Und es gibt sie doch: Die Frau an der Spitze: Das US-Wirtschaftsmagazin "Forbes" hat Angela Merkel gerade zum fünften Mal in Folge als mächtigste Frau der Welt ausgerufen. Eine Ausnahmeerscheinung, an die wir uns gewöhnt haben, die aber auch immer wieder augenfällig wird: So wie zuletzt beim G7 Gipfel in Elmau, beim "Gruppenbild mit Dame", wenn die Kanzlerin mit den mächtigsten Männern der Welt abgelichtet wird. Da blitzt ihr roter Blazer auf zwischen all den dunklen Herrenanzügen und macht die Ungleichheit und Unterrepräsentation von Frauen besonders sichtbar. Prof. Eva Flicker, Mediensoziologin an der Universität Wien, hat die visuellen Inszenierungen in der Politik genauer unter die Lupe genommen:
"Man kann in der Berufsbiografie von Angela Merkel sehr gut sehen, wie die im Lauf der Jahre so was wie ihr Styling gefunden hat, das jetzt so was wie eine Merkel-Uniform geworden ist mit diesen hunderten Blazern in verschiedenen Farben, aber sie hat es auf dem Weg dorthin auch nicht leicht gehabt. Sie wurde ja durch die Medien auch sehr durch den Kakao gezogen mit ihrer Frisur, mit ihrem Outfit. Wir sehen das bei Hillary Clinton, da gab es Bilder wie sie Außenministerin war und einmal bei einer UN-Konferenz eine Haarspange getragen hat. Also da sieht man durch alle Medien empörte Kommentare, es gibt viele Beispiele dafür."
Frauen unter medialer Beobachtung
Denn Frauen in Führungspositionen stehen viel stärker als Männer unter medialer Beobachtung, werden viel schneller sanktioniert, wenn sie gegen gängige Vorstellungen verstoßen. Während sich weltweit bei Männern der dunkle Herrenanzug als vorherrschende Uniform der Mächtigen etabliert, kann schon das mehrfach getragene Kleid, der zu tiefe Ausschnitt oder die Handtasche für einen Aufschrei der Empörung sorgen und alle inhaltlichen Aspekte in den Hintergrund treten lassen. Die Genderforscherin Dr. Annette Knaut von der Universität Augsburg, die die Tagung organisiert hat, macht die Beobachtung:
"Je höher die Position, desto stärker sind auch Anpassungsregeln an diesen männlichen Habitus. Kleidung ist da auch wieder ein sehr gutes Beispiel dafür und das geht dann weiter über Begrüßungsrituale, Küsschen, Umarmungen, Körpersprache, Stimme ist auch wieder so ein ganz wichtiges Element."
Weibliche Führungskräfte haben inzwischen viel von ihren männlichen Kollegen gelernt: Sie sind erfolgreiche Netzwerkerinnen geworden und je höher ihre Positionen sind, desto professioneller bewegen sie sich in medialen Räumen, belegen erste Untersuchungen von Annette Knaut:
"Hillary Clinton füttert ihren Twitter Account nicht mehr selber, eine Bundestagsabgeordnete, die macht das schon noch. Und es ändert sich viel, also die Abgeordneten sind sehr lernfähig. Als ich angefangen habe, mich mit Homepages und Chatrooms von Politikern zu beschäftigen, da war alles noch sehr auf so einer selfmade-Ebene und da waren diese Geschlechterdifferenzen viel deutlicher und das scheint zu verschwimmen."
Frauen deutlich unterrepräsentiert
Bisher wenig ins Blickfeld geraten Politikerinnen auf kommunaler Ebene, wie die Studien von Dr. Helga Lukoschat zeigen. Die Vorstandsvorsitzende und Geschäftsführerin der EAF in Berlin, der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft, hat in Kooperation mit dem Bundesfamilienministerium Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Ost und West befragt. Das Ergebnis:
"Frauen sind in den kommunalen Führungspositionen deutlich unterrepräsentiert und mein Eindruck ist, dass man das in der Öffentlichkeit noch gar nicht so wahrnimmt, weil wir doch im Bundestag immerhin 36 Prozent Frauen haben, wir haben eine Frau als Kanzlerin. Dass es auf der kommunalen Ebene wirklich ein Ungleichgewicht gibt, ist kaum bekannt. Wir haben tatsächlich nur knapp 10 Prozent Bürgermeisterinnen in Deutschland, also eigentlich erstaunlich, weil die Frauen von den Berufen, von der Qualifikation, der Verwaltungserfahrung etc. gute Voraussetzungen mitbringen."
Und auch die Lust am Gestalten auf kommunaler Ebene ist bei Frauen durchaus vorhanden, allerdings lassen sich die vielen Termine an Wochenenden und Abenden schlecht mit einem Familienleben vereinbaren. Dabei haben 80% der Bürgermeisterinnen Kinder, doch die sind bei der Amtsübernahme schon aus dem Gröbsten raus. Einerseits ist es also die Familiensituation, die das politische Engagement besonders von jüngeren Frauen erschwert, andererseits ist es der Prozess der Nominierung - wenn sie zum Beispiel auf wenig aussichtsreiche Listenplätze gesetzt werden:
"Für unsere Untersuchung zu den hauptamtlichen Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen wurde deutlich, das sind oft Verlegenheitskandidatinnen. Erstens, wenn sich niemand anders fand oder der Vorgänger so skandalumwittert war, dass man dann auch sagte, man kann einer Frau eine Chance geben. Und sie rechnen auch selbst nicht damit gewählt zu werden: Dreiviertel haben damit nicht gerechnet, dass sie das schaffen, wenn sie kandidieren. Sie sind dann oft die Überraschungssiegerinnen und man hat dann oft den Eindruck, die Bevölkerung reagiert da oft offener und zeitgemäßer als die Parteien selbst, die Frauen eben so ein bisschen - ich spitze etwas zu - als Notlösung betrachten."
Vertiefung der innerparteilichen Gleichstellungsarbeit
Wenn sich Frauen als Bürgermeisterinnen durchgesetzt haben - in den neuen Bundesländern immerhin 17 Prozent - dann werden sie häufig auch wiedergewählt. Damit sie keine so große Ausnahmeerscheinung bleiben, empfiehlt die Studie eine gezielte Nachwuchsförderung, die Vertiefung der innerparteilichen Gleichstellungsarbeit und familienfreundlichere Arbeitsstrukturen. In Schweden und Norwegen gibt es jährlich veröffentlichte Rankings und „Gender-Landkarten", die den Wettbewerb zwischen den Kommunen erfolgreich zugunsten von Frauen befördern. Auf der Tagung in Speyer ging es auch um das Für und Wider einer Frauenquote. Annette Knaut:
"Ich habe mich ja vor allen Dingen mit Parlamenten beschäftigt und die Daten zeigen weltweit: Je besser die Quoten, desto mehr Frauen sind in den Parlamenten. Allerdings was ich natürlich auch sehr spannend finde - es gibt Ausnahmen: Und zwar sind das die Spitzenreiter in Bezug auf Frauenrepräsentation in der Welt, und zwar Schweden und Finnland. Die haben keine Quoten, haben aber trotzdem hohe Frauenanteile. Also es gibt auch noch was anderes und das können wir mit dem Begriff der politischen Kultur oder gesellschaftlichen Wandel sehr gut beschreiben. Und der Hinweis auf Schweden ist da sicher richtig, also da hat sich unglaublich viel in der Gesellschaft getan, auch durch politischen Willen und wie wir in der Forschung sehen auch durch Zusammenarbeit sehr sehr unterschiedlicher Gruppen. Für mich ist das eigentlich die stärkste Voraussetzung dafür, dass sich wirklich was ändert."
Auch auf Hochschulebene soll sich etwas ändern. Im Rahmen der Exzellenzinitiative will man den Wissenschaftsstandort Deutschland durch einen höheren Frauenanteil stärken. "Frauen in der Spitzenforschung" heißt eine Begleitstudie, an der auch Dr. Otto Hüther von der Universität Kassel mitgewirkt hat. Schon mit ihrer Studienwahl, so der Soziologe, können Frauen ihre Karrierechancen beeinflussen:
"Was diskutiert wird, ist, dass Frauen im Grunde die Fächer studieren, in denen sie die geringsten Chancen haben, später Professorin zu werden. Wenn sie nämlich Elektrotechnik oder Informatik studieren würden, sind die Chancen insgesamt sehr viel höher, als zum Beispiel in den Erziehungswissenschaften, weil wir haben momentan um Beispiel 10 Prozent Studentinnen in der Elektrotechnik, aber 6 Prozent Professorinnen. Es liegt aber auch daran, dass gerade diese Fächer stark unter politischen Druck stehen, tatsächlich Frauen stärker zu fördern, weil die Quote eben so gering ist."
Steiniger Weg zur Professur
Immerhin: Der Anteil der Juniorprofessorinnen ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen und liegt bei knapp 40 Prozent, Professorinnen gibt es gerade mal 22 Prozent. Der Weg zur Professur ist steinig, denn die Stellen sind oft nur befristet und in Teilzeit, Mobilität und Risikobereitschaft wichtige Voraussetzungen. Wer da ungebunden und ohne Familie ist, ist klar im Vorteil. Es sind genau diese Arbeits- und Karrierestrukturen, so Hüther, die Frauen häufiger als Männer dazu bewegen, die Hochschule zu verlassen, weil ihre Lebenszusammenhänge und Vorstellungen andere sind. Es ist kein Zufall, dass weit über die Hälfte der Professorinnen kinderlos sind, so entsprechen sie viel eher dem Ideal der wissenschaftlichen Persönlichkeit, die sich voll und ganz mit ihrer Arbeit identifizieren und keinen außerwissenschaftlichen Verpflichtungen nachkommen muss.
"Die Frauen produzieren jetzt genau auch dieses Image, was Wissenschaftler sein sollen oder Wissenschaftlerinnen sein sollen: Nämlich völlig fokussiert, völlig abgegrenzt vom Rest der Gesellschaft, wenn Sie wollen mit Schelsky: Einsamkeit und Freiheit. Und dieses Bild ist relativ stabil. Und dieses Bild scheint ein größeres Problem zu sein für Frauen als für Männer im Schnitt."