritärer Führung wurde Partnerschaft suggeriert
Das System benötigte also Angestellte und Arbeiter, die aus eigenem Antrieb effektiv und leidenschaftlich zu Werke gingen. Der zweite Grund war ein ideologischer. Die nationalsozialistische Ideologie suggerierte, dass Klassenkampf - Unterdrückung und Unterordnung in der rassischen Volksgemeinschaft - überwunden sei. Insofern sei das Zeitalter des Staates vorbei, der Menschen nur als Untergebene verwalte.
"Das Zeitalter des Managements, der Menschenführung hingegen garantiere, dass jeder, indem er geführt wird, am Willen und an der Freiheit des ‚Führers‘ teil hat, der wie kein anderer den tiefsten Willen der ‚germanischen Rasse‘ begriffen und ins Werk gesetzt habe."
Der Führer gab die Richtung vor, die Geführten setzten die Vorhaben selbstständig um. In diesem ideologischen Konstrukt der Volksidentität war keine autoritäre Führung mehr nötig, sondern eine partnerschaftliche. Da alle Rassemitglieder im Prinzip gleichgestellt waren, konnte Verantwortung delegiert werden. Gehorsam machte daher frei und Arbeit Freude. Freudig erbrachte Leistung war wiederum eine Ressource, die man im Kampf gegen andere Rassen und Nationen brauchte.
Die Causa Höhn
Chapoutot stellt in seinem klar und verständlich geschriebenen Buch mehrere Vertreter dieses nationalsozialistischen Managementdenkens vor. Für die Zeit nach 1945 konzentriert er sich aber auf Reinhard Höhn. Denn dieser ehemalige SS-Oberführer und NS-Staatsrechtler avancierte nach geschicktem Taktieren 1956 zum Direktor der "Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft Bad Harzburg". Als solcher beeinflusste er während des bundesrepublikanischen Wirtschaftsaufstiegs nachhaltig die gängigen Managementstrategien.
In zahllosen Kursen, Büchern und Broschüren bot er eine Lehre an, die von allen antisemitischen und rassistischen Spuren gereinigt war. Die Grundgedanken aber blieben nach Chapoutot dieselben: Es ging nur nicht mehr um die Volksgemeinschaft, sondern um die Gemeinschaft des Unternehmens. Auch in diesem sollte Führung durch "Delegation von Verantwortung" partnerschaftlich und motivierend ausgeübt werden. Höhn beriet mit diesem Konzept nicht nur Unternehmen, sondern auch die Bundeswehr, Verwaltungen und Gewerkschaften.
"Die junge Bundesrepublik hatte das Harzburger Management-Modell gern übernommen, da es perfekt in die damalige politische Landschaft passte: Der Ordoliberalismus wollte eine kontrollierte Freiheit, die soziale Marktwirtschaft zielte auf eine Integration der Massen durch Beteiligung und Mitbestimmung, um Klassenkämpfe und das Abgleiten in den ‚Bolschewismus‘ zu verhindern. Höhn hatte seinen konzeptionellen Referenzrahmen - die möglichst geschlossene Gemeinschaft – nie aufgegeben."
"Die junge Bundesrepublik hatte das Harzburger Management-Modell gern übernommen, da es perfekt in die damalige politische Landschaft passte: Der Ordoliberalismus wollte eine kontrollierte Freiheit, die soziale Marktwirtschaft zielte auf eine Integration der Massen durch Beteiligung und Mitbestimmung, um Klassenkämpfe und das Abgleiten in den ‚Bolschewismus‘ zu verhindern. Höhn hatte seinen konzeptionellen Referenzrahmen - die möglichst geschlossene Gemeinschaft – nie aufgegeben."
Spuren der NS-Tradition
Anfang der 1970er-Jahre verlor Höhn mit seinem Harzburger Modell an Einfluss, nachdem seine NS-Vergangenheit öffentlich gemacht wurde. Chapoutot bezweifelt allerdings, dass dieses Denken im heutigen kapitalistischen System verschwunden ist:
"‚Wirtschaftlich‘, ‚leistungsbereit‘‚ ‚leistungsfähig sein‘, ‚sich durchsetzen‘ in einer vom Wettbewerb geprägten Welt, um im ‚Lebenskampf‘ zu ‚siegen‘ – dieses für das nationalsozialistische Denken typische Vokabular ist viel zu oft auch heute noch das unsere."
Am Ende seines Buches diskutiert Chapoutot, ob sich eine an Profit und Leistung orientierte Managementtheorie nur durch alternative, solidarische Produktionsweisen überwinden lässt. Das bleibt aber recht knapp und hat eher die Züge eines moralischen Appells. Als kritische Fallstudie zum Thema moderner Kontinuitätslinien kann sein Buch aber überzeugen. Bis heute wird Reinhard Höhns NS-Vergangenheit zwar nicht verschwiegen, aber gleichzeitig seine Pionierrolle für moderne Managementmethoden betont. Chapoutot führt vor Augen, dass beides nicht voneinander getrennt werden kann.
Johann Chapoutot: "Gehorsam macht frei. Eine kurze Geschichte des Managements – von Hitler bis heute".
Aus dem Französischen übersetzt von Clemens Klünemann, Propyläen Verlag, 176 Seiten, 22 Euro.
Aus dem Französischen übersetzt von Clemens Klünemann, Propyläen Verlag, 176 Seiten, 22 Euro.