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Frauen in Berufsorchestern
Der lange Weg nach oben

Gezielte Maßnahmen gegen die Benachteiligung von Frauen in Berufsorchestern fordert der Musikwissenschaftler Christian Ahrens im Deutschlandfunk. In einer Studie hat er gezeigt, dass in den Kulturorchestern noch lange keine Rede von Geschlechtergleichheit sein kann.

Christian Ahrens im Gespräch mit Maja Ellmenreich |
    Harfenisten und eine Harfenistin beim Festspielorchester Bayreuth 1906
    Harfenisten und eine Harfenistin beim Festspielorchester Bayreuth 1906 (Privatbesitz Familie Ahrens/Thiem)
    Maja Ellmenreich: Ein ganzes Jahrhundert haben sich die Berliner Philharmoniker Zeit gelassen: Einhundert Jahre haben die Männer unter sich musiziert – bis Madeleine Carruzzo kam. Am 1. September 1982 – man sollte sich die Jahreszahl auf der Zunge zergehen lassen – wurde die Schweizer Geigerin Madeleine Carruzzo die erste Berliner Philharmonikerin.
    Das ist mittlerweile auch schon 36 Jahre her, in denen immer wieder die Frage gestellt wurde: Wie steht es um den Frauenanteil in den so genannten Kulturorchestern? Hat Gleichberechtigung in den Orchesterreihen Einzug gehalten?
    Der Musikwissenschaftler Christian Ahrens – lange Jahre hat er als Professor an der Ruhr-Universität in Bochum gelehrt, mittlerweile ist er emeritiert – hat nun eine Studie vorgelegt über, so der Titel: den "langen Weg von Musikerinnen in die Berufsorchester". Erschienen ist sie jüngst in der Online-Schriftenreihe des Sophie-Drinker-Institutes, das musikwissenschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung betreibt.
    Christian Ahrens habe ich gefragt: Kann man das Ergebnis Ihrer Studie vielleicht so zusammenfassen: Der lange Weg von Musikerinnen in die Berufsorchester hört noch lange nicht auf. Denn von Geschlechtergleichheit kann in den meisten Orchestern – zumindest in Deutschland und Österreich – mit einem durchschnittlichen Frauenanteil von gerade mal 32 Prozent keine Rede sein?
    Christian Ahrens: Ich fürchte, das ist so. Und ich sehe, ehrlich gesagt, noch einen ziemlich langen Weg vor uns, ehe wirklich Geschlechtergleichheit erreicht ist.
    Ellmenreich: Warum ist das so, besonders in Deutschland und Österreich, die die Schlusslichter bilden? Warum kann das sein in zwei Ländern, die ja eine enorm lange Orchestertradition haben, auf die sie stolz sein können, aber in denen sie eigentlich auch die Zeit gehabt hätten, ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis herzustellen?
    Der Nationalsozialismus wirkt nach
    Ahrens: Es bietet sich meines Erachtens an, daran zu erinnern, dass wir ja immerhin eine Zeit hatten, in der die Berufstätigkeit von Frauen und damit auch die Berufstätigkeit von Musikerinnen politisch unerwünscht war. Und ich denke, da hat vieles noch nachgewirkt, lange Jahre nach dem Krieg, und insofern sind wir in Deutschland und Österreich mit Sicherheit um einige Jahrzehnte zurück hinter vielen anderen Ländern. Die Schweiz beispielsweise, auch die deutschsprachige Schweiz, steht wesentlich besser da als Deutschland und Österreich.
    Ellmenreich: Sie sprechen den Nationalsozialismus an, in dem ganz klar formuliert wurde, dass Frauen nicht unbedingt als Berufsmusikerinnen ihr Geld verdienen sollten. Das heißt, Skandinavien hat allein aus diesen historischen Gründen die Nase vorn?
    Ahrens: Sicher nicht allein, aber ich denke, das war mit ein Grund, dass man viel früher sich der Tatsache bewusst wurde, dass es ein ungeheures Potenzial bei jungen Mädchen und bei Frauen gibt auf dem musikalischen Sektor und dass man dieses Potenzial ausschöpfen muss. Denn es geht ja nicht um eine abstrakte Quote, sondern es geht darum, die Qualität zu erhöhen und nicht 50 Prozent oder mehr von wirklich qualifizierten Musikerinnen, eben Frauen außen vor zu lassen.
    Ellmenreich: Es geht Ihnen auch nicht nur um die numerische Quote, die Zahl um der Zahl willen, sondern was ist bei Ihnen Kern der Diskussion, wenn Sie sich genaue Zahlen anschauen und Männer- und Frauenanteile in Berufsorchestern untersuchen?
    Weniger Frauen bedeutet weniger Qualität
    Ahrens: Vordergründig geht es um die Quote, aber hintergründig, wie gesagt, geht es um die Qualität. Frauen von vornherein auszuschließen aufgrund ihres Geschlechtes führt einfach dazu, dass man ein gewisses Potenzial nicht erreicht. Und wir wissen das ja gerade aus letzter Zeit. Jüngst ist der ARD-Wettbewerb gelaufen. Da hat eine Frau den ersten Preis im Fach Trompete gewonnen. Es gibt herausragende Frauen, und wenn man die ausschließt, dann kann das Niveau nicht auf die Höhe angehoben werden, die es hätte, wenn Frauen von Anfang an gleichberechtigt einbezogen würden.
    Ellmenreich: Sie heben jetzt eine Trompete spielende Frau heraus. Ist es immer noch so, dass einzelne Instrumentengruppen Geschlechtern zuzuordnen sind? Gibt es noch immer das vermeintlich männliche Instrument – ich denke jetzt an Posaune oder Schlagzeug – und immer noch das vermeintlich weibliche Instrument, Harfe oder Flöte zum Beispiel? Sind diese Klischees noch immer so verankert?
    Ahrens: Ja, die sind offensichtlich verankert. Ich habe in meinem Beitrag auch zitiert aus einer Befragung von jungen Studenten und Studentinnen an der Hanns-Eisler-Musikhochschule in Berlin. Ein Schlagzeuger, der sagte: Es sähe eigentlich sehr komisch aus, wenn Frauen Schlagzeug spielten. Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen. Das Schlagzeug ist ein Instrument oder eine Instrumentengruppe (es sind ja viele), bei der jede Frau ohne irgendwelche Einschränkungen, die sie aufgrund ihres Körperbaus oder - was weiß ich - ihrer Konstitution haben könnte und die sich bei anderen Instrumenten, beispielsweise der Tuba, tatsächlich auswirken könnten, wo jede Frau eigentlich ohne Probleme mithalten kann. Beispielsweise in Amerika gibt es einige, es gibt auch in Asien einige Frauen, die Schlagzeug spielen und die auch Solostellen haben. Warum denn nicht!
    Ellmenreich: Fragen wir genau nach diesen Gründen. Warum denn nicht? Wo beginnt Ihrer Meinung nach das Ungleichgewicht? Wo sitzt der Flaschenhals so eng? Ist das schon an den Musikschulen, erst an den Hochschulen, oder womöglich erst bei den Orchestern, wenn neue Orchesterstellen besetzt werden müssen?
    Ahrens: Soweit mir die Zahlen zugänglich sind, ergibt sich ja, dass an den Musikhochschulen eigentlich ein relativ ausgewogenes Verhältnis da ist – allerdings auch da schon nicht in allen Instrumenten. Wie das beim Schlagzeug ist weiß ich nicht. Aber jedenfalls mit Sicherheit nicht so viele, wie es eigentlich sein könnten.
    Defizite schon an den Musikhochschulen
    Bei bestimmten anderen Instrumenten gibt es schon an der Musikhochschule ein deutliches Defizit. Da ist ein Flaschenhals. Aber der Flaschenhals ist auch schon früher da, denn es hat sich gezeigt, dass schon in den "Jugend-musiziert"-Ausscheidungen viel weniger Mädchen sich interessieren für die Blasinstrumente - sprich: vor allen Dingen die Blechblasinstrumente - als Jungen. Und so setzt sich das fort bis zum Abschluss des Studiums. Dann kommt der Engpass Orchester, und da muss man ganz nüchtern sagen: Es gibt zumindest in Deutschland natürlich ein gewisses finanzielles Problem. Wenn Frauen in Mutterschaftsurlaub gehen und Elternteilzeit, dann haben die Orchester finanzielle Schwierigkeiten, diese Stellen mit Vertretungen zu besetzen. Und das hält sicher einige davon ab, Frauen überhaupt ins Orchester aufzunehmen. Das, denke ich, muss mit Fördermaßnahmen beseitigt werden. Wir geben so viel Geld für andere Förderungen aus. Da, meines Erachtens, wäre es gut untergebracht.
    Ellmenreich: Schauen wir uns noch mal andere, wie ich auch finde, verheerende Zahlen an. Wenn ich Ihre Studie richtig lese, dann komme ich zu dem Schluss: Je größer das Renommee eines Orchesters, zumindest in Europa, umso geringer der Frauenanteil. Der Anteil von Frauen im gesamten Orchester bei den Berliner Philharmonikern liegt bei 13,9 Prozent, und noch mickriger der Anteil bei den Wiener Philharmonikern: bei 7,6. Wie können Sie diese Korrelation erklären, zwischen Renommee und diesem überaus geringen Frauenanteil?
    "Wo Geld ist, sind die Männer"
    Ahrens: Ich zitiere eine Äußerung von Carole Dawn Reinhart, eine der renommiertesten Trompeterinnen, die dann lange Jahre Trompetenprofessorin in Wien war. Und die sagt ganz schlicht: "Wo das Geld ist, sind die Männer, und die Frauen bleiben außen vor." Ich glaube, da ist was dran. Man kann mit Sicherheit nicht sagen, dass Frauen nicht in der Lage seien, das technische Niveau und musikalische Niveau zu erreichen, wie die Männer in diesem natürlich Erstklasse-Orchester, den Wiener Philharmonikern.
    Ellmenreich: Gucken wir noch mal in die Zukunft. Ihre Appelle gehen in Richtung Musikschulen, Orchester und Musikhochschulen. Welche Schlüsse kann man jetzt ziehen aus Ihrer Studie?
    Ahrens: Ich glaube, die Vorstellung, das sei ein Selbstläufer, wie es von verschiedenen Organisationen in Deutschland verbreitet wird, weil ohnehin mehr Frauen (junge Mädchen jetzt) sich für Musik interessieren und ein Studium aufnehmen – ich glaube, das ist eine Fehleinschätzung. Ein Selbstläufer wird es nicht. Wenn wir nicht Fördermaßnahmen auflegen und auch ein bisschen Geld investieren, dann wird es dabei bleiben, dass wir zu 100 Prozent nur noch Harfenistinnen haben, dass wir in den hohen Streichern einen relativ hohen Anteil von Frauen haben, dass aber manche Orchesterinstrumente so gut wie gar nicht von Frauen gespielt werden, was – ich komme darauf zurück – natürlich ein Qualitätsmangel ist. Und dass das bisher nicht erkannt und angesprochen wird, finde ich ein wenig merkwürdig. Es gab in jüngster Zeit verschiedene Konferenzen über die Situation von Musikerinnen, aber über dieses Problem, wie man den Frauenanteil erhöhen könnte, ist da überhaupt nicht gesprochen worden. Das ist, finde ich, einigermaßen befremdlich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.