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Patriarchalische Strukturen
Was der Fall Peng Shuai über die Situation chinesischer Frauen aussagt

Die chinesische Tennisspielerin Peng Shuai befindet sich nach ihren Anschuldigungen gegen Politiker Zhang Gaoli nach allem, was bekannt ist, in Hausarrest. Ihr Fall ist ein Beispiel für die problematische Lage von chinesischen Athletinnen und allgemein chinesischen Frauen.

Von Constantin Eckner | 11.12.2021
Der Fall der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai besachäftigt die Weltöffentlichkeit
Nach Vorwürfen aus Öffentlichkeit verschwunden: Die chinesische Tennisspielerin Peng Shuai wirft dem Politiker Zhang Gaoli einen sexuellen Übergriff vor. (picture alliance / dpa / Photoshot / Bai Xue)
Wahrscheinlich würden die Verantwortlichen in Peking gerade lieber über ihre modernen Sportstätten schwärmen. Aber knapp zwei Monate vor dem Beginn der Olympischen Winterspiele in der chinesischen Hauptstadt dreht sich die Aufmerksamkeit vor allem um das Wohlergehen von Tennisspielerin Peng Shuai. Das Gastgeberland gerät in Erklärungsnot. 
Der Fall wirft auch ein Licht auf die immer noch vorhandenen patriarchalischen Strukturen der Volksrepublik. Frauen werden in der Historie Chinas lange unterdrückt: Über Jahrhunderte werden die Füße von Mädchen so bandagiert, dass die Füße verstümmelt werden. Das Füßebinden wird erst durch Mao endgültig geächtet. „Die Frauen tragen die Hälfte des Himmels“ ist eine Losung des kommunistischen Führers. Er benötigt die Arbeitskraft der Frauen.

Gleichstellung von Mann und Frau bleibt Illusion

Eine reale Gleichstellung von Mann und Frau bleibt Illusion. Und seit Mao hat es sogar eher Rückschritte gegeben. „Der Kommunismus ist fast schon eine Anomalie in der Geschichte Chinas, in der China sehr patriarchalisch war und Männer am Ende eben doch dominieren“, sagt Simon Chadwick, Ökonom und Experte für Sportpolitik. 
Der Fall Peng Shuai ist deswegen besonders. Denn die einstige Nummer eins der Weltrangliste im Doppel hat mit Zhang Gaoli den ehemaligen Vizepräsidenten des Staatsrats der sexuellen Nötigung beschuldigt. Polit-Schwergewichte genießen einen besonderen Status und sind ohnehin nicht von vielen Frauen umgeben. An der Spitze der Kommunistischen Partei werden vor allem Schlips und Kragen getragen.

Chinesischer Männersport im Rampenlicht

„Wenn man sich die KP anschaut, wird das Problem sehr deutlich, dass es Ungleichheiten gibt. Zum Beispiel gibt es innerhalb der erweiterten Führung des Politbüros, das aus 25 Mitgliedern besteht, nur eine Frau und die ist 71. Da sieht man ganz klar, in der Spitze dünnt es sich aus. Wobei es in den Staatsunternehmen sogar so ist, dass in den Führungspositionen ein Drittel Frauen sind“, erklärt Ning Wang, Redakteurin des Fachnewsletter „China.Table“.
Allerdings existieren nach oben hin Barrieren für chinesische Frauen. Das gilt nicht nur in Politik und Wirtschaft. Chadwick sagt: „Ich denke, der Sport spiegelt das auch wieder. Frauen haben gute Leistungen erzielt, aber es wirkt so, als ist der chinesische Männersport weiterhin im Rampenlicht. Fußball ist dafür ein gutes Beispiel. Das chinesische Frauennationalteam ist historisch gesehen stark, im Vergleich zum Männerteam. Und trotzdem werden Investitionen vor allem im Männerfußball getätigt.“

Keine Unterstützung für Peng Shaui in China

In den allermeisten Disziplinen, darunter auch Tennis, sind die Athletinnen auf die einheimischen Strukturen angewiesen und müssen sich diesen fügen. Eine Ausnahme ist Peng Shuais Kollegin Li Na, die zwei Grand-Slam-Titel in ihrer Karriere gewonnen hat. Ning Wang dazu: „Li Na hat sich sehr früh aus dem Sportkader verabschiedet und konnte so auch ihre Trainer frei wählen. Das ist vielleicht ein Beispiel dafür, wie der Sport sehr dominiert wird. Er wird von der KP kontrolliert und wenn man erfolgreich sein möchte, dann ist man dabei.“
Oder spürt die Folgen, wenn man sich gegen das System auflehnt: Li Na wird trotz ihrer Erfolge in ihrer Heimat ignoriert. Peng Shuai war lange fest im chinesischen Tennis integriert und hat auch keine Tendenzen der Dissidenz gezeigt. Aber jetzt hat sich ihr Leben unweigerlich verändert. Der Frauentennis-Verband WTA versucht, sie mit einem Boykott zu unterstützen, aber innerhalb Chinas braucht Peng Shuai kaum auf Support zu hoffen.
Privat ohnehin nicht, wie Journalistin Ning Wang sagt: „Ein größeres Problem ist, dass die Frauen zueinander kein Vertrauen und keinen Halt haben. Beim Fall Peng Shuai war es wohl so, dass die Frau von Zhang Gaoli davon wusste und das sogar unterstützt hat. Das zeigt, wie wenig wert sich Frauen in der chinesischen Gesellschaft schätzen.“

Soziale Harmonie gewünscht

Auch in der breiteren Öffentlichkeit herrscht erwartungsgemäß Schweigen. „Es wird innerhalb der chinesischen Gesellschaft indirekt verlangt, dass soziale Harmonie vorherrschen muss. Und somit sollen sich Gruppen wie MeToo nicht auflehnen und öffentlich ihre Meinung kundtun, weil so die Dinge nicht laufen dürfen.
Wenn MeToo aufbegehrt, stellt das eine Gefahr für das politische Establishment dar. Und ich sage nicht einmal, dass das politische Establishment gegen Geschlechtergleichstellung ist, aber das politische Establishment hat etwas dagegen, dass sich Menschen zusammenfinden und ihre Meinungen zum Ausdruck bringen,“ erklärt Chadwick.
Der Führung in Peking wäre es am liebsten, im Ausland würde niemand mehr über Peng Shuai oder die patriarchalischen Strukturen sprechen – insbesondere, da die Olympischen Spiele vor der Tür stehen.