In weiten Teilen der afghanischen Bevölkerung herrscht Angst vor den Taliban. Unvergessen ist die Brutalität, mit welcher sie in den Jahren 1996 bis 2001 herrschten. Nach der neuerlichen Machtergreifung der Islamisten wollen viele Afghaninnen und Afghanen nur noch eins: das Land verlassen.
Frauen fürchten das Schlimmste
Vor allem Frauen fürchten das Schlimmste. In den fünf Jahren der Taliban-Herrschaft wurden den Frauen öffentliche Teilhabe verwehrt - keine Bildung, keine Freiheit, keine Rechte, stattdessen Gewalt. "Die Frauen haben Angst, dass es wieder einen Rückschritt gibt hinsichtlich ihrer Mobilität, ihrer Rolle im Rahmen ihrer Freiheiten", sagte Katja Mielke im Deutschlandfunk. Die Politologin arbeitet am Internationalen Konversionszentrum Bonn und gilt als Expertin für Konfliktforschung.
Neue Situation für Frauen in den größeren Städten
Betroffen seien derzeit vor allem Frauen aus den größeren Städten wie der Hauptstadt Kabul, dem ehemaligen Bundeswehr-Standort Masar-i-Sharif oder Herat, der zweitgrößten Stadt des Landes. Mit der Einnahme der urbanen Zentren durch die Taliban habe die Situation eine neue Qualität bekommen. Für Frauen, die in Kabul und den Provinzhauptstädten leben, sei es selbstverständlich, dass sie Bildung erhalten. Mädchen hätten ganz normal zur Schule gehen können.
Anders sei dies bei vielen Frauen in den Provinzen gewesen. "Wir haben seit 2006 die Situation, dass die Taliban fast durchweg eine große Prozentzahl des Territoriums und auch der Bevölkerung kontrolliert haben. Spätestens seit 2009 waren es 50 Prozent, in den letzten Jahren 70 bis 80 Prozent. Das heißt: Für diese Frauen in den Provinzen hat sich gar nicht so viel verändert mit der Machtübernahme der Taliban. Was natürlich nicht positiv hervorzuheben ist", sagte Mielke.
Widerspruch zwischen Verlautbarungen und konkretem Handeln
Die Politologin verwies auch auf "einen gewissen Konflikt" innerhalb der Taliban. Einerseits gebe es die relativ moderaten Verlautbarungen der Führung aus Kabul, die derzeit das öffentliche Gesicht der Islamisten sei. "Auf der anderen Seite haben wir die lokalen Kommandeure, auch auf dem Land, die relativ autonom ihre eigene Politik in ihrem wertkonservativen Weltbild fahren und gegenüber Frauen sehr eng vorgehen und sie teilweise aus dem öffentlichen Raum verbannen", erläuterte Mielke. Zudem müsse sich der religiöse Rat der Taliban noch finden und definieren. "Keiner weiß, wie lange es dauern wird und welche Scharia konforme Auslegung der Scharia sie festzurren werden", sagte die Politologin.
Für die Zukunft der afghanischen Frauen werde es auf die Auslegung der Scharia durch die neuen Machthaber ankommen. Mielke kann sich vorstellen, dass unter den Taliban wie schon in der Vergangenheit Ärztinnen, Krankenschwestern oder auch Lehrerinnen weiterhin tätig sein und eine sehr beschränkte Rolle im öffentlichen Raum wahrnehmen dürfen. Schwieriger dürfte es dagegen für Frauenrechtlerinnen, aber auch Anwältinnen und Richterinnen werden. Die Politologin glaubt nicht, dass sie "in irgendeinem Scharia konformen Rahmen in der Zukunft tätig werden wollen und auch sein können".
Interviews zur Machtübernahme der Taliban in Afghanistan
- Afghanistan-Desaster Wolffsohn: "Versager sind an der Regierung"
- Fipro-Generalsekretär "Fußballspielen war ein Symbol des Widerstands"
- Archäologe Bernbeck "Unsere Kollegen müssen sofort aus dem Land"
Frauen im Dialog stärken
Ein positiver Hoffnungsschimmer in Afghanistan sei, dass es eine aufgeklärte Frauenbewegung gebe, die im Umgang mit sozialen Medien versiert sei. "Ich würde mir wünschen, dass diese irgendwo ein Forum findet und sich als Gesprächspartner - momentan wahrscheinlich eher anonym - über die sozialen Medien, aber doch mit einer starken Stimme in diese Verhandlung einbringt oder versucht einzudringen" sagte Mielke. Sie appellierte an die Internationale Gemeinschaft sich in Gesprächen mit den Taliban, dafür stark zu machen, "dass zivilgesellschaftliche Kräfte und ganz besonders Frauen auch gehört und als Partner auf Augenhöhe wahrgenommen werden".