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Frauen-WM 2023
Warum die FIFA bei hohen Testosteronwerten veraltete Regeln hat

Der Weltfußballverband FIFA befindet sich nur wenige Wochen vor Beginn der Frauen-WM, in einem Konsultationsprozess und will Regeln zu intersexuellen Spielerinnen überarbeiten. Sambias Kapitänin Barbra Banda ist betroffen - doch sie wird antreten.

Payoshni Mitra im Gespräch mit Raphael Späth |
Barbra Banda ist Sambias beste Spielerin und Teamkapitänin
Barbra Banda ist Sambias beste Spielerin und Mannschaftskapitänin. Beim Afrika-Cup 2022 sollte sie eigentlich für Sambia auf Torejagd gehen, wurde aber wegen zu hoher Testosteronwerte kurzfristig aus dem Kader gestrichen. Bei der WM soll sie jetzt aber starten. (dpa / picture alliance / Shaun Roy )
Wegen zu hoher Testosteronwerte durfte Sambias Kapitänin Barbra Banda im Sommer 2022 beim Afrika-Cup nicht mitspielen. Der Fall erinnert an den Fall der südafrikanischen Leichtathletin Caster Semanya, die vor ein paar Jahren aus ähnlichen Gründen vom Leichtathletik-Weltverband von Wettbewerben ausgeschlossen wurde. Bei der Frauen-WM im Australien und Neuseeland soll Banda aber dabei sein - der Weltverband FIFA überarbeitet derzeit seine Regeln zur der Geschlechterbestimmungen.
Der Prozess ist aber noch nicht abgeschlossen. Payoshni Mitra, Anwältin der Leichtathletin Caster Semenya, kritisiert die Regeln der FIFA als komplett veraltet und unfair. Die FIFA müsse einen klaren Fokus auf Menschenrechte legen und nicht auf unzureichende wissenschaftliche Daten.

Das Interview im Wortlaut:

Raphael Späth: Wie lässt sich der Fall der sambischen Fußballerinnen mit dem Fall von Caster Semenya vergleichen?
Payoshni Mitra: Die Debatte um die Inklusion von Frauen mit Variationen der Geschlechtsentwicklung, kurz: DSD-Athletinnen, hat sich in den letzten Jahren hauptsächlich auf die Leichtathletik fokussiert. Das liegt am Leichtathletik-Weltverband, der im Gegensatz zu anderen Verbänden seit Langem proaktiv Regularien für die Einschränkung dieser Athletinnen aufstellt.
Der Leichtathletik-Verband ist immer anhand neuer wissenschaftlicher Daten vorangegangen, war sogar schneller als das IOC. Das IOC ist jetzt übrigens einen anderen Weg gegangen und will in Zukunft mehr Fokus auf Menschenrechte legen. Wenn wir aber über dieses Problem reden, dann sage ich ständig: 'Ja, wir müssen über Leichtathletik sprechen.' Aber diese Debatte ist nicht nur eine Leichtathletik-Debatte. Es geht um so viele Sportarten. Und wenn wir schauen, welche Sportarten immer mehr Fälle von DSD-Athletinnen aufzeigen, dann sind das Sportarten, die in großen Teilen der Welt leicht zugänglich sind.

"Von den Fällen hören wir aber nichts nichts"

Leichtathletik gehört da dazu, aber natürlich auch Fußball. Das sind Sportarten, in denen auch Athletinnen aus dem globalen Süden aus einfachen Verhältnissen teilnehmen können. Im Fußball hat es in letzter Zeit auch immer mehr Fälle gegeben, keiner davon aber so populär wie der von Caster Semenya. Von denen hören wir nichts. Und das liegt einfach daran, dass die Regeln, die in diesen Sportarten von den Verbänden aufgestellt wurden, bis jetzt noch nicht juristisch angefochten wurden. Anders als in der Leichtathletik.
Späth: Der Leichtathletik-Weltverband hat in den letzten Jahren seine Regeln ja nochmal verschärft. Ab sofort dürfen Athletinnen ja in allen Disziplinen nur noch starten, wenn sie ihr Testosteronlevel auf ein gewisses Niveau senken. Wie sehen den die aktuellen Regeln von FIFA aus?
Mitra: Ja und im Fall der sambischen Fußballerinnen hat der afrikanische Verband ja auf genau diese FIFA-Regeln verwiesen. Diese Regularien sind aus dem Jahr 2011 und komplett veraltet. Vor allem im Kontrast zu den Regeln des Leichtathletik-Verbandes oder des IOC: Dort steht ganz klar, dass das Geschlecht einer Athletin nicht vom Verband bestimmt werden darf. Und das ist inzwischen auch der Grundkonsens im Sport. Und trotzdem gelten bei der FIFA noch Regularien, die immer noch 'Geschlechts-Verifikations-Regeln' heißen, was absolut veraltet und unfair ist, weil ja schon im Namen das Geschlecht einer Athletin hinterfragt wird. Und dazu haben sie kein Recht.
Und was mir Sorgen bereitet ist, dass die FIFA ja eigentlich eine Menschenrechtsabteilung hat, die aus meiner Sicht viel gute Arbeit leistet. Aber diese Regeln wurden bis heute nicht überarbeitet.
Was wir deshalb sehen, ist, dass Verbände auf nationaler Ebene dieses lose Regelwerk so anwenden, wie sie es wollen. Als Aktivistin für Athletenrechte finde ich es besorgniserregend, dass diese internationalen Verbände Regeln aufstellen, dann aber nicht versuchen, die nationalen Verbände aufzuklären, was das Thema angeht. Obwohl das ja genau auf dieser Ebene elementar wichtig ist, weil das direkt die Athletinnen betrifft. Weil es schlussendlich die nationalen Funktionäre und Trainer sind, die die Entscheidungen treffen. Und wenn diese Entscheidungsträger gar nicht verstehen, was das aus Menschenrechtssicht bedeutet, könnte das für die Athletinnen gravierende Folgen haben und potenziell auch schädlich sein.

"Die Athletinnen stehen im hierarchischen System immer ganz unten"

Späth: Inwiefern?
Mitra: Was auf nationaler Ebene passiert ist, dass diese Regularien aus dem Jahr 2011 zufällig und willkürlich angewendet werden. In diesen Regeln sind zum Beispiel gar keine Grenzwerte für Testosteron festgelegt. Das bedeutet, dass plötzlich die Mediziner in diesen Ländern die Entscheidungen treffen. Und die greifen dann einfach auf Grenzwerte von anderen Sportverbänden zurück und wenden die willkürlich an.
Sport ist ein sehr hierarchisches System. Und die Athletinnen stehen immer ganz unten, vor allem in diesen Teilen der Welt. Sie wissen oftmals gar nicht über ihre Rechte Bescheid und dürfen diese Rechte gar nicht ausüben. Das ist in vielen Ländern auch ein kultureller Unterschied: Dort muss man auf seine Trainer, auf seine Funktionäre, auf seine Vorgesetzten hören und sich unterordnen. Und das macht die Situation noch komplexer. Die Athletinnen sind sich ihrer Rechte oft gar nicht bewusst oder wissen nicht, an wen sie sich wenden müssen, wenn sie sich unter Druck gesetzt fühlen. Und diese Kultur macht viele Athletinnen im globalen Süden noch angreifbarer, was nicht nur ungewollte Untersuchungen angeht, sondern auch ungewollte medizinische Eingriffe und Missbrauch.
Späth: Sie haben in letzter Zeit auch mit dem sambischen Fußball-Verband gearbeitet. Wie geht man dort mit diesen Fällen um?
Mitra: Wenn ich über das Thema spreche, dann meine ich damit nicht unbedingt Sambia. In Sambia hat der Frauenfußball einen hohen Stellenwert und wird unterstützt. Aber auch dort gibt es Missbrauchsfälle, die momentan wahrscheinlich untersucht werden. Deshalb kann ich darüber nicht viel sagen.
Aber generell habe ich in meiner Arbeit in asiatischen und afrikanischen Ländern festgestellt, dass das Verständnis für Mädchen- und Frauenrechte im Sport oftmals fehlt. Und weil Sport dort mit Erfolg und Nationalstolz assoziiert wird, werden viele Missbrauchsfälle einfach geduldet und akzeptiert, weil dadurch ein größeres Ziel verfolgt wird. Und das macht es noch komplexer. Aber die Situation in Sambia will ich nicht kommentieren, das wäre absolut unfair.

"Hier geht es auf jeden Fall auch um Rassendiskriminierung"

Späth: Wenn wir über diese Fälle von Athletinnen mit erhöhten Testosteronwerten oder mit Variationen der Geschlechtsentwicklung sprechen, dann sprechen wir hauptsächlich über Schwarze Athletinnen oder Athletinnen aus dem globalen Süden. Warum ist das so?
Mitra: Da gibt es viele unterschiedliche Antworten. Aber es ist so, dass in letzter Zeit vermehrt Frauen aus Ländern des globalen Südens getestet werden. Das haben viele Menschen, die Teil dieser medizinischen Kommissionen in den Weltverbänden sind und waren, auch bestätigt. Und wenn man mehr Frauen aus diesen Regionen testet, dann ist automatisch die Wahrscheinlichkeit auch höher, dass es auch mehr solcher Fälle gibt.
Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Alle Athletinnen, mit denen ich gearbeitet habe, stammen aus asiatischen oder afrikanischen Ländern. Und ich habe schon das Gefühl, dass unverhältnismäßig viele Frauen aus dem globalen Süden von diesen Regularien betroffen sind. Also geht es hier auf jeden Fall auch um Rassendiskriminierung.

"Menschen, die solche Entscheidungen treffen, befinden sich in ihrer eigenen Blase"

Späth: Auf der anderen Seite begründen viele Verbände ja ihre Regularien auch mit wissenschaftlichen Daten. Der Welt-Schwimmverband hat zum Beispiel erst letzten Sommer ein strenges Regelwerk verabschiedet und dabei für transgender Frauen und Athletinnen mit Sex Variations quasi die gleichen Maßstäbe angelegt. Ist das gerechtfertigt?
Mitra: Wissen Sie, Menschen, die solche Entscheidungen treffen, befinden sich ja auch in ihrer eigenen Blase. Es wird in letzter Zeit viel über transgender Athletinnen und deren Inklusion debattiert und mit der Debatte um DSD-Athletinnen vermischt. Das ist absolut unfair. Vor allem, weil all diese Athletinnen mit Variationen der Geschlechtsentwicklung aus dem globalen Süden kommen, aus komplett anderen soziokulturellen Verhältnissen. Auch aus anderen wirtschaftlichen Verhältnissen, also sprechen wir auch finanziell von einer ganz anderen Situation.
Das sind alles Dinge, denen sich die Entscheidungsträgerinnen in den Verbänden bewusst sein müssen. Und was wir jetzt momentan sehen ist, dass diese Regeln sehr eurozentrisch oder nordamerika-zentrisch sind, jedenfalls sehr auf den globalen Norden ausgerichtet. Und solange man nicht Leute mit einbezieht, die von diesen Regeln betroffen sind, Menschen aus dem globalen Süden, die sich all dieser Strukturunterschiede bewusst sind, kann man keine adäquaten Regeln aufstellen.

"Ich erwarte, dass die FIFA einen klaren Fokus auf Menschenrechte legt"

Späth: Jetzt hat die FIFA angekündigt, das eigene Regelwerk aus dem Jahr 2011 auch überarbeiten zu wollen. Sie haben es vorhin schon angesprochen, viele Sportverbände haben in letzter Zeit einen anderen Kurs eingeschlagen als zum Beispiel das IOC, das ja jetzt voll auf Menschenrechte setzt und diese priorisiert. Was erwarten Sie von der FIFA?
Mitra: Die FIFA hat eine Menschenrechtsabteilung und hat sich auch zu Menschenrechten bekannt. Deshalb erwarte ich von der FIFA, Entscheidungen zu treffen, die Menschenrechte priorisieren, anstatt fragwürdige wissenschaftliche Daten heranzuziehen.
Ich habe mit vielen wissenschaftlichen Expertinnen und Experten gesprochen, die mir erklärt haben, dass die Wissenschaft momentan keine eindeutigen Beweise liefert, wenn es darum geht, ob Athletinnen mit erhöhten Testosteronwerten tatsächlich auch einen sportlichen Vorteil haben. Ich erwarte deshalb, dass die FIFA einen klaren Fokus auf Menschenrechte legt. Und nicht auf unzureichende wissenschaftliche Daten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.