Die 28-jährige Zahra Joya arbeitet als eine von wenigen Journalistinnen in Kabul. Im November letzten Jahres rief sie das Informationsportal "Rukhshana Media" ins Leben, das mit einer ausschließlich weiblich besetzten Redaktion Nachrichten produzierte. Um Themen anzusprechen, die in der afghanischen Medienlandschaft tabuisiert sind, wie zum Beispiel Zwangsheirat, Kinderehen, Vergewaltigung, Scheidungen und die Menstruation.
Das Nachrichtenangebot wurde nach einem Mädchen Namens Rukhshana benannt, das 2015 vor einer Zwangsehe geflohen war und dafür zu Tode gesteinigt wurde. Dieses Schicksal könnte nun Zahra Joya selbst drohen, wie vielen anderen medienschaffenden Frauen in Afghanistan.
Für Frauen eines der gefährlichsten Länder der Welt
Laut der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission wurden 2020 fast 3.000 Zivilisten getötet. Teil dieser Gruppe sind Journalistinnen und Journalisten, die von den Taliban umgebracht wurden. Neben anderen berichtet Human Rights Watch, dass diese gezielt Medienschaffende ins Visier nehmen, darunter insbesondere Frauen.
Anfang des Jahres erklären die Vereinten Nationen: "Afghanistan ist für Journalisten eines der gefährlichsten Länder der Welt" – und ich würde ergänzen: Afghanistan ist für Frauen eines der gefährlichsten Länder der Welt. Sie können sich also die Bedrohungslage für die Menschen vorstellen, die beides sind.
Sowohl aufgrund ihrer Themen wie Freiheit und Emanzipation als auch wegen ihrer politischen Kritik sind sie in einer Öffentlichkeit, die sich durch Frauenarmut auszeichnet, einem größeren Risiko ausgesetzt, ermordet zu werden.
Im Dezember wurde Malala Maiwand, TV-Reporterin und Frauenrechtlerin, auf dem Weg zum Sender erschossen, dieses Jahr drei junge Journalistinnen ermordet, die für eine Nachrichtenagentur arbeiteten. Neben der offensichtlichen Gefahr, eine Frau zu sein, brechen Infrastrukturen, der Zugriff auf Equipment und auch Finanzierungen komplett weg.
Einer der wichtigsten demokratischen Grundpfeiler zerstört
Alle Aspekte einer demokratischen journalistischen Arbeit widersprechen dem menschenfeindlichen Denken der Taliban. Aber vor allem die freiheitsliebende Kraft der Vierten Gewalt macht ihnen Angst – insbesondere, wenn sie in den Händen von Frauen liegt.
Während nun Werbebilder von Frauen im öffentlichen Raum mit weißer Farbe übermalt werden, viele bereits Universitäten und ihre Arbeitsplätze nicht mehr betreten können, gibt es nun auch keinen Hort der Unabhängigkeit mehr, von dem aus diese symbolische Auslöschung der Frauen kritisiert werden könnte.
Feature-Reihe: Deutschlands Einsatz in Afghanistan -
Der verlorene Frieden
Mit dem Einzug der Taliban in Kabul wurde in nur wenigen Stunden auch einer der wichtigsten demokratischen Grundpfeiler zerstört, der dafür sorgte, dass emanzipatorische Ideale kommuniziert und vorgelebt werden konnten - in Form hörbarer Stimmen medienschaffender Frauen, durch ihre Sichtbarkeit im Fernsehen oder ihre Namen, die unter ihren Texten stehen, die von ihrem Leben in Freiheit erzählten. All das wurde innerhalb eines Wochenendes vernichtet.
Die internationale Gemeinschaft, die NATO und die deutsche Regierung haben durch ihr politisches Versagen die journalistisch arbeitenden Frauen, die vor Ort zweifach gegen die Taliban für Demokratie kämpfen, ihrem Schicksal überlassen. Es ist eine historische, kaum in Worte zu fassende Schande. Die Redakteurinnen von "Rukhshana Media" machen derzeit mit ihrer Berichterstattung weiter, unter Einsatz ihres Lebens. Und solange es eben noch geht.