Ob Nachwuchs oder Profis, ob männlich oder weiblich: Beim VfL Wolfsburg tragen alle Kapitäne eine Armbinde in den Regenbogenfarben. Als Zeichen für Vielfalt und Akzeptanz. Die Idee dazu hatte die schwedische Nationalspielerin Nilla Fischer. Bis vor kurzem war sie für den VfL aktiv, sechs Jahre lang.
"Je älter ich wurde, desto mehr sah ich ein: es gibt noch andere Dinge als Fußball. Im Spitzensport leben wir in einer Blase. Vieles dreht sich um das nächste Spiel, viele Sachen werden einem abgenommen. Bei mir waren es Familie und Freunde, die mich auf neue Themen gestoßen haben. Und so wollte ich mich auch woanders einbringen."
"Das Schweigen von früher existiert nicht mehr"
Die Ehefrau von Nilla Fischer engagiert sich für Opfer häuslicher Gewalt. Fischer selbst hat sich in etlichen Kampagnen und Interviews gegen Homophobie und Mobbing gestellt. Mit ihrer Bekanntheit warb sie für Veranstaltungen der LGBT-Gemeinde in Schweden. Dafür erhielt sie nicht zur Zustimmung.
"Wenn man sich offen positioniert, erhält man auch negative Reaktionen und Hasskommentare. Auch wegen der Anonymität in den sozialen Medien. Jemand hat mal geschrieben, dass ich als lesbische Fußballerin nicht leben darf. Durch den zunehmenden Rechtspopulismus hat sich das Klima verändert. Auf der anderen Seite sind auch wir enger zusammengerückt. Wir unterstützen uns stärker für eine offene Gesellschaft. Das Schweigen von früher existiert nicht mehr."
Das Schweigen brechen - auch andere Fußballerinnen haben das getan. Die kanadische Torhüterin Erin McLeod outete sich während der Homophobie-Debatte rund um die Olympischen Winterspiele im russischen Sotschi 2014. In Japan verwies Spielerin Shiho Shimoyamada mit ihrem Coming Out auf das Pride House 2020, einen geplanten LGBT-Treffpunkt während der nächsten Olympischen Sommerspiele in Tokio.
Küsse vor dem Weißen Haus
Besonders offensiv sind Spielerinnen aus den USA: Abby Wambach, Megan Rapinoe oder Joanna Lohman, die ihre Freundin demonstrativ vor dem Weißen Haus küsste. Die Kulturwissenschaftlerin Esther Franke beschäftigt sich mit Feminismus im Fußball – und erinnert an eine weitere Geste US-amerikanischer Spielerinnen.
"Auch eine tolle Aktion, fand ich: Die Spielerinnen haben zum 8. März Trikots getragen mit den Namen von Frauen, die in ihrem Leben wichtig waren. Und klar sind das Symbole, oft Symbole. Aber es geht eben mit diesem ganz konkreten juristischen Kampf, den sie da ausfechten, auch darüber hinaus. Und ich habe das Gefühl, dass das dazu beiträgt, dass auch mehr Mädchen und Frauen Lust haben, in den USA Fußball zu spielen. Da ist was in Bewegung, da ist Power drin."
"Frauenfußball ist eine Geschichte von Lesben im Sport"
Anders als American Football, Baseball oder Basketball galt Fußball in den USA nie als nationales Kulturgut. Ohne starke Abhängigkeiten von Funktionären, Unternehmern und Medien entwickelten die Fußballerinnen eine selbstbewusste Haltung und vernetzten sich mit politischen Gruppen. In Deutschland war das anders, sagt Esther Franke.
"Wie ist Frauenfußball entstanden: der war ganz lange in Deutschland auch verboten. Und dann haben immer mehr Frauen sich zusammengetan. Und er wurde nur erlaubt, um es sozusagen unter Kontrolle zu haben. Es ist eine Kampfgeschichte und es ist vor allem auch eine Geschichte von Lesben im Sport. Dass es eben nicht einfach vom Himmel gefallen ist, dass es erlaubt ist, für Frauen Fußball zu spielen. Und dass es auch wichtige Orte für queere Communties sind."
Druck von den Sponsoren?
Häufig wird erwähnt, dass der DFB das Verbot für Frauenfußball erst 1970 aufhob. Dass das unter dem Druck vieler lesbischer Frauen geschehen ist, wird selten betont. Hartnäckig hält sich die Erzählung vom kontrollwütigen Verband aus den 1990er Jahren, der zwar das Lesbisch-Sein duldete, aber nicht das öffentliche Reden darüber. Verbunden mit dem Hinweis auf die "Privatsphäre".
Äußern sich auch deshalb so wenige deutsche Spielerinnen zum Thema? Für die Werbeindustrie seien sie oft nur von Interesse, wenn sie dem gängigen weiblichen Schönheitsideal entsprächen, vermutet die Aktivistin Pia Mann aus der Frauenrechtsgruppe Discover Football.
"Das macht es natürlich nicht leicht für Fußballerinnen, die in Teilen vielleicht mittlerweile von ihren Löhnen leben können. In Teilen aber eben auch als Polizistinnen, Soldatinnen und wie auch immer arbeiten. Aber eben auch auf Werbeverträge angewiesen sind. Da kann ich mir schon vorstellen, dass sie in Teilen eben aufpassen müssen, was sie so in der Öffentlichkeit sagen."
In einigen WM-Nationen steht Homosexualität unter Strafe
30 Spielerinnen dieser Weltmeisterschaft haben in der Vergangenheit öffentlich ihre Bi- oder Homosexualität thematisiert. Das berichtet das Internetportal "Outsports". Fast die Hälfe stammt aus den USA, England und Schweden. Aus Deutschland ist niemand dabei.
In einigen WM-Nationen steht Homosexualität unter Strafe, in Nigeria, Kamerun oder Jamaika. Die schwedische Nationalspielerin Nilla Fischer möchte nach ihrer Karriere noch deutlicher Stellung beziehen.
"Ob in der Gesellschaft oder im Fußball: Die großen Schritte in der Frauenbewegung kamen nicht dadurch zustande, dass Frauen immer nett, leise und regeltreu waren. Wir müssen mit Power an die Sache heran gehen. Und sagen: das akzeptieren wir so nicht mehr."
In einer europaweiten Studie fand die Sporthochschule Köln heraus, dass fast 90 Prozent der LGBT-Sportler Homophobie als aktuelles Problem betrachten. Im Fall von Diskriminierung kennen mehr als ein Drittel keine Organisation zur Unterstützung. In Österreich wollen Fußballbund und Profiliga nun eine Anlaufstelle zum Thema aufbauen. In Europa bislang eine Seltenheit.