Archiv

Frauenfußball in Libyen
"Dieses Spiel bedeutet uns viel mehr"

"Wenn man in einem Land wie Libyen aufwächst, braucht man etwas, das einem hilft, stark zu bleiben. Und das war bei mir Fußball," sagte Fadwa El Bahi im Dlf. Die Muslima führte die libysche Fußball-Nationalmannschaft lange als Kapitänin an. Ein Dokumentarfilm erzählt die Geschichte ihres Teams.

Fadwa El Bahi im Gespräch mit Klaas Reese |
Ausschnitt aus dem Film Freedom Fields: ein Mädchen spielt mit einem Fußball
Fimausschnitt aus "Freedom Fields". Der Dokumentarfilm handelt von Spielerinnen der libyschen Fubßall-Nationalmannschaft (Freedom Fields / Naziha Arebi)
Klaas Reese: Es ist ein Dokumentarfilm über die Zeit nach dem Arabischen Frühling, nach der Revolution in Libyen. Eine Zeit, die anfangs von Hoffnung geprägt war. Aber es wurde auch eine Zeit der Verzweiflung für Ihr Land, vor allem für weibliche Fußballerinnen. Was hat Fußball Ihnen bedeutet, vor und nach den politischen Veränderungen in Libyen?
Fadwa El Bahi: Fußball ist meine große Stütze. Ich sage immer: Wenn man in einem Land wie Libyen aufwächst, braucht man etwas, das einem hilft, stark zu bleiben. Und das war bei mir Fußball. Es gibt mir Kraft, weil das Leben als Frau in Libyen nicht leicht ist. Es hat mir sehr geholfen. Auch nach der Revolution war es mein Traum, für die Nationalmannschaft zu spielen und mein Land auf eine positive Art und Weise zu repräsentieren. Das ist aber nie geschehen. Weder vor noch nach der Revolution. Das Einzige, was sich für mich verändert hat, ist, dass es vor der Revolution sicherer war Fußball zu spielen. Nach der Revolution war es nicht mehr sicher.
Reese: Können Sie das den Menschen erklären, die den Film nicht gesehen haben? Wieso ist es nach der Revolution schwieriger geworden?
El Bahi: Es ist schwieriger, weil Libyen jetzt in einem Übergangszustand ist, nach 40 Jahren Gaddafi-Diktatur. Die hat das Land ins Chaos versetzt, weil 40 Jahre eine sehr sehr lange Zeit sind.
Und das Land jetzt zu demokratisieren… das dauert. Im Moment herrscht einfach ein extremes Chaos, mit Milizen und zwei Regierungen. Es ist sehr schwer für uns, dort zu leben. Jeder könnte jedem alles antun. Es ist unsicher. Also wenn jemand will, dass wir keinen Fußball mehr spielen, könnte jeder - und ich betone jeder - uns stoppen.
"Sie hatten Angst vor Veränderung"
Reese: Sie haben gesagt, Sie wollten für die Nationalmannschaft spielen und im Film sieht man auch, dass viele Menschen gegen Sie und Ihr Team waren. Religiöse Anführer haben sich zu Wort gemeldet und gesagt, Ihre Nationalmannschaft würde die Moral in Libyen zugrunde richten. Es gab auch eine schreckliche Kampagne gegen das Frauenfußball-Team in den sozialen Netzwerken. Was denken Sie? Wovor hatten die Menschen Angst, wenn sie Sie einfach hätten Fußball spielen lassen?
El Bahi: Ich glaube, sie hatten Angst vor der Veränderung. Weil wenn sie uns Fußball spielen lassen, müssten sie uns ja auch andere Dinge tun lassen, und davor haben sie am meisten Angst: wenn sich etwas in Puncto Frauen in diesem Land verändert.
Das wollen sie nicht und sie sind dagegen, weil sie Angst vor uns Frauen haben. Mit diesem Imam war es wirklich seltsam, weil Libyen in dieser Zeit unter einer Menge schlimmer Dinge litt und auf die hätte man sich konzentrieren müssen. Man hätte die Mädchen spielen lassen können, das ist nicht eine so wichtige Sache. Denn es gab ansonsten eine Menge andere Schwierigkeiten und Bürgerkrieg. Darüber hätte man sprechen sollen - nicht über Frauen, die Fußball spielen wollen.
Reese: Im Film können wir sehen, dass Sie und Ihre Mitstreiterinnen sehr mutig sind, weil Sie spielen wollten, und Sie versuchen es, spielen in anderen Ländern. Was hat Sie so stark gemacht? Man könnte ja auch sagen: "Es ist nur Fußball. Ist es nicht zu viel Mühe für ein Spiel?"
El Bahi: Es ist nicht nur Fußball. Dieses Spiel bedeutet uns viel mehr. Wissen Sie, die Leute sagen ständig, dass Frauen schwach sind. Wenn man dann aber Fußball spielt oder generell Sport macht, sieht man, der Körper ist nicht schwach. Man ist stark und dieses Gefühl führt dazu, dass man selbstbewusster wird. Man bekommt dadurch alle Kraft, die man zum Leben braucht…
Kein Kontakt zum Verband
Reese: Führt also der Fußball zu mehr Selbstbestimmung?
El Bahi: So ist es. Und das Gute an diesem Sport ist das Team. Ohne diese Frauen könnten wir das niemals schaffen. Diesen Teamgeist, sich gegenseitig zu unterstützen. Es gibt einen Moment im Film, in dem ich einen großen Streit mit dem Fußballverband habe. Und wenn sie nicht für mich eingestanden hätten, gemeinsam in dem Moment, hätten wir niemals gewonnen.
Wir haben die Nationalmannschaft verlassen, wir haben den Verband verlassen, wir haben alles verlassen und jetzt haben wir unsere eigene Organisation, die Sport als Werkzeug für die Selbstbestimmung junger Mädchen in Libyen nutzt. Wir treten nicht mehr mit dem Verband in Kontakt.
Wir haben uns verändert. Wir haben gemerkt, dass das Spiel mehr als nur ein Wettkampf ist. Und wir wollen den anderen Mädchen die Möglichkeit geben, davon zu profitieren, wie wir es getan haben. Und ihnen die Stärke geben, die wir erhalten haben. Jetzt gehen wir Schulen und IDP-Camps und bieten Fußballtraining für Mädchen an.
Reese: Im Film sieht man, dass Sie einen sicheren Fußballplatz suchen. Ist es noch immer schwierig, sichere Spielfelder in Libyen zu finden?
El Bahi: Ja, das ist noch immer schwierig. Wir haben noch immer das gleiche Problem, wenn man irgendetwas für Mädchen tun will. Wir müssen vorsichtig sein, und es war sehr schwer für uns, einen sicheren Ort zu finden, an den Mädchen kommen können, um zu spielen und sich sicher zu fühlen und wo sie einfach sie selbst sein können. Für Männer ist es nicht wichtig, dass Mädchen Sport machen. Daher haben sie uns die Plätze nicht einfach so gegeben.
"Es ist nur Sport"
Reese: Lassen Sie uns über die Väter der Mädchen sprechen, die zu Ihrer Nichtregierungsorganisation kommen, um Fußball zu spielen. Gibt es da eine Entwicklung? Gibt es Väter, die denken, dass es gut ist, die Mädchen stark zu machen?
El Bahi: Ja. Wir hatten ein fünfwöchiges Sommercamp für Mädchen. Da waren 40 Mädchen dabei und 27 von ihnen kamen jeden Tag. Ihre Väter und Mütter waren beim Training, um ihnen zuzugucken. Ich denke, die Mentalität verändert sich. Und viele Väter sind sehr froh, dass ihre Töchter Sport machen.
Sie hoffen auch, dass wir eines Tages eine Nationalmannschaft haben und dass die Mädchen darin spielen werden. Aber das ist noch eine Minderheit in Libyen. Hoffentlich wird das in der Zukunft mehr und es wird normal, dass Mädchen Sport machen. Aber ein Schritt nach dem nächsten, denke ich.
Reese: Mit Ihren Problemen sind Sie nicht allein. In anderen Ländern gibt es ähnliche Situationen. Der Fall des "Blue Girl", einer jungen Frau im Iran, die nur Fußball schauen wollte, und der es nicht erlaubt wurde. Und die letztlich starb, weil sie sich selbst verbrannte. Was sagen Sie zu dieser Situation? Und was denken Sie, kann Fußball in diesen Zeiten erreichen?
El Bahi: Ich habe von diesem Fall gehört und das hat mich sehr getroffen. Sie wollte nur das Spiel sehen und es wurde ihr nicht erlaubt. Das ist eine Katastrophe. Ich glaube, die Bewegung, die es heute gibt, kann helfen und diese Länder erreichen, um für einen Mentalitätswandel zu sorgen: Es geht nicht gegen Religion. Es geht nicht gegen Traditionen, es ist nur Sport.
Wenn es um Frauen im Sport geht, möchte ich als eine der Frauen im Sport sagen, dass es unsere Verantwortung ist, hart für diesen Mentalitätswandel zu kämpfen. Damit solche Unglücke nie wieder geschehen. Das ist eine große Verantwortung für alle von uns.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.