Sie heißen Unserer lieben Frau, Sankt Maria oder Lieb-Frauenkirche – gemeint ist immer Maria, die Mutter Jesu. Sie ist Schutzpatronin vieler Kirchen in Europa. Auch des Freiburger Münsters. Dort zählen Kunsthistoriker mehr als 120 Mariendarstellungen: Verkündigungsszenen, wie Maria dem Engel begegnet, Maria als Himmelskönigin, die auf einer Mondsichel steht. Die Freiburger Theologiestudentin Carolin Hochstuhl fasst zusammen, was inzwischen viele theologisch interessierte Frauen über Maria denken.
"Es ist eigentlich eine Wahnsinns-Frauenfigur. Die aber in der Interpretation, in der traditionellen, total problematisch geworden ist für das Frauenbild. Weil halt eben nur dieses jungfräulich-mütterliche, also entweder jungfräulich oder mütterlich funktioniert – aber auf die normale Frau bezogen. ... und dabei würde das total viel Raum bieten für eine neue Interpretation, weil ohne Maria hätte die ganze Geschichte nicht angefangen."
Im Mittelalter hatte Maria in der Kirche schon einmal eine zentrale Rolle gespielt. Vom 12. bis 16. Jahrhundert war Maria eine Art Superstar – Männer wie auch Frauen verehrten sie. Auf dem Hochaltar im Freiburger Münster zeigt der Maler Hans Baldung Grien im Jahr 1516 die Krönung der Maria im Himmel. In der Szene setzen der auferstandene Jesus und Gottvater der Maria die Krone eigenhändig auf.
"Da ist sie wirklich eine ganz ganz machtvolle Gestalt, die sozusagen gleichauf ist mit der Dreifaltigkeit. Der auch die Engel dienen müssen, wie auch den drei Personen der Trinität", sagt die österreichische Theologie-Professorin und Buchautorin Theresia Heimerl.
"Maria ist die eine der zentralen Figuren, wenn nicht in solchen Kirchen tatsächlich auch die Hauptfigur. Rein im Bild hat man den Eindruck, dass sie den meisten und prominentesten Platz einnimmt", sagt Heimerl.
Das gotische Freiburger Münster ist der Maria gewidmet - wie viele Kirchen und Kathedralen aus dieser Zeit. Seit dem 5. Jahrhundert wird in christlichen Ländern das Fest Mariä Himmelfahrt gefeiert. Nach dieser Vorstellung fährt die Mutter Jesu nach ihrem Tod in den Himmel auf. In den historischen Bildern tragen ganze Engelscharen die kaum gealterte Frau in ihr himmlisches Heim an die Seite von Jesus, Gottvater und den Heiligen Geist.
Beschützerin vor dem strengen Gott
Auch als sogenannte Schutzmantelmadonna nimmt Maria im Mittelalter eine zentrale Rolle ein. In den Darstellungen trägt sie einen breiten Mantel oder Umhang, unter dem viele kleine Menschen stehen. Sie suchen die unter diesem Mantel Schutz vor Hunger, vor Seuchen und Kriegen, sagt Theresia Heimerl.
"Das Interessante ist, dass es durchaus Darstellungen gibt, wo Maria unter ihrem Mantel Menschen abschirmt vor dem Zorn Gottes. Der dann mit Pfeilen tatsächlich auf diese Menschen zu schießen versucht. Die dann von diesem Mantel abgehalten werden. Das ist schon sehr interessant, dass Maria zur mütterlichen und auch sehr mächtigen Beschützerin der Menschen wird. Nicht nur vor einem allgemeinen Elend, sondern auch als Beschützerin vor einem strengen und zornigen Gott und dessen Strafen."
So wird Maria zur Fürsprecherin der Menschen. Das Bild wird verständlich, wenn man sich die mittelalterliche Gesellschaftsordnung ansieht. Damals konnte ein einfacher Mensch nicht direkt mit dem Herrscher sprechen. Da gab es Vermittler – und diese weltliche Ordnung leitete man vom himmlischen Vorbild ab.
"Das ist natürlich der Klassiker, dass man sich als kleiner Mensch nicht direkt an Gott wendet oder sich zu wenden traut, sondern ähnlich jetzt dem mittelalterlichen Lehnswesen, dass man einen ranghöheren Fürsprecher oder in dem Fall Fürsprecherin hat, die für einen dann interveniert beim höchsten, allermächtigsten Herrscher, in dem Fall Gott."
Antike Göttinnen mischen mit
Und wenn Menschen damals die Marien-Kirche betraten, dann zündeten sie nicht nur ein Licht vor dem Marien-Schrein an. Sie fühlten sich auch von Maria adoptiert. Im Mittelalter gab es die Vorstellung, dass uneheliche Kinder unter den Mantel genommen wurden. Das war auch eine rechtliche Geste, die ihnen Schutz garantierte.
Ein anderes Motiv in diesen Kirchen ist die Sternenkranz-Madonna, die auf einer Mondsichel steht.
"Das verdankt sich ursprünglich Bildern aus der Apokalypse, der Offenbarung des Johannes. Wo von einer Frau eben, angetan mit der Sonne und so weiter die Rede ist, die mit Maria gleichgesetzt wird", so Heimerl.
Da fließen auch Vorstellungen über antike Göttinnen der Liebe und Schönheit wie Aphrodite und Venus ein. Auch sie werden mit dem Morgenstern bzw. Abendstern verbunden, sagt Heimerl.
Auch wenn Maria fast schon im Himmel residierte und eine mächtige Rolle als Fürsprecherin der Menschen vor Gott eingenommen hatte. Genossen die Frauen auf der Erde damals auch so viel Wertschätzung?
"Das ist eben einer der klassischen Fehlschlüsse, der nicht nur fürs Christentum gilt, sondern auch für Religionen, wo wir tatsächlich weibliche Gottheiten haben. Also ich kann für das mittelalterliche Christentum genauso wenig schlussfolgern, dass die Gesellschaft deswegen generell Frauen sehr positiv gesehen oder gleichgestellt hätte – wie wir das heute formulieren würden."
Nicht nur Ja und Amen
Nun gab es zwei große Brüche in der sehr ausufernden Marienverehrung: Mit der Reformation vor 500 Jahren war für die Protestanten erst mal Schluss mit Maria. Und ab den 1960-er und 1970-er Jahren waren Frauen weniger offen für diese Frömmigkeit. Weil sie mit einem Frauenbild verbunden wurde, das nur Demut und Unterordnung kannte.
Heimerl: "Wo Frauen, durchaus theologisch interessierte oder kirchlich engagierte Frauen zunehmend feststellen, dieses Marienbild, das mir da von der kirchlichen Obrigkeit oder auch in lehramtlichen Texten vorgesetzt wird. Das ist ein Frauenbild, das kann ich überhaupt nicht mittragen. So das wird eher zu so einem Bild wie eine moderne Frau, eine emanzipierte, eine selbstbestimmte Frau nicht sein möchte."
Erst in diesem Jahr formte sich ein katholisches Bündnis in Deutschland, das sich den Namen Maria 2.0 für ihre Bewegung ausgesucht hat. Nach dem Missbrauchsskandal verlangen diese Frauen die Gleichstellung in der Kirche, den Zugang zu Weihe-Ämtern. Diese Forderung nach dem Diakoninnen- und Priesterinnen-Amt wird mittlerweile auch vom großen katholischen Frauenverband kfd mitgetragen. Gerade formiert sich ein breites katholisches Bündnis von Frauen mit Maria-Gestalten im Zentrum. Diese Bewegung ist nicht nur in den deutschsprachigen Ländern aktiv, sondern auch in Italien und Frankreich.
Die Theologin Theresia Heimerl wundert der Aufschwung nicht. Es gibt nämlich noch eine andere Seite an Maria zu entdecken. Sie habe eben nicht Ja und Amen gesagt, sei kein braves Hausmütterchen gewesen, wie bestimmte Theologen und Lehramtliche Schreiben glauben machen wollten. Maria – die unverheiratet schwanger wurde - habe mit ihrer Schwangerschaft gegen die Konventionen der Gesellschaft verstoßen. Die Mutter Jesu sei ganz bewusst ein Risiko eingegangen.
"Wenn ich mir den Befund der Evangelien hernehme, ist das auch nicht eine ideale katholische Mutter. Der Sohn geht doch recht eigene und unorthodoxe Wege. Das ist eine Gestalt, die fast schon gleichberechtigt neben Jesus, neben Gott auch ihren Platz findet. Dann ist das angebracht, Maria auch als Vorbild zu nehmen."