Bei der Weltmeisterschaft in Frankreich werden zum ersten Mal in der Geschichte 50 Millionen Euro Prämie ausgeschüttet. Martina Voss-Tecklenburg sieht das als Anhaltspunkt dafür, dass die finanzielle Schere zwischen Frauen- und Männerfußball kleiner werde. "Wir wollen uns mit dem Männerfußball nicht vergleichen. Wir könne es ja auch gar nicht", findet die Fußballlehrerin. Man habe nicht den gleichen Marktwert, man habe nicht die gleichen vollen Stadien, aber im Rahmen der Möglichkeiten würde man sich entwickeln. Sie sei sich sicher, dass die Weltmeisterschaft in Frankreich sportlich hochwertig und ein Publikumsmagnet werde. "Ich glaube, dass wieder Rekorde gebrochen werden können – auch was die Zuschauerzahlen am TV angeht", so Voss-Tecklenburg im Deutschlandfunk. Der Frauenfußball müsse sich auch in der Konkurrenz mit den Männern "eine Nische der Aufmerksamkeit erarbeiten". Dazu habe der Frauenfußball "mit seinen Werten" eine gute Chance.
Der Gewinn der Europameisterschaft von 1989, bei der die heutige Trainerin als Spielerin auf dem Feld stand, sei ein Meilenstein für den deutschen Frauenfußball gewesen: "Wir haben etwas Großartiges erreicht, etwas, was im Frauenfußball Unglaubliches ausgelöst hat", so Voss-Tecklenburg. Man sei damals nicht aus professionellen Strukturen gekommen: "Es war da erste Mal, dass wir diese Plattform hatten, das erste Mal, dass wir im Fernsehen kamen". Man habe mit tollen Leistungen gezeigt, dass der Frauenfußball sehenswert sei: "Er würde heute in Deutschland nicht dort stehen, wo er ist, wenn wir 1989 nicht Europameister geworden wären", so Voss-Tecklenburg.
"Wir dürfen keinen Sportunterricht streichen"
Noch wichtiger sei aber, dass man schon im Vereinsfußball die Hürde im Denken zwischen der Männer- und der Frauen-Sparte überwinde, so die mehrmalige Europameisterin als Spielerin. Das fange schon in der Schule an. Voss-Tecklenburg erinnert sich an ihren eigenen Schulsport: "Die Mädchen sind in die rechte Hallenhälfte gegangen, die Jungs in die linke. Ich bin dann aber auch in die linke gelaufen, weil ich wusste, dass die Jungs Fußball spielen." Heute werde in Grundschulen und sogar Kitas schon die Ausbildung investiert, dass Fußball nicht geschlechtsspezifisch betrieben werde. Grundsätzlich seien aber andere Länder mit ihrem Schulsystem schon weiter. "Wir müssen dahin kommen, dass wir dort nicht im Sportunterricht die Stunden streichen, sondern dass wir Bewegungsunterricht haben."
"Den Sport besser verkaufen"
Zu einem Bundesliga-Spiel kommen aktuell rund 800 Zuschauer im Schnitt, die Zahlen sind seit Jahren leicht rückläufig. Auch mit Erfolgen der Nationalmannschaft erhofft sich Voss-Tecklenburg einen Aufschwung. "Wir müssen weiter daran arbeiten, unser eigenes Publikum zu fördern und zu fordern." Dabei würden auch die "tollen Seiten des Frauenfußballs" helfen, so die Bundestrainerin: "Wir haben keine Hooligans-Problematik, wir sind ganz nah an den Familien, wir haben eine unheimliche Fannähe. Wir haben eine tolle Dymanik im Spiel und zeigen tollen Sport. Und das müssen wir einfach verkaufen."
Im Juni steht für Martina Voss-Tecklenburg mit der Frauen-Nationalmannschaft jetzt die Weltmeisterschaft in Frankreich an. Das Ziel sei Lyon, bestätigt sie im "Sportgespräch". In Lyon, dem größten Stadion der WM, finden die Halbfinal-Spiele und das Finale statt. "Der Weg bis dahin ist lang, es ist im wahrsten Sinne eine Tour de France." Die Vorrundengruppe mit Spanien, China und Südafrika sei "eine schwierige Aufgabe". Ein Gerüst für den WM-Kader habe sie schon im Kopf, sagte die Bundestrainerin. Die vier Testspiele vor dem Turnier will Martina Voss-Tecklenburg auch nutzen, um "Dinge auszuprobieren". Für die WM selbst erwartet sie, ähnlich zur Männer-WM in Russland, dass vor allem das Umschaltspiel zum entscheidenden Faktor werden könnte.
"Der Videobeweis hat nur dann Mehrwert, wenn er funktioniert"
Noch nicht entschieden hat die FIFA, ob bei der Weltmeisterschaft der Video-Assistent zum Einsatz kommt. Grundsätzlich äußerte sich Martina Voss-Tecklenburg positiv. "Wir wollen Fairplay und gerechte Entscheidungen. Von daher hilft es sicherlich, den Fußball ein Stück weit gerechter zu machen." Wenn man aber zu der Entscheidung kommt, dass man noch nicht so weit ist, dann würde es die Bundestrainerin begrüßen, wenn er nicht eingesetzt wird. "Es hat nur dann einen Mehrwert, wenn es auch funktioniert."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.