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Frauen in der salafistischen Szene
"Missionsarbeit im Sinne der Ideologie"

Ähnlich wie beim Rechtsextremismus habe man die Rolle von Frauen in der salafistischen Szene lange unterschätzt, sagte der Islamwissenschaftler Götz Nordbruch im Dlf. In einem patriarchalisch geprägten Rollenverständnis konzentrierten sie sich darauf, Missionsarbeit zu leisten und ihre Kinder im Sinne der Ideologie zu erziehen.

Götz Nordbruch im Gespräch mit Stefanie Rohde |
    Vollverschleierte Frauen in schwarzen bzw. blauen Gewändern bei einer Salafisten-Kundgebung in Offenbach.
    Vollverschleierte Frauen bei einer Salafisten-Kundgebung. Der NRW-Verfassungsschutz warnt davor, dass Frauen in der salafistischen Szene immer bedeutender werden. (dpa)
    Stephanie Rohde: Ein Schwesternnetzwerk – das klingt eigentlich ganz nett, ist aber das Gegenteil von nett: In einem solchen Netzwerk in Nordrhein-Westfalen sollen rund 40 Salafistinnen aktiv sein. Der NRW-Verfassungsschutz warnt davor, dass Frauen in der salafistischen Szene immer bedeutender werden, jetzt, wo die Terrormiliz IS im Irak und in Syrien einen Großteil der Kämpfer verloren hat.
    Gerwald Herter berichtete, und darüber möchte ich jetzt sprechen mit Götz Nordbruch von Ufuq, einem Verein für politische Bildung zum Thema Islam, Islamfeindlichkeit und Islamismusprävention. Der Verein ist bundesweiter Ansprechpartner für Schulen, Behörden, Wissenschaft, aber auch für die Politik. Guten Abend, Herr Nordbruch!
    Götz Nordbruch: Hallo!
    Rohde: Das Bundesamt für Verfassungsschutz warnt seit Längerem schon vor Islamistinnen. Der NRW-Verfassungsschutz spricht jetzt von ungefähr 40 Frauen in Nordrhein-Westfalen. Überrascht Sie das?
    Nordbruch: Nein, also überraschend kommt das nicht. Es hat sich in den letzten Jahren abgezeichnet, dass in der Szene tatsächlich Frauen beteiligt sind, dass sie auch eine relativ sichtbare Rolle gespielt haben. Das hat etwas gedauert, bis das auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, aber man merkt es an den Ansprachen, an der Propaganda, beispielsweise in sozialen Medien, dass es dort eben tatsächlich auch Inhalte gibt, die sich ganz gezielt an Frauen richtet. Insofern ist dieses Phänomen jetzt keineswegs neu und auch nicht überraschend, dass es in so einer großen Zahl jetzt in NRW aufgetaucht ist.
    Junge Frauen verfolgen  eine Kundgebung des radikalen Salafistenpredigers Pierre Vogel in Offenbach am Main.
    Junge Frauen verfolgen im Juni 2014 eine Kundgebung des radikalen Salafistenpredigers Pierre Vogel in Offenbach am Main. (picture alliance / dpa / Boris Roessler)
    Rohde: Warum erst jetzt in den Medien? Also was glauben Sie, wieso fängt jetzt erst die Aufmerksamkeit an?
    Nordbruch: Ich glaube, das ist auch eine Parallele zum Rechtsextremismus, auch dort hat man ja ganz lange dieses Phänomen als ein Problem von jungen Männern wahrgenommen und gar nicht gemerkt oder es ist einfach nicht bewusst gewesen, dass auch Frauen eine Rolle darin spielen, bestimmte Inhalte zu verbreiten, bestimmte Aufgaben in der Szene zu erfüllen, und Frauen halten sich sowohl im Rechtsextremismus als auch im Salafismus eher im Hintergrund, sie sind nicht so präsent, beispielsweise bei öffentlichen Veranstaltungen, und sie sind weniger beteiligt beispielsweise an Gewaltaktionen. Insofern ist das in der Wahrnehmung von außen etwas, was eher auf dem zweiten Blick sichtbar wird, aber wenn man sich ein bisschen mit dem Inhalt und der Szene beschäftigt, dann ist das, denke ich, sowohl im Rechtsextremismus als auch im Salafismus ein Phänomen, was man erklären kann, weil es eben in beiden Bereichen Inhalte und Angebote gibt, die sich ganz gezielt an Frauen richten.
    Aktive Rolle der Frauen in der ideologischen Erziehung
    Rohde: Der NRW-Verfassungsschutz, der spricht davon, dass diese Salafistinnen von Männern akzeptiert sind als Ideologieproduzenten, es wird auch davon gesprochen, dass Frauen ihre Kinder offenbar von klein auf indoktrinieren. Welchen Einfluss haben Frauen Ihrer Ansicht nach in dieser Szene? Was machen die konkret?
    Nordbruch: Also in den vergangenen Jahren war es ganz oft so, dass Frauen beispielsweise auf Facebook oder in sozialen Medien allgemein sich ganz gezielt an Frauen gewendet haben, um diese Ideologie zu verbreiten. Also es ging viel darum, andere Frauen zu werben über bestimmte Inhalte, über dieses Rollenverständnis, dieses sehr patriarchale Rollenverständnis, was dort gelehrt wird oder gepredigt wird, und da kam ihnen die Aufgabe zu, eben tatsächlich auf Frauen zuzugehen und unter Frauen Missionsarbeit zu leisten. Was in den letzten Jahren stärker geworden ist, ist der Aspekt von dieser Erziehungsaufgabe. Also dadurch, dass es jetzt Familien gibt, die in dieser Szene entstanden sind, stellt sich immer mehr die Frage eben auch, wie man Kinder erzieht, wie man Kinder im Sinne der Ideologie aufzieht, und da sind die Frauen natürlich diejenigen, die die Aufgabe der Erziehung übernehmen, und sie haben aber gleichzeitig auch die Funktion, die Männer in der Szene zu unterstützen, indem sie ihnen den Rücken freihalten, indem sie den Haushalt organisieren. Das ist eben in dem nichtgewaltbereiten Spektrum so die Hauptaufgabe, aber wenn man sich die dschihadistische Szene anguckt und eben auch die, die beispielsweise nach Syrien oder in den Irak gegangen sind, da geht es eben auch letztlich auch darum, den Kämpfern den Rücken freizuhalten und sie im unsichtbaren Bereich sozusagen zu unterstützen in ihren dschihadistischen Aktivitäten, und hinzu kommt, dass sie eben im Internet tatsächlich auch die Aufgabe haben, ganz ausdrücklich Missionsarbeit im Sinne der Ideologie zu machen und dafür zu sorgen, dass diese Ideologie präsent ist.
    Im ersten Schritt: Gewaltbereitschaft bearbeiten
    Rohde: Sie sind ja aktiv in Projekten der Islamismusprävention. Wenn Sie jetzt so auf dieses Problem schauen, sind Frauen, die vom Kampf für den IS zurück nach Deutschland kehren, also sogenannte Rückkehrerinnen, überhaupt erreichbar mit präventiver Arbeit oder ist das ein verlorener Fall?
    Nordbruch: Also wir selber sind in der universellen Prävention tätig, das heißt, wir arbeiten nicht direkt mit Rückkehrerinnen, aber das, was man von den Beratungsstellen weiß, dass die eben auch mit Angehörigen oder mit Rückkehrern arbeiten, da ist es so, dass es tatschlich möglich ist, diese Personen, ganz egal, ob Männer oder Frauen, zu erreichen. Es wäre eine Illusion zu denken, dass man gleich unmittelbar sozusagen die Ideologie infrage stellen kann, dass man junge Männer, die in Syrien waren oder junge Frauen, dass man überzeugen kann, dass das, was sie dort gedacht und verinnerlicht haben, falsch war. Es geht im ersten Schritt erst mal darum, die Gewaltbereitschaft zu bearbeiten und dann Veränderungen anzustoßen, also die Rückkehrer dazu zu kriegen, dieser Gewaltbereitschaft abzuschwören und sich auf Verhaltensweisen zu einigen, die eben gesetzeskonform sind, und erst im zweiten Schritt geht es dann auch darum, Irritationen auszulösen, die Ideologie zu bearbeiten, Denkprozess, Reflexionsprozesse anzustoßen, die eben dann auch dazu führen können, dass sich jemand wieder auf das, was hier an Werten und Prinzipien in der Gesellschaft gang und gäbe ist, sich einzulassen, aber das ist ein langer Prozess, und es ist erst mal schon ein Erfolg, wenn sich jemand tatsächlich ausdrücklich von der Gewalt distanziert und anerkennt, dass Gewalt in der Form nicht akzeptabel ist.
    Rohde: Und was können Sie generell dagegen tun, dass Frauen ihre Kinder von klein auf indoktrinieren, also diejenigen, die schon immer in Deutschland gelebt haben, nicht Rückkehrerinnen sind?
    Nordbruch: Also ich denke, dass man da auch wieder, ganz ähnlich wie im Bereich des Rechtsextremismus, schauen muss, dass Kinder vor dieser Ideologie geschützt werden, aber das ist natürlich immer ein schwieriger Abwägeprozess, wo das Schutzbedürfnis des Kindes beispielsweise größer ist als das Recht der Eltern an dem Kind, aber ich glaube, dass da in den nächsten Jahren den Schulen, aber auch den Kindergärten eine größere Rolle zukommt, tatsächlich sensibel dafür zu sein, was in den Familien passiert und da dann tatsächlich auch mit den Möglichkeiten, die man in der Kinder- und Jugendhilfe hat, tatsächlich auch Maßnahmen zu ergreifen, um die Kinder zu schützen, aber es ist tatsächlich eine schwierige Abwägung, weil natürlich auch diese Bindungen an die Eltern für die Kinder wichtig sind. Also insofern ist das nichts, was man so pauschal sagen könnte, dass der eine Weg richtig ist und der andere falsch, sondern das ist tatsächlich für den Einzelfall wichtig zu schauen, welche Gefahren da für die Kinder bestehen und wie wichtig das eben auch ist, so die Bindung an die Eltern und vielleicht auch an das weitere Umfeld, an die Großeltern, an Freunde und Familienumfeld, aufrechtzuerhalten.
    Rohde: Sie machen ja viele Projekte mit jungen Menschen. Wie werden denn solche Meldungen über Salafistinnen und Salafisten unter Jugendlichen diskutiert, die in den Projekten sind?
    Nordbruch: Es ist ja immer in den Medien, insofern sind jetzt so einzelne Meldungen nichts, was da groß bewegt. Also was halt tatsächlich viel mehr präsent ist, ist der Konflikt als solcher, also der Konflikt in Syrien, im Irak, in Jemen, in Burma. Das sind Themen, die bei Jugendlichen ankommen, und das ist das, was bewegt, und das kann natürlich, wenn das nicht aufgefangen wird, wenn es da keine Diskussion drüber gibt, wenn Jugendliche nicht die Möglichkeit haben, über diese Konflikte zu reden, dann ist das etwas, was sie empfänglich macht für salafistische Ansprachen, aber da braucht es im Grunde keine Berichterstattung über so einen Fall wie jetzt in NRW, sondern das sind die Themen, die eh präsent sind und umso schwerer ist es natürlich, damit umzugehen, weil man das nicht löschen kann, man kann es nicht beeinflussen, sondern diese Themen sind präsent und bewegen Jugendliche viel stärker als das, was in den Medien über einzelne Fälle berichtet wird, aber das ist sozusagen eine indirekte Wirkung einer Berichterstattung, in der der Islam oder Muslime letztlich als Problem dargestellt werden, dass sich Jugendliche schwerer mit der Gesellschaft identifizieren können, dass sie das Gefühl haben, tatsächlich nicht dazuzugehören, und das ist etwas, was sie empfänglich machen kann für salafistische Ansprachen, und das betrifft Frauen genauso wie Männer.
    Rohde: Das sagt Götz Nordbruch von Ufuq, einem Verein für politische Bildung zum Thema Islam, Islamfeindlichkeit und Islamismusprävention. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben!
    Nordbruch: Bitte schön!