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Fußball-WM der Frauen
Warum Fußball in Australien nur Randsportart ist

Die australischen Fußballerinnen gehören bei dieser WM zu den Publikumsmagneten. In Australien selbst zählen sie zu den beliebtesten Nationalmannschaften. Der Fußball ist im Land aber nur Randsportart. Die Gründe dafür liegen in der Kolonialzeit.

Von Raphael Späth |
Wer in Australien über Fußball sprechen will, stößt schnell auf ein großes Problem: Für Fußball gibt es in Down Under zwei Begriffe: Football und Soccer.
"Fußballfans in Australien sehen das Wort „Soccer“ fast schon als Sklavennamen an, der die Schwierigkeiten repräsentiert, mit dem der Sport viele Jahrzehnte zu kämpfen hatte“, erzählt Andy Harper, der in den 90ern viele Jahre lang in der australischen Liga war. "Es gab dann auch eine echte Kampagne für den Begriff „Football“, nach dem Motto: Wir sind der echte Football, wir sind Teil der weltweiten Fußball-Welt. Ein Grund, weshalb die Fußballfans da so empfindlich sind, ist, weil sie die australische von der amerikanischen Kultur abgrenzen wollen. Und dass die Amerikaner den Sport Soccer nennen, ist einer der Gründe, warum wir das nicht wollen.“ 

Kolonialisten wollten verhindern, dass Fußball populär wird

Andy Harper hat sich nach seiner aktiven Karriere intensiv mit der historischen Rolle seiner Sportart in Australien beschäftigt. In seiner Doktorarbeit stellt er fest, dass der australische Fußball eine lange Tradition hat, die bis in die Kolonialzeit zurückgeht: Eigentlich wollten die britischen Kolonialisten verhindern, dass der Fußball in Australien populär wird.
Harper: „Die Entscheidungsträger, die Kolonialisten in Großbritannien wollten eine gewisse Art von „Britishness“ exportieren, und Fußball hat da nicht reingepasst. Und das hatte Gründe: Fußball hat, vor allen anderen Sportarten, die weiße Oberschicht verlassen und die Mittelschicht erreicht. Sie haben die Kontrolle darüber verloren, Fußball war plötzlich kein Sport für Weiße mehr, sondern für alle Ethnizitäten der Welt. Und deshalb war Fußball, um den politischen Einfluss an Orten wie Australien zu halten, nie besonders gerne gesehen.“
An privaten Schulen, die früher nur für die weiße Oberschicht der australischen Gesellschaft bestimmt waren, war Fußball lange Zeit verboten. Stattdessen wurde je nach Standort Rugby oder Cricket gespielt. „Diese Mauer wurde dann irgendwann in den 1980er Jahren eingerissen, ähnlich wie in Ost-Berlin. Und als sich Menschen dann irgendwann für Fußball entscheiden konnten, kam auch die Begeisterungswelle für Fußball auf.“

Profi-Fußball in Australien nur spärlich besucht

Trotzdem: Die historische Unterdrückung der Sportart ist der Grund, weshalb in Australien heute eine große Lücke zwischen dem Profi- und dem Amateurfußball klafft. Während Fußball im Breitensport eine der beliebtesten Sportarten ist, sind die Stadien der professionellen Fußball-Vereine in Australien nur spärlich gefüllt.
Australian Football, Rugby und Cricket heißen die Teamsportarten, die in Australien den sportlichen TV-Markt dominieren und die Fans in die Stadien locken. „Weil die britischen Kolonialverbindungen und Verbindungen zu anderen Sportarten, die hier über 100 Jahre lang geknüpft wurden, sehr stark sind. Und diese Sportarten werden das jetzt nicht einfach aufgeben. Andere Sportarten sind fest verwurzelt und daraus entwickeln sich dann die Einschaltquoten. Das, was schlussendlich auch den Markt diktiert. Und wir haben das noch nicht. Wir haben zwar viele Spieler, aber: Menschen wachsen auf und spielen Fußball, aber sie setzen sich dann nicht vor den Fernseher und schauen es auch.“
Sinnbildlich dafür steht bei dieser Weltmeisterschaft der Standort Melbourne. In einer der sportverrücktesten Städte Australiens gastiert die Fußball-WM in diesem Jahr nur bis zum Achtelfinale. „Das ist ja die Ironie: Melbourne ist stolz darauf, eine der größten Sportstädte der Welt zu sein, aber das größte Sportereignis der Welt können wir hier nicht wirklich unterbringen.“

Fußball spielt in Melbourne eine untergeordnete Rolle

Kimon Taliadoros ist CEO des Fußball-Landesverbandes in Victoria. Er erklärt: Der Fußball spielt in Melbourne nur eine untergeordnete Rolle. Australian Football, Cricket, Netball, Basketball und Tennis: Sie alle haben in der Landeshauptstadt Victorias ihren Hauptsitz. Für Fußball bleibt deshalb nicht viel Platz. „Die Nachfrage der Spielerinnen und Spieler ist höher als das Angebot, das wir ihnen hier an Vereinen oder Sportstätten bieten können. Also finden Leute andere Wege, um Fußball zu spielen.“
In Melbourne gibt es nur ein großes Stadion, das exklusiv für Fußball und Rugby gebaut wurde: Das Rectangular Stadium, das Platz für bis zu 30.000 Fans bietet. Aber: „Für das Viertel- und Halbfinale fordert die FIFA ein Stadion mit einer Kapazität von mindestens 50.000. Und das einzige Stadion, das das in Melbourne leisten kann, ist das Cricket-Stadion. Und das ist nicht verfügbar, weil die derzeitigen Mieter das nicht wollten. Und das ist die Australien Football League und der Cricket-Verband.“
Trotzdem hofft Kimon Taliadoros, dass diese Weltmeisterschaft einen Fußball-Hype in Australien und vor allem Melbourne auslöst: „Für uns ist die WM enorm wichtig, weil sie Aufmerksamkeit generiert. Gerade weil es so viele Sportarten gibt, ist Fußball hier in Victoria oftmals unsichtbar im Vergleich zu den anderen Sportarten, weil die so große Institutionen hier haben, die tief mit unserer Kultur verwurzelt sind. Und jetzt befinden wir uns in Zeiten, in denen der Frauenfußball plötzlich den Medienmainstream dominiert, und somit die Aufmerksamkeit für unseren Sport schafft, die sonst nicht existieren würde.“