Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft der Frauen musste bei der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland überraschend früh die Heimreise antreten. Die schwache Leistung und das daraus resultierende 1:1 gegen Südkorea im letzten Gruppenspiel reichte letztlich nur zu Rang drei in der Gruppe - und damit nicht für das Achtelfinale.
"Was auffällig am TV-Gerät war, dass Spielerinnen es einfach nicht geschafft haben, ihr Potential abzurufen", sagte Stephan Lerch, Trainer der Frauen-Mannschaft der TSG Hoffenheim und mehrfacher Deutscher Meister mit den Frauen des VfL Wolfsburg, im Deutschlandfunk.
"Ich meine, vor allem das Potential abzurufen, wenn es Widerstände gibt, wenn vielleicht mal ein Matchplan nicht so funktioniert oder der Gegner einfach einen guten Matchplan hat. Sich dann darüber hinwegzusetzen, an die eigene Stärke zu glauben und das Potential abzurufen, das war ein entscheidender Punkt." Die grundsätzliche spielerische Qualität besitze die Frauen-Nationalmannschaft nämlich, so Lerch.
Parallelen zwischen Frauen- und Männerteams
Die Fähigkeit, Widerstände zu überwinden, hat auch der U21-Nationalmannschaft der Männer und auch der A-Nationalmannschaft in der Vergangenheit gefehlt. Für Lerch sei es auffällig, dass es diese Parallelen zwischen Frauen- und Männer-Team gibt. "Ich glaube generell, dass das ein Thema ist, das uns auch in der Gesellschaft begleitet. Das Thema Umgang mit Widerständen, Umgang mit Kritik, Umgang mit negativen Erfahrungen. Und ich glaube, dass das schon ein Punkt ist, dem man mehr Aufmerksamkeit schenken sollte, auch in der Trainingsarbeit und in der Ausbildung."
Im taktischen und technischen Bereich hätte sich im Frauenfußball in den vergangenen Jahren viel entwickelt, so Lerch. "Aber ein wichtiger Faktor ist eben auch diese Mentalität."
In der Ausbildung gibt es nun eine Diskussion, ob im Jugendbereich auf mehr oder weniger Ergebnisdruck gesetzt werden sollte. "Ich bin ein Freund davon, dass es nicht immer nur ums Gewinnen gehen kann", sagte Lerch, schob aber hinterher: "Das Entwickeln und das Vorbereiten auf den Leistungssport funktioniert ohne Gewinnen und Verlieren einfach nicht. Das alles abzuschaffen und nicht mehr in den Fokus zu rücken, finde ich nicht gut. Ich glaube, man braucht eine gute Balance." Wer Profi-Fußballerin oder -Fußballer werden wolle, müsse lernen, mit Gewinnen und Verlieren umgehen zu können, so Lerch. "Weil das ist einfach das System, was wir in den Profiligen vorfinden."
Lerch sieht WM-Aus als Chance
Die ehemalige Chefin der Deutschen Fußball Liga, Donata Hopfen, sprach davon, der deutsche Fußball sei abgehängt worden. Lerch sieht in dieser Diskussion auch eine Chance: "Ich glaube, wir würden jetzt nicht über diese Themen reden, wenn die Frauen-Nationalmannschaft ins Halbfinale gekommen wäre oder gar ins Finale", sagte er. "Ich sehe das als Chance und die Erfahrung, die ich über Jahre gemacht habe ist, dass bestimmte Dinge - gerade in Verbänden - etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen."
Diese "Prozesse" seien notwendig, sagte Lerch. "Der Fußball verändert sich, der Frauenfußball verändert sich und damit müssen wir auch die Strukturen bei uns verändern. Und das hat in den letzten Jahren doch immer wieder Zeit in Anspruch genommen. Deswegen bin ich auch sehr gespannt, ob das jetzt zum Anlass genommen wird, grundlegende Dinge zu hinterfragen."
Der Vize-EM-Titel der U19-Frauen zeige, "dass wir eine gewisse Qualität in den eigenen Reihen haben. Aber wir müssen vor allem in der mentalen Entwicklung, in der Gewinner-Verlierer-Mentalität, wieder ein anderes Auftreten an den Tag legen."
Lerch: Mädchen sollten mit Jungs trainieren
Lerch wünscht sich nun, dass der DFB auf die Vereine zugeht. "Welche Vereine könnten als Kooperationsvereine zur Verfügung stehen, dass man es vielleicht schafft, auch mehr Mädchen mit Jungs zusammen trainieren oder gegen Jungs auch spielen zu lassen. Nicht nur, dass man gegen Jungs spielt bringt etwas, sondern auch, wenn man mit Jungs spielt." Lerch hofft, "dass man Brücken baut, dass man Anreize schafft in Richtung der eigenen Nachwuchsleistungszentren, um solche Projekte ins Leben zu rufen", sagte er.
Auch in der Trainerausbildung sieht Lerch Nachholbedarf: "Wir brauchen gut ausgebildete Trainer, sowohl im männlichen U-Bereich als auch im weiblichen U-Bereich, die eben genau diese Punkte, die ich beschrieben habe, in den Fokus nehmen." Hier müsse der DFB vorangehen und dann in den Austausch mit den Vereinen kommen.
Dass die Euphorie, die die Frauen-Nationalmannschaft mit der EM im vergangenen Jahr entfacht hat, nach dem WM-Aus wieder weg ist, glaubt Lerch nicht. "Aber ich glaube, dass das natürlich jetzt schon erst einmal ein Dämpfer sein wird", sagte er. "Aber ich denke nach wie vor, dass sowohl die Bundesliga-Mannschaften und auch das Niveau nicht grundlegend darunter leiden werden, sondern dass da auch die nächsten Schritte im Frauenfußball gegangen werden können. Und da müssen wir als Vereine dementsprechend unseren Job machen."