"Ich arbeite an der Universität. Die Dekane sind bis heute vor allem Männer. Es gibt mittlerweile auch Dekaninnen – aber die höheren Ebenen sind weiterhin vor allem mit Männern besetzt. Nichts im System sagt, dass eine Frau nicht Dekanin oder Abteilungsleiterin sein kann. Es ist nur meistens nicht der Fall."
Was diese Dozentin bei einer Konferenz in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad erzählt, klingt auch für deutsche Ohren nicht ganz ungewohnt – Männer besetzen oft die höheren Stellen im Wissenschaftsbetrieb. Und auch die Erklärungen der Dozentin, die ihren Namen lieber nicht nennen will, sind aus Gleichstellungsdiskussionen hierzulande bekannt: Frauen bewerben sich nicht auf Führungspositionen. Und man sei eben bislang an Männer in solchen Leitungsfunktionen gewöhnt.
In Saudi-Arabien könnte sich das vielleicht ändern, wenn nach und nach die Geschlechtertrennung unter den Studierenden aufgehoben würde, mutmaßt die Dozentin. Sie lehrt Informatik an der Imam Abdulrahman-Universität im Osten des Landes. Bislang studieren Frauen und Männer getrennt, zumindest in den Bachelor-Studiengängen der öffentlichen Universitäten – und das findet sie vorerst auch richtig so:
"Ich glaube, in unserer Kultur ist es bislang gut für die Studierenden, getrennt zu sein. Sie sind konzentrierter und ihre Noten besser. Männer und Frauen zusammen zu unterrichten, wäre ein Schock für unser System. Man könnte vielleicht mit einigen Studiengängen anfangen, Medizin zum Beispiel - und dann weitersehen."
Allerdings haben nicht alle öffentlichen Universitäten in Saudi-Arabien eine Doppelstruktur – es gibt auch reine Frauenuniversitäten. Die weltweit größte ist die Princess Nourah Universität, 2008 durch die Zusammenlegung verschiedener Institute gegründet. Hier haben Männer nicht viel zu sagen, wie die Kommunikationsbeauftragte Hallah Alkhalaf erklärt:
"Anders als andere Frauenuniversitäten wird diese hier auch von Frauen geführt – unsere Rektorin ist eine Frau, alle Dekaninnen, die meisten stellvertretenden Rektoren und alle unsere Studentinnen. Das ist Frauenempowerment im besten Sinne."
Die jungen Frauen, die an dieser bestens ausgestatteten Universität lernen, wissen, dass sie zur Elite des Landes gehören. Das ermöglicht ihnen große Träume, von denen sie sich auch in ihrem extrem männerdominierten Land nicht abbringen lassen wollen.
"Hi, mein Name ist Ghada Sayigh. Ich studiere Marketing. Meine Vision ist: Ich werde Chefin des staatlichen Ölunternehmens Aramco. Und glauben Sie mir, das kann ich."
"Ich muss mich noch für einen Traum entscheiden. Aber ich glaube, ich werde große Dinge tun, die nicht nur Frauenkultur, sondern die ganze saudische Kultur betreffen."
"Ich bin Mounira Zamer, BWL-Studentin im letzten Jahr. Ich sehe mich als Teil der Vision 2030, die der Frau viele Möglichkeiten bietet. Und in Zukunft sehe ich mich in einer Führungsposition."
Frauen erhalten mehr Autonomie
Die Vision 2030, die Saudis gern zitieren, ist die des Kronprinzen Mohammed Bin Salman, der damit das ganze Land umstrukturieren will: Aus dem ölabhängigen Rentierstaat mit ultrakonservativen Gesellschaftsregeln und einer unterbeschäftigten Jugend soll ein innovativer Weltmarktplayer mit blühender Privatwirtschaft werden – natürlich immer noch unter der Herrschaft der Al Sauds. Dafür braucht der Kronprinz die Frauen, und deswegen öffnet er ihnen immer mehr Möglichkeiten. Zwar ist das System männlicher Vormundschaft noch nicht völlig abgeschafft, in vielen Bereichen können Frauen aber mittlerweile autonom agieren. Die Journalistin Somayya Jabarti zählt einige auf:
"Frauen können ohne Zustimmung reisen, sie können in Hotels oder an Strände gehen, sie können arbeiten und studieren, ihren eigenen Reisepass bekommen, einen Führerschein machen, ohne Zustimmung. Was fehlt, ist das Bewusstsein dafür – und dass Frauen fühlen, dass sie das Recht darauf haben und es ihnen keine Probleme bereiten wird."
2018 arbeiteten 23 Prozent der Frauen
Frauen müssten ihre Rechte auch wahrnehmen und sich Männern ebenbürtig fühlen, statt sich diesen weiter unterzurodnen, findet Somayya Jabarti. Sie ist seit kurzem stellvertretende Chefredakteurin bei der englischsprachigen Medienplattform ArabNews. Sie soll dafür sorgen, dass bis Ende 2020 in ihrem Newsroom genau so viele Frauen wie Männer arbeiten. Momentan sind es 37 Prozent Frauen, womit das Medium weit über dem nationalen Durchschnitt liegt. Nach Angaben des Pew Research Centers lag der Anteil der Frauen an den Erwerbstätigen im Königreich 2018 bei 23 Prozent. Das bedeutet schon eine gewaltige Zunahme im Vergleich zu den Vorjahren – und es hat einiges verändert. Somayya Jabarti versichert, dass es jenseits des Bildungssektors kaum noch Geschlechtertrennung gebe:
"Männer und Frauen arbeiten zusammen und lernen, zusammen zu arbeiten. Sogar im öffentlichen Sektor arbeiten viele Männer und Frauen im gleichen Büro. Ich glaube, das echte Leben übernimmt die Führung – und im echten Leben haben Männer und Frauen miteinander zu tun. Sogar in der großen Moschee in Mekka gibt es keine Frauen- und Männerabteilung. Alle Rituale sind für Männer und Frauen gemeinsam. Symbolischer geht es wohl nicht. Ich denke, jetzt passiert, was nur natürlich ist."
Im Eingangsbereich der Arab News hängt eine vergrößerte Titelseite vom 24. Juni 2018. "Motoren an - Souveniredition für den Tag, an dem sich die Frauen in Saudi-Arabien ans Steuer setzen", steht da neben dem Kopf einer Frau, in deren Sonnenbrille sich ihre Hände am Steuer und die Straße spiegeln. Somayya Jabarti erzählt, wie wichtig ihr dieser Tag war und dass sie kurz danach mit ihrer Tochter zusammen den Führerschein gemacht hat.
"Auf dem Weg in einen Polizeistaat"
Für Lina al-Hathloul muss der Tag, an dem saudische Frauen endlich Autofahren durften, bitter gewesen sein. Denn ihre Schwester Loujain, die so lang für die Aufhebung des Fahrverbots gekämpft hatte, war da schon seit einigen Wochen in Haft, ebenso wie einige andere Frauenrechtsaktivistinnen. Zunächst kursierte in den Medien, die Frauen seien als "Verräterinnen" und "ausländische Agentinnen" festgenommen wurden. Doch kurz vor Prozessbeginn wurde der zunächst als Terrorismus eingestufte Fall an ein normales Strafgericht überwiesen. Lina al-Hathloul schilderte das vor kurzem bei einer Veranstaltung in Berlin. Plötzlich werfe man ihrer Schwester andere Dinge vor:
"Es geht im Grunde um ihr ganzes Engagement, dass sie Teil der feministischen Bewegung war, dass sie sich für Frauenrechte eingesetzt hat, dass sie in diesem Rahmen in Kontakt mit ausländischen Journalisten und Diplomaten stand und dass sie sich auf eine Stelle bei den Vereinten Nationen beworben hat."
Für Lina al-Hathloul, die nicht mehr in Saudi-Arabien lebt, ist klar, dass der immer noch laufende Prozess gegen ihre Schwester Teil einer schlimmen Entwicklung ist. Ihrer Meinung nach wird Saudi-Arabien immer mehr zum Polizeistaat. Früher habe man die roten Linien gekannt, die man nicht überschreiten durfte – jetzt sei schon jede eigene Meinung ein Problem. Deswegen sieht sie auch die neuen Möglichkeiten für Frauen mit gemischten Gefühlen:
"Ich befürworte diese Reformen ehrlich, sie sind sehr gut für das saudische Volk. Meine Schwester hat dafür gekämpft, ich lehne das jetzt nicht ab. Aber andererseits sind die Menschen, die für diese Reformen gekämpft haben, im Gefängnis; sie werden gefoltert, andere sind verschwunden. Es sind einseitige Entscheidungen - diese hier sind gut, aber es könnte auch welche geben, mit denen ich nicht einverstanden bin. Die Struktur dieser Entscheidungsfindung ist falsch. Die Reformen sind nicht vollständig, wenn die Bürger nicht das Recht haben, mehr zu fordern."