In das Frauen-Musik-Archiv kann der Besucher nicht einfach eintreten, es muss ihm aufgetan werden. Mit voller Absicht, erklärt Archivleiterin Lydia Hasselbach, denn immerhin sei das hier auch ein besonderer Ort. „Wir haben hier Werke von über 1.800 Komponistinnen, es ist auch ein internationaler Sammlungsbestand. Wir haben über 20.000 Medieneinheiten und es ist die weltweit größte Sammlung seiner Art, also weltweit einzigartig.“
Und wie um den Beweis dafür anzutreten, führt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Elisabeth Treydte Gäste gerne in eine Art Separee. „Ich würde Sie gerne am Anfang entführen in unsere Schatzkammer des Archivs, gleich zu dem Herzstück vordringen, und zwar verbirgt sie sich hier dahinter ...“
Zwei große Flügeltüren führen in diese Schatzkammer, die einem großen begehbaren Kleiderschrank ähnelt. Es ist deutlich kühler hier und ringsum sind große, sorgfältig beschriftete Kartons mit Notenblättern in Regalen gestapelt, dazwischen aber auch Bilder, CDs und ledergebundene Bücher. „Wir haben die ganz alten Sachen von Hildegard von Bingen zum Beispiel, dann gehen wir chronologisch durch den Raum durch.“
Hinter einer Glasscheibe fällt ein Brief ins Auge: Die Komponistin Clara Schumann hat ihn am 10. Juni 1884 aus Frankfurt an einen Schüler geschrieben. „Geehrter Herr Müller, Sie erhalten hierbei dass mir freundlich gesandte Konzert zurück. Dasselbe zeigt, wie fleißig Sie gewesen sind, aber über ein so umfangreiches Werk ein allumfassendes Urteil zu fällen, würde eine Kenntnisnahme desselben erfordern, zu der mir an Zeit gebricht und gerade jetzt bin ich von Vielerlei ganz besonders in Anspruch genommen.“ Im Klartext heißt das wohl, dass Clara Schumann offenbar eine gestrenge Lehrerin gewesen war, glaubt auch Elisabeth Treydte.
Das Frauen-Musik-Archiv will neben der Musik auch einen Gesamteindruck von der jeweiligen Zeit vermitteln, in der die Komponistinnen gearbeitet haben. Dabei ist das Frauen-Musik-Archiv auf Schenkungen angewiesen. Die seien dafür manchmal sehr umfassend, verrät die Archivarin und betritt einen weiteren Raum. Hier ist es eher schummrig, seltsame Geigen hängen an der Wand und die Einrichtung wirkt wie aus einer anderen Zeit, besonders das schwarze, schnörkelige Gabeltelefon mit Wählscheibe.
Manchmal eine größere Orientierung am Handwerk
„Das ist nämlich der Nachlassraum, in dem vor allem die Werke von Felicitas Kuckuck gelagert werden.“ Manchmal vermachen die Künstlerinnen selbst dem Frauen-Musik-Archiv zu Lebzeiten ihre Werke, quasi als vorzeitiges Erbe. Deshalb hat das Archiv nicht nur klassisches, sondern auch Weltmusik und hochaktuelle experimentelle Musik zu bieten. „Wie bei Tsipi Fleischer, die sagt, sie möchte, dass ihre Werke hier geschützt liegen, weil sie eben Sorge hat, dass in Israel das möglicherweise nicht so wäre.“
Elisabeth Treydte geht weiter in den hellen, holzgetäfelten Musikraum, wo gerade zwei Besucher arbeiten. Die Musikerin Despina Apostolou-Hölscher sitzt hochkonzentriert am Flügel, hinter ihr ihr Kollege Puchan Mousavi Malvani mit seiner Geige. Sie wollen sich ganz bewusst unbekannte Kompositionen von Frauen erarbeiten, sagt die junge Pianistin. „Es geht um ein Konzert, das Ende Januar stattfinden wird und wir sind hier einfach, um Werke auszuprobieren, um zu entscheiden, was wir spielen werden und ich bin auch sehr dankbar, dass das Archiv uns unterstützt.“
Sie probieren mehrere Stücke aus. Das sei zum Teil harte Arbeit, erklärt der Geiger, weil Komponistinnen manchmal ungewöhnliche Stücke schreiben würden. „Ich spür‘ da manchmal eine größere Orientierung am Handwerk als vielleicht manch ein Mann, ich hab das Gefühl, die sind sehr ernst bei der Sache.“ Das sind die beiden Musiker jetzt auch wieder. Denn nicht nur für das Konzert läuft die Zeit davon, auch beim Frauen-Musik-Archiv läuft möglicherweise der Countdown. Archivleiterin Lydia Hasselbach jedenfalls scheint ziemlich besorgt.
„Es ist so, dass in den letzten Jahren das Archiv anteilig vom Land Hessen und der Stadt Frankfurt finanziert wurde, und die Stadtverordneten haben jetzt leider beschlossen, dass sie ab 2014 das Archiv Frauen-Musik leider nicht mehr finanziell unterstützen werden.“ Damit bricht fast die Hälfte des Etats weg, und wenn das Frauen-Musik-Archiv nicht schnell eine Lösung findet, steht diese weltweit einzigartige Sammlung, die seit dreißig Jahren eine Fundgrube für Forscher, Musiker und Lehrer ist, tatsächlich vor dem Aus.