Vor gut zehn Jahren hat die grüne Politikerin Claudia Roth zum ersten Mal in einer Arbeitsgruppe des Deutschen Fußball-Bundes mitgewirkt. Umgeben von Männern: "Das werde ich nie vergessen. Ich kam, die saßen da alle drin in einem großen Raum in Frankfurt. Und ich komme da rein und es war: Schockstarre. Ich übertreibe jetzt nicht: Schockstarre. Erstens: Frau. Und zweitens: So eine. Dann war ich aber vorbereitet auf die Sitzung und habe dauernd Fragen gestellt zur Tagesordnung. Und bei Tagesordnungspunkt zwei sind die alle ganz nervös geworden. Weil sie wollten noch ins Hotel, sich umziehen zum Fußballspiel. Und ich habe dann einen Geschäftsordnungsantrag gestellt und habe gesagt: So geht das nicht, ich bin hier eingeladen, ich will hier arbeiten."
Seitdem hat sich ein bisschen getan, aber nicht viel: Bei der EM 2016 wurde Claudia Neumann als erste Frau für den Live-Kommentar bei einem Männerturnier eingesetzt. Der FC St. Pauli berief Sandra Schwedler an die Spitze des Aufsichtsrates. Und in der neuen Saison ist Bibiana Steinhaus die erste Schiedsrichterin in der Männer-Bundesliga.
Keine einzige Frau im Präsidium der DFL
Darüber hinaus ist die weibliche Hälfte der Gesellschaft in den Entscheidungspositionen des Fußballs so gut wie nicht repräsentiert. Von den fast zwanzig Mitgliedern des DFB-Präsidiums ist eins weiblich. Im Präsidium der Deutschen Fußball-Liga DFL findet sich keine Frau. Bei den Bundesligaklubs war Katja Kraus die erste Frau in einem Vorstand, zwischen 2003 und 2011 beim Hamburger SV. Bis heute ist sie die einzige geblieben.
"Es geht darum, tatsächlich auch mal das Bewusstsein dafür zu erlangen, dass Diversität ein Erfolgsfaktor ist", sagt Katja Kraus, "auch für Fußballvereine übrigens. Und dass gemischtgeschlechtliche Gremien und Funktionsteams eine höhere Erfolgsquote versprechen. Das gibt’s im Fußball nicht. Diese Abschottung funktioniert weiterhin. Aber natürlich wären diese Frauen zu finden, wenn man sich Mühe gibt, sie zu suchen. Und qualifiziertes Management außerhalb des Fußballbereiches zu finden, ist ja offenbar auch noch extrem schwierig. Man greift ja häufig auf die bewährten Kräfte zurück. Es gibt eine hohe Versorgungsmentalität von ehemaligen Spielern für ehemalige Spieler. Und es besteht natürlich auch wie überall eine ganz große Angst vor Veränderungen und davor, dass eine Professionalität Einzug erhält, die die eigene Existenz bedroht."
Nur wenige Frauen trainieren Männerfußballteams
In Frankreich wird der Männer-Zweitligist Clermont Foot von Corinne Diacre trainiert, einer Frau. Weltweit lassen sich solche Beispiele an zwei Händen abzählen. Selbst nun bei der Frauen-EM werden zehn der sechzehn Teams von Männern trainiert. In der abgelaufenen Frauen-Bundesligasaison waren es sogar neun von zwölf. In Verbänden und Klubs wirken Frauen oft als Assistentin und Referentin, seltener als Direktorin oder Abteilungsleiterin. Ihre Vorgesetzten betonen gern, dass sich zu wenige qualifizierte Frauen anböten.
Doch Daniela Wurbs sieht die Ursachen vielschichtiger. Als Geschäftsführerin hat sie das internationale Fannetzwerk FSE aufgebaut, Football Supporters Europe. Mehrfach musste sie auf Konferenzen Annäherungsversuche von Funktionären und Sicherheitsbeauftragten abwehren. Und jenseits dieses offenen Sexismus' gebe es eine klischeebeladene Alltagskultur - und die könne engagierte Frauen abschrecken: "Ich glaube, dass Frauen-Geschichten anders erzählt werden müssen", so Wurbs. "Wenn es um Frauen als Zielgruppe im Fußball geht, ist Marketing oder jegliche Form von Story-Telling sehr schnell an Geschlechter-Stereotypen orientiert: das Pinke, Glitzer-Merchandising, gepaart mit einer eher emotionalisierten Geschichte. Wenn Fangeschichten erzählten werden, werden in der Regel Männergeschichten erzählt und selten Frauengeschichten. Und wenn Frauengeschichten erzählt werden, dann sehen die komischerweise immer alle sehr stereoptyp gut aus: dünn, schlank, jung, sexy."
Frauenquote für Fußballfunktionäre?
Seit 2016 müssen etwa hundert börsennotierte Unternehmen in Deutschland ihre frei werdenden Aufsichtsratsposten mit Frauen besetzen, bis dreißig Prozent weiblich sind. Und im Fußball? Der Weltverband FIFA hat eine Generalsekretärin: die Senegalesin Fatma Samoura. In seinem neuen Führungsrat, dem Council, sollen sechs von 36 Mitgliedern weiblich sein. Und wie sieht es unterhalb dieser Spitzenebene aus? Nicole Selmer ist stellvertretende Chefredakteurin des österreichischen Fußballmagazins Ballesterer und Mitgründerin des Netzwerks "F_in", Frauen im Fußball. Sie sagt: "Wenn man die Strukturen verändern will, geht es nur über Quoten. Also nicht über Selbstverpflichtung und irgendwelche Kooptierung und dann eine Frau von dreißig. Wenn du was verändert willst, brauchst du dreißig Prozent, mindestens. Alles darunter ist ein Feigenblatt."
Von den rund 280 hauptamtlichen DFB-Mitarbeitern in Frankfurt sind rund vierzig Prozent weiblich, aber unter den Direktoren gibt es nur eine Frau. In den ehrenamtlichen Gremien der 21 Landesverbände sind die wenigen Frauen meist für Frauenförderung zuständig. Das soll sich ändern, auch durch ein Mentorenprogramm.
DFB-Mentorenprogramm für Frauen
Seit einem Jahr werden 24 interessierte Frauen mit Führungsaufgaben im Verband vertraut gemacht, erzählt Willi Hink. Als Direktor ist er beim DFB auch für die Qualifizierung verantwortlich: "Ich will jetzt hier keine Namen nennen, aber eher schwerer zugängliche, honorige Funktionäre, mit denen man schon zweimal reden musste. Nachdem sie sich dann haben überreden lassen und auch voll reingehängt haben und dann wirklich gesagt haben: Was kann ich für die Frau in ihrer Situation tun? Aber viel mehr: Wie kann ich ihr bei ihren Selbstzweifeln helfen und welche Tipps kann es geben, damit sie den nächsten richtigen Schritt zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Reihenfolge machen kann?"
Dieses "Leadership-Programm" soll auf die Landes- und Kreisebenen ausgeweitet werden. Das ist ein Anfang. Doch zu einer Frauenquote, die in Politik und Wirtschaft längst etabliert ist, kann sich der DFB noch nicht durchringen.