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"Frau ohne Schatten"

Die Geschichte einer vorbildlich keuschen Märtyrerin aus dem 4. Jahrhundert, die sich einem staatlich angeordneten Opfergebet für Jupiter verweigert und zur Strafe in ein Bordell verschleppt wird, verpflanzte Regisseur Christoph Loy auf eine protestantische Kirchenempore.

Von Frieder Reininghaus | 30.07.2011
    Christoph Loy befasste sich nur in einigen Binnenepisoden mit Hofmannsthals Märchenspiel aus den Jahren des Ersten Weltkriegs. Der Text wollte, als gerade auch Kakanien Kanonenfutter für viele Fronten brauchte, die Frauen zur Mutterschaft und die Paare zur Akzeptanz der Elternfreuden animieren, dazu dem Lebenswillen der Ungeborenen zu ungeahntem Recht verhelfen. Der Regisseur wich der Auseinandersetzung mit einem dergestalt ideologisch verminten Gelände ebenso aus wie den vom Libretto vorgesehenen Wasserfluten. Loy rekonstruierte die Situationen einer Schallplatteneinspielung der Strauss-Oper im unwirtlichen Winter 1955. Die Übertragung des Bühnenbildners Johannes Leiacker zitiert die Architektur der Wiener Sofiensäle herbei und erinnert geschichtsbewusste Zuschauer daran, dass unsere Altvorderen in diesen hehren Hallen nicht nur die österreichische NSDAP gründeten, sondern dort auch Juden für den Abtransport in die Lager sammelten (freilich spielt dieser Geschichtsbezug in der Inszenierung selbst keine Rolle).

    In konsequenter Weise wurde auf eine Deutung der primären wie der sekundären Bildwelt verzichtet – die Beziehungskonflikte finden weitgehend vor den Mikrofonen und als Rollenspiele statt. Da sind die laut beschworenen "Übermächte" nicht mehr unmittelbar im Spiel, sondern nur mehr in medial domestizierter Form.

    Gestützt auf solide Kapellmeister-Arbeit sorgen die Wiener Philharmoniker, die gleichsam ein Heimspiel bestreiten, für den Soundtrack zu den Hörszenen zweier Ehen. Das überschießende Musikpotenzial dieses Werks heizt sich leicht zu Volldampf auf. Es dauerte gestern geraume Zeit, bis der Dirigent auch die Hebel des Drosselns angemessen in den Griff bekam. In der ersten halben Stunde waren in Reihe 24 des Großen Festspielhauses nicht 15 Prozent der Worte zu verstehen, die Thomas Johannes Mayer als Geisterbote, der mit trompetenhaften Spitzentönen trumpfende Stephen Gould als Kaiser oder die höchst temperamentvolle Michaela Schuster als zauberkundige Amme beisteuern und die zu verstehen ratsam ist, damit sich das Dunkel der wunderlichen Unterleibswelten im Hörerkopf etwas lichtet.

    Diese "Frau ohne Schatten" ist als eine Produktion des "als ob" angelegt: Es geht nur – oder zum Glück – um historisch Vermitteltes. Auch mit der Musik. Christian Thielemann entschied sich für die ungekürzte Version der Strausspartitur (inklusive Melodram) und suchte von der zunächst immer noch allzu kräftigen, aufs Überwältigende hin angelegte Intonation her in die Fußstapfen großer Vorgänger zu treten. Musikalische "Werktreue" also im krassen Gegensatz zu den szenischen Nicht-Ereignissen. Thielemann lässt mit breiten Pinselstrichen ausmusizieren, zumal, wenn das potenziell restaurierte Glück wie ein Pfingstwunder niederkommt, und konterkariert den unseligen Text an keiner Stelle. Ohnedies scheint für die Dissonanzreibungen und die aus den Instrumentierungsextremen resultierenden diskreten Schärfen das Sensorium weniger entwickelt. So lässt die große Effektmaschine eher kalt oder nährt unterschwellige Abwehrkräfte. Richtig anrührend schien mir einzig immer wieder Wolfgang Koch, der als im Prinzip gutmütiger Färber Barak den "Segen der Widerruflichkeit" der von seiner Frau herausgeschleuderten Bosheiten preist. Dieses emanzipationswillige "Weib" stattet Evelyn Herlitzius mit modulationsfähiger Stimme, Fleisch und Blut aus, Anne Schwanewilms die Kaiserin, die ihr den Schatten abhandeln soll, mit fragiler Noblesse und gut gemeintem Lernprozess: dass sie, die unnahbaren Oberen, hinsichtlich elementarster Bedürfnisse und Möglichkeiten von den niederen Ständen nicht gar so weit entfernt sind. Dass Christof Loy den finalen Engelszauber in ein Weihnachtskonzert münden lässt, verleiht der Neutralisierung des Werks einen Dreh ins Kontemplative. Mit ihm schlägt die handwerklich solide geratene Übertragung in mehr oder weniger charmante Lüge um. Aber was wäre Österreich ohne die!?