"Mieser Kommentar." "Meine Ohren bluten." "Hexe". Solche Twitter-Reaktionen bekommt Lise Klaveness bei jedem WM-Spiel, das sie für den norwegischen Rundfunk kommentiert, zuletzt war es das Vorrundenspiel Brasilien gegen Costa Rica. Seit acht Jahren arbeitet Klaveness regelmäßig als Expertin für den öffentlich-rechtlichen Sender NRK, die WM in Russland ist ihre erste.
Die Angriffe nimmt die 37-Jährige so gut es geht mit Humor. "Flug gestrichen?", twitterte sie zusammen mit dem Foto eines Facebook-Posts, in dem ein Mann sie als Hexe beschimpft. "Dann nehme ich eben einfach den Besen." Neben dem Hass erfahre sie in den sozialen Medien auch viel Unterstützung, sagt Klaveness:
"Klar: Alle Frauen, die die ersten sind, erleben so etwas. Aber ehrlich gesagt stellen die Medien das auch ein bisschen überspitzt dar und verschärfen das Problem noch. Das Interesse verstehe ich zwar zu einem gewissen Grad, aber ich denke manchmal, wir sollten anfangen, Frauen in den Medien genau so zu behandeln, wie alle anderen Experten auch."
Bald Chefin der Nationalteams der Frauen - und Männer
Expertin in Sachen Fußball ist Klaveness zweifellos: Fast 15 Jahre lang spielte sie als Profi-Fußballerin in Norwegen und Schweden, trat mehr als 70 Mal mit der norwegischen Frauen-Nationalmannschaft an. Seit dem Ende ihrer aktiven Karriere arbeitet sie als Richterin und Anwältin, zuletzt war sie bei der Norwegischen Zentralbank angestellt. Ab September hat Klaveness einen neuen Job: Sie wird Chefin der neu geschaffenen Profi-Abteilung im norwegischen Fußballverband NFF - und damit der Nationalteams von Männern und Frauen.
Der Fußballverband wollte Klaveness offenbar unbedingt. So liest sich jedenfalls die Pressemitteilung seines Generalsekretärs Pål Bjerketvedt.
"Lise ist eine natürliche Führungspersönlichkeit. Sie hat einen beeindruckenden Lebenslauf und viel Erfahrung. Systematisch, strukturiert, zielstrebig, energisch und sozial."
Zielstrebig und energisch wird Klaveness sein müssen als erste Chefin beider Nationalmannschaften. Sie soll daran arbeiten, dass beide Teams "Resultate auf internationalem Niveau erzielen", so lautet ihre Jobbeschreibung. Das ist vor allem bei den Männern eine Herausforderung: Die haben seit Ende der Neunziger Jahre keine WM-Qualifikation mehr geschafft.
DFB in der Hand von Männern
Dass jetzt sie etwas daran ändern soll, ist für Klaveness ein Zeichen, dass Norwegen in Sachen Gleichstellung auch im Fußball ein bisschen weiter ist als andere Länder.
"Aber alles ist relativ. Auch bei uns gibt es weniger Frauen als Männer im Verband - weniger Frauen, als es eigentlich sein müssten, wenn man bedenkt, dass Fußball der größte Frauensport in Norwegen ist. Also wir haben hier in Norwegen genau die gleiche Debatte und es ist nicht so, dass wir dasitzen und denken: Es läuft total super mit der Gleichstellung."
Dass sich der NFF zumindest leichter tut als der Deutsche Fußball-Bund, liegt nach Klaveness Ansicht sicher nicht allein am Erfolg der norwegischen Fußball-Frauen: "Die deutsche Frauen-Nationalmannschaft ist phantastisch. Da muss es also genug Kompetenz geben."
Der DFB hat genau eine Top-Funktionärin: Hannelore Ratzeburg ist als Vizepräsidentin für Frauen- und Mädchenfußball zuständig.
Gezielte Gleichstellungspolitik des norwegischen Verbandes
Den entscheidenden Unterschied macht für Klaveness die gezielte Gleichstellungspolitik des norwegischen Verbandes. Der hat vergangenes Jahr schon die Prämien der Nationalmannschaften von Männern und Frauen angeglichen.
"Der NFF arbeitet sehr bewusst daran, qualifizierte Frauen für Jobs zu rekrutieren und deutlich zu machen, dass dies gewollt ist. Und dadurch motiviert man mehr Frauen, diesen Weg zu gehen."
Während im Deutschen Fußball Bund die Prämien für Frauen zwar steigen, klafft nach wie vor eine große Lücke zu denen der Männer.
Gerade ist Lise Klaveness zurück nach Russland geflogen, um für das norwegische Fernsehen zwei WM-Achtelfinals zu kommentieren. Die Juristin glaubt nicht, dass sie in ihrem neuen Job als Funktionärin ähnliche Anfeindungen erleben wird wie als Fußball-Kommentatorin. Denn dabei handele es sich schließlich um eine ganz normale Führungsposition.
"Ich habe jetzt zehn Jahre als Anwältin gearbeitet und da war es absolut kein Thema, dass ich eine Frau bin. Im Fußballverband bin ich die erste Frau in dieser Position. Es wird also vielleicht in den Medien thematisiert werden. Aber ich erwarte nicht, dass es in meinem Arbeitsalltag eine Rolle spielt."