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Frauen-Duo Deap Vally
Luftmaschen und Bodenhaftung

Sie haben sich in einem Handarbeitskurs in Los Angeles kennengelernt: Julie Edwards, Schlagzeugerin und Häkellehrerin, und Lindsey Troy, Gitarristin und Häkelschülerin. Als Deap Vally distanziert sich das Duo in seinen Texten von Rollenklischees - und spielt drückenden Alternative Rock.

Von Anja Buchmann |
    Zwei Frauen stehen nebeneinander und blicken in die Kamera.
    Trommlerin Julie Edwards (li.) und Lindsey Troy (Gitarre): Das US-Duo Deap Vally beim Lollapalooza-Festival 2013. (Jeremy D. Larson)
    Musik "Teenage Queen"
    "Ich liebe Häkeln und Stricken",
    sagt Gitarristin Lindsay Troy, die gemeinsam mit der Schlagzeugerin und Häkellehrerin Julie Edwards Musik macht – harte Musik ohne Kompromisse:
    "It's like sports, like full contact, high impact life. Which is exciting. You know – it's fun."
    "Ich möchte Ihnen die einzigartige Lindsay Troy vorstellen – sie spielt übel harte Riffs auf der E-Gitarre, ist Sängerin, Teleporterin, Geisterbeschwörerin. Ich schätze viele Dinge an ihr, aber besonders ihre Fähigkeit, beim Performen Grenzen zu überschreiten. Etwas, das mich an ihr stört ist – da gibt es auch viele Dinge -, aber ich würde sagen: Die posttraumatische Belastungsstörung, die sie in mir auslöst, weil sie chronisch zu spät ist. Obwohl es in letzter Zeit etwas besser geworden ist. Aber normalerweise verspätet sie sich oft."
    "Hier ist Lindsay, und ich möchte Ihnen allen Julie Edwards vorstellen, meine Partnerin bei Deap Vally. Sie ist wie "das Tier" in menschlicher Form, "das Tier" aus der Muppet Show. Die Königin des Schlagzeugs und eine Art Amateur-Comedienne. Ich mag ihre kreative Sensibilität, ihren Pragmatismus und ihre Entschlossenheit. Was mich manchmal ärgert… vielleicht wird sie etwas zu schnell aggressiv – aber das ist besser geworden. Wir haben beide an uns gearbeitet."
    Häkeln, Stricken und Rockmusik
    Sie haben beide an sich gearbeitet – als Persönlichkeiten, wie Gitarristin Lindsay Troy sagt, und auch als Musikerinnen in ihrem Duo. Ein gemeinsames Projekt, das auf ungewöhnliche Art und Weise begonnen hat: Denn die erste Begegnung von Lindsay und Julie war, wie es sich für ein ordentliches Rock-Duo gehört…. Bei einem Häkelkurs. Geleitet von der Schlagzeugerin, die im Nebenjob als Häkellehrerin arbeitet.
    "Lindsay kam eines Tages in meinen Shop, wie jeder andere Kunde und sagte, sie wolle häkeln lernen. Also kam sie in die Häkel-Klasse an dem Abend. Es war eine kleine Gruppe, nur zwei Leute und wir waren alle als kämpfende Kreative miteinander verbunden, als Künstlerinnen, die nicht wissen, wohin ihr Weg sie führt. Später ging Lindsay auch noch in meinen Strickkurs – und dabei hat sie mir ihre Musik vorgespielt, hat mir Videos auf YouTube gezeigt und ihre Solo-EP gegeben. Ich war begeistert von der Kraft ihrer Stimme, ihren Texten, ihren Reimen, ihren Rhythmen. Ich hatte schon länger überlegt, ein rein weibliches Projekt zu starten. Wir hatten unsere gemeinsame erste Jam-Session mit meiner Freundin Alice, einer Bassistin, die zurzeit in der Band "Filter" spielt. Es war wunderbar, ein großer Spaß. Unglücklicherweise war Alice sehr beschäftigt mit anderen Bands. Also haben Lindsay und ich beschlossen, zu zweit weiter zu machen. Und so wurden wir zu Deap Vally."
    Häkeln und Stricken als Zweitbeschäftigung zum Musikmachen – für Julie Edwards überhaupt kein Widerspruch zum Schlagzeugspielen, im Gegenteil:
    "Du brauchst bei beidem Geschicklichkeit – mit den Händen oder den Fingern. Und auch beim Stricken und Häkeln gibt es einen Rhythmus, man kann sich darin verlieren - sehr meditativ und kreativ.
    Es geht auch darum, etwas fertig zu stellen. Etwas tun, was dich begeistert, alle Enden zusammen nehmen und ein fertiges Stück daraus machen. Und das ist auch eine Parallele zu unserer Band.2
    Musik "Women of intention
    "Women of intention" von Deap Vallys erstem gemeinsamen Album "Sistrionix" aus dem Jahr 2013. Roh, energetisch, drückend ist ihre Musik von Anfang an – mit gehörigen Anleihen beim Blues, mit schreienden und verzerrten Gitarren und einer Schlagzeugerin, die immer druckvoll den Beat bedient, aber auch virtuose, synkopierte 16tel-Reihen auf der HiHat anbieten und zuweilen sogar ein paar klangliche Malereien betreiben kann. Auch wenn das selten der Fall ist.
    Reduktion auf zwei Instrumente als Herausforderung und Chance
    Deap Vally hatte von Beginn an ein musikalisches Konzept oder zumindest richtungsweisende Vorstellungen von Julie Edwards: Die Songs sollten rockig, groovebetont und bluesy sein, irgendwas 70er Jahre inspiriertes aus Led Zeppelin, Rolling Stones und einer Prise Motown. Und das Ganze eben als Duo – wenn auch ursprünglich noch zu dritt begonnen. Die Reduktion auf zwei Instrumente ohne Bass ist auf jeden Fall eine Herausforderung, die aber auch neue Möglichkeiten schafft. Lindsay Troy.
    "Es gibt viele Vorteile. Der Minimalismus zwingt uns zum Beispiel dazu, neue Wege zu gehen, interessante Ideen zu entwickeln, um den Sound zu füllen. Für mein Gitarrenspiel bei Deap Vally habe ich etwas entwickelt, weil eben der Bass fehlt. Eine Art Fusion zwischen Bass- und Gitarrenspiel. Also zum einen Akkorde spielen, dann wieder tiefere Basslinien, aber auch Gitarrenriffs. Ich versuche, beide Instrumente in einem zu vereinen."
    "Es ist eine interessante Herausforderung, denn das Schlagzeug kann wie ein Melodieinstrument gespielt werden und natürlich den Beat halten, wir müssen andere musikalische Räume füllen und benutzen den Gesang auf eine bestimmte Art und Weise. Es ist eine schwierige Balance, alles basiert auf Instinkt und Sound und Gefühl. Meine andere Band war auch ein Duo ohne Bass. Also für mich ist das eine ganz normale Herausforderung. Aber live – wenn man nur zu zweit ist, das ist schon gefährlich. Man muss es zusammen halten, man muss aufpassen, dass der Song nicht auseinander bricht. Es ist die volle Wucht, wie Sport mit Vollkontakt. Sehr aufregend.
    Und wenn etwas mit meiner Gitarre schiefläuft, dass ein Pedal nicht funktioniert und kein Sound raus kommt, dann muss Julie einspringen und ein drum Solo spielen. Ja, da ist einfach niemand anderes da, der solche Ausfälle kompensieren kann. Es ist gefährlich, aber das macht Spaß."
    Musik "Royal Jelly"
    Julie Edwards und Lindsay Troy lieben beide tief gestimmte Instrumente: Die Schlagzeugerin spielt ein Gretsch-Set aus der rockigen Brooklyn-Serie, mit voluminöser 24 Inch Bassdrum und tief klingender Snare. Sie bevorzugt einen dunkleren, gebrochenen Klang, nicht so sehr die hellen, knackigen Snares. Lindsay Troys Hauptgitarre ist eine Fender Mustang aus den frühen 1970er Jahren, die sie ihrem Vater "geklaut" hat.
    "Es ist eine großartige Gitarre, die ein bisschen umgebaut wurde. Ich mag das, dadurch ist der Klang etwas tiefer als normalerweise bei Mustangs. Ich spiele oft mit sehr dicken Saiten. Das fühlt sich substantieller an. Außerdem ist die Gitarre eigentlich sehr leicht zu spielen, aber mit dicken Saiten ist das etwas schwieriger, das finde ich gut. Und ich spiele Fender-Verstärker. Ich mag meine Gitarre, ich habe ein paar Ersatz-Instrumente, für den Fall dass an meiner ersten Gitarre was kaputt geht. Aber das sind neue Mustangs und ich bevorzuge das alte Modell. Trotzdem - irgendwann möchte ich mal eine andere Marke spielen, das kann zu neuen Ideen führen, denn jede Gitarre fühlt sich anders an."
    Musik "Six feet under"
    "Six feet under" im langsamen bluesigen 6/8-Takt – auch so geht es beim Duo Deap Vally. 2011 hatten sie ihren ersten gemeinsamen Auftritt – der Legende nach übrigens mit Marilyn Manson im Publikum, der nach dem Gig gefragt haben soll, ob er ihr Groupie sein könne. Und bei einem der frühen Konzerte wurden sie zudem von einer interessierten Mitarbeiterin von Island Records gesehen, gehört und für gut befunden, so dass einem ersten Plattenvertrag nichts mehr im Weg stand.
    Produktion mit Nick Zinner von den Yeah Yeah Yeahs
    2013 gab es das Debut-Album, im September 2016 ist der Nachfolger erschienen, produziert von Nick Zinner, dem Gitarristen der Yeah Yeah Yeahs. - Der die Musikerinnen ordentlich disziplinieren konnte.
    "Er hat uns aufgenommen, wir haben einfach los gejammt, uns eine Idee raus gepickt und damit dann wieder 5 oder 10 Minuten gespielt. Und dann eine weitere Idee, mit der wir wieder gejammt haben und immer so weiter, bis wir drei oder vier Ideen zusammen hatten. Daraus haben wir dann unseren Favoriten gewählt und damit weiter gearbeitet. Das war ein guter, effizienter Weg. Nicht die Zeit zu verschwenden und mit einer Idee zu arbeiten, die nicht die beste ist. Manchmal können wir nämlich eine Stunde lang rum dudeln und es kommt nichts Großartiges heraus. Und dieser Weg zwingt dich, die beste Idee zu finden. Das war ein guter Druck für uns.
    Es gibt verschiedene Wege Songs zu schreiben. Es ist wie eine Geburt – wichtig ist, dass das Baby gesund ist. Ob Du in einer Badewanne gebärst oder mit einen Kaiserschnitt… Hauptsache, das Baby ist gesund."
    Musik "Heart is an animal"
    "Wir haben eine Art Ethik-Code für unsere Texte. Wir haben ein paar Parameter, mit denen wir arbeiten. Ja, meistens. Es geht darum, dass unsere Texte aus einem Ort der Kraft kommen, dass sie ermutigend sind, nicht aus einer Opfer-Perspektive. Wir schreiben über alle möglichen Dinge des Lebens – positiv und inspirierend. Wir arbeiten gegen Stereotype, gegen alles, was von uns erwartet wird. Deshalb nehmen wir alle möglichen Themen, die nicht nur mit Liebe oder Liebeskummer zu tun haben. Das ist nicht wichtig für uns. Lindsay: Es gibt so viel mehr, über das man schreiben kann."
    Positive Texte gegen Stereotypen
    Auf ihrem ersten Album gibt es schon ein paar Songs, die auch die Themen "Beziehungsdynamiken und Leidenschaft" behandeln. Aber in erster Linie sind es Texte, die eine Kraft vermitteln, die sich gegen eingefahrene Wege wenden und somit auch gegen vermeintliche Frauenrollen. Der Song "Gonna make my own money" etwa bezieht sich auf einen Spruch von Lindsays Vater, der früher oft sagte: You’re gonna have to marry a rich man! Dem wollten die beiden eine freiheitliche und selbstbestimmte Denkweise entgegensetzen. Im Song und im eigenen Leben.
    Musik "Gonna make my own money"
    "Sistrionix" und "Femejism" heißen die beiden Alben von Deap Vally. Beides Wortneuschöpfungen, die mit dem Bild der Weiblichkeit spielen. Und beides Kreationen, die erwiesenermaßen wenige weitere Google-Einträge hervor bringen, auch das war ein Kriterium. Es gibt einige weibliche Duos und größere Bands in der Pop- und Rockwelt – seien es Tegan & Sara, Boy oder Warpaint. Und es gibt zunehmend Schlagzeugerinnen zu hören – zum Beispiel Carla Azar, die gemeinsam mit Julies Buder, Gitarrist Greg Edwards, in der LA-Band Autolux spielt – übrigens ein großes Vorbild für Julie Edwards.
    "Ich kann den Einfluss, den sie auf mein Leben hatte, nicht unterschätzen, mit ihrer Kunstfertigkeit, ihrer Ernsthaftigkeit... so dass es mir einfach klar wurde: Ich werde Schlagzeugerin. Es gibt immer noch Leute, die mir sagen, wie ungewöhnlich es ist, eine Frau am Schlagzeug. Ich glaube, es ist nicht mehr so wie früher. Es gibt immer mehr und ich glaube dass Meg White von den White Stripes diese Glasdecke zerbrochen hat. Heutzutage ist es eher ungewöhnlich, überhaupt einen Schlagzeuger auf der Bühne zu sehen. Anstelle eines Laptops."
    Feminismus, Sex und Rock'n'Roll
    Deap Vally spielen selbstverständlich die Musik, die sie spielen wollen – und das ist geradlinige, zum Teil harte Rockmusik. Sie sind laut und wild, bedienen auch Bilder und Attitüden von Erotik und Sex-Appeal. Denn das Spielen mit Sexualität gehört für sie zum Rock'n'Roll, es symbolisiert eine große Kraft und sie wollen keine Neutren sein, sie sind Frauen. In ihren Texten geht es letztlich häufig um feministische Themen von Selbstbestimmung, eigenen Entscheidungen, Kraft und Stärke. Sie sind dem Feminismus auch nicht abgeneigt, Lindsay betont aber, dass es – zum Beispiel in dem Song "Smile More" hauptsächlich um ihre eigenen Erfahrungen geht.
    "Es geht nicht darum, als Frau aus einer Frauen-Perspektive zu schreiben und wir geben auch nicht vor, Männer zu sein. Wir sind einfach wir selbst. Wir schreiben über unser Leben und Dinge, die wir erlebt haben. Frustration und Wut sind guter Treibstoff für Kreativität. Natürlich geht es mal um Gender-Themen, aber auch um universelle Dinge in dem Song. Etwas, mit dem sich jeder Mensch identifizieren kann: Ermutigt werden als eine Persönlichkeit und den Erwartungen der Gesellschaft den Mittelfinger zeigen. Die Medien, die Unterhaltungs- und Modeindustrie lässt die Menschen oft unzulänglich erscheinen, was nicht stimmt: Sie seien nicht schön genug, nicht dünn, reich oder glücklich genug. Und diese ganze Idee ist kapitalistisch: Du bist nicht vollkommen, also musst Du Produkte kaufen, um besser zu werden. Das ist Schwachsinn, die Menschen sollten sich selbst und andere lieben. Darum geht es in dem Song."
    Musik "Smile more"
    "Es ist witzig, in der Minderheit zu sein. Diesen Herbst sind wir zum Beispiel auf Tour, mit Death From Above 1979 und Black Rebel Motorcycle Club. Das werden einige Jungs sein – natürlich, BOMC haben eine Schlagzeugerin, Lea. Ich habe eigentlich viel mit Jungs rum gehangen. Die Kultur der Männer macht manchmal mehr Sinn für mich, warum auch immer. Dann gibt es natürlich auch noch die Zeit, die ich mit Mädels verbringe… Klar, es gibt Machismus und einige Jungs sind wirkliche Dummköpfe, einfach Menschen, deren Gehirne noch weiter entwickelt werden müssen. Aber es gibt auch viele wunderbare, sensible Männer, mit denen ich gern arbeite."
    Meint Schlagzeugerin Julie Edwards zur hoffentlich irgendwann einmal überflüssigen Frage, wie es denn so sei als Musikerin in einer immer noch Männer dominierten Rock-Welt. Lindsay Troy:
    "Ich komme auch mit Jungs klar, aber ich bin eher ein Mädchen-Typ. Ich liebe meine Zeiten mit Frauen, habe viele beste Freundinnen. Aber wir haben mit zahlreichen Jungs getourt – ich weiß nicht ob sie alle Softies waren oder ob sie durch die Begegnung mit uns dazu wurden. Jedenfalls waren das richtige "Sweethearts", einfache gute Jungs. Vielleicht ist es so: Je härter die Musik ist, die ein Musiker macht, desto sanfter ist er selbst."
    Obgleich Lindsay und Julie in Text und Musik durchweg selbstbewusst auftreten und einige Songs auch tatsächlich feministische Perspektiven aufzeigen – sie schauen in erster Linie, ob sie mit einem Menschen klar kommen, egal welchen Geschlechts.
    "Wir kommen nicht klar mit Egomanen, wir mögen bescheidene, coole, offenherzige, interessante Menschen. Ich erinnere mich nur an einen Typen in einer Band, der ziemlich bescheuert war und sich wie Super Ray vorkam…
    Julie: Der hatte das, was wir eine "Kopf im Arsch-Störung", nennen – Head in Ass Disorder. "
    Musik "Julian”
    Sie können auch das Tempo raus nehmen. Und mal ganz schlicht und nicht weniger intensiv einen alten Spiritual singen – a capella mit Schellenkranz.
    Musik "Spiritual"
    "Thank you, bye bye, Auf Wiedersehen."
    Diese Sendung können Sie online sieben Tage nachhören.