Die oberste Fußballliga der Frauen in Saudi-Arabien, die Premier League, ist gerade in ihre dritte Saison gestartet. Einige Spiele finden in den großen Stadien statt. Andere werden im Staatsfernsehen übertragen. Die großen Multisportklubs des Landes, die viel in den Männerfußball investiert haben, verpflichten nun auch erfolgreiche Spielerinnen aus dem Ausland.
Die steuerfreien Gehälter der Spitzenspielerinnen in Saudi-Arabien sollen höher seien als in den USA oder in England. Und so sind inzwischen langjährige Nationalspielerinnen am Persischen Golf aktiv: etwa Sara Björk Gunnarsdottir aus Island, Léa Le Garrec aus Frankreich oder Ashleigh Plumptre aus Nigeria.
Es geht um die eigene Bevölkerung
Und es dürften weitere folgen, vielleicht auch aus Deutschland, sagt der Journalist Robert Chatterjee vom Nahost-Magazin „Zenith“. Ob Fernsehquoten oder Transfersummen - der Fußball der Frauen sei ein Wachstumsmarkt:
„Dass man auch in Saudi-Arabien so ein bisschen erkennt, dass im Männerfußball doch die Margen gar nicht mehr so hoch sind. Und dass die Wachstumschancen gerade im Frauenfußball viel höher sind. Weil dort auch ganz viel in westlichen Ligen gar nicht so genutzt wird von den üblichen Playern. Da sieht man, glaube ich, eine Lücke, in die man reinstoßen kann, weil andere diese Chance nicht ergreifen.“
Saudi-Arabien will langfristig seine Abhängigkeit von Öl-Exporten reduzierten und baut neue Wirtschaftszweige auf: Tourismus, Dienstleistungen, ausländische Investitionen. Der Frauenfußball könnte dazu beitragen, das Image des einst verschlossenen Golfstaates zu ändern, sagt Robert Chatterjee:
„Man möchte natürlich mehr Besucher, weil die mehr Geld bringen. Aber es geht jetzt nicht darum, bei einer breiten Öffentlichkeit einen Imagewandel herbeizuführen. Wie unsere Gesellschaften, etwa auch in Deutschland, über Saudi-Arabien denken, ist den saudischen Herrschern relativ egal. Weil es in erster Linie um die eigene Bevölkerung geht.“
Reformen für den Arbeitsmarkt
Rund siebzig Prozent der Bevölkerung Saudi-Arabiens sind jünger als dreißig. Laut Weltbank liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 17 Prozent. Die Monarchie kann nicht mehr allen Bürgern einen lukrativen Job im Staatswesen anbieten. Sie muss ihren Arbeitsmarkt reformieren.
Je mehr Frauen einer Arbeit nachgehen, desto größer ist die Wertschöpfung. 1990 waren elf Prozent der Frauen in Saudi-Arabien erwerbstätig. Mittlerweile sollen es rund 40 Prozent sein. Das Königshaus will diese Entwicklung beschleunigen und benötigt dafür sichtbare Vorbilder. Auch im Fußball, sagt die Sportsoziologin Kyra Angerer, die den Frauensport in Saudi-Arabien erforscht und inzwischen für das Forschungsinstitut des nationalen Fußballverbandes tätig ist:
„SAFF, die Saudi Arabian Football Federation, legt extrem viel Wert darauf, Frauen auch in Coaching-Positionen zu bringen. Wir haben auch eine Vizepräsidentin bei SAFF und zwanzig Prozent der Angestellten sind Frauen. Ich glaube, dass der Sport da ganz klar ein Vorreiter ist.“
Laufgruppen, Parks und Fitnessstudios
Sportverbände in Saudi-Arabien, wie im Fußball die SAFF, wollen auch den Breitensport stärken. Denn die Förderung der Gesundheit der eigenen Bevölkerung ist ein Ziel des Königshauses. Es gibt Partnerschaften mit Schulen, den Bau von Parks und Fitnessstudios, und die Gründung von Laufgruppen, sagt Kyra Angerer: „Viele Krankheiten, die aus Übergewicht und Inaktivität resultieren, sind sehr präsent. In den Laufgruppen sagen sie, dass sie das für den Gesundheitsaspekt machen. Und dass sie halt abnehmen wollen. Oder sagen, dass sie halt fit bleiben wollen.“
Erst seit 2018 dürfen Frauen in Saudi-Arabien Auto fahren und Sportveranstaltungen von Männern besuchen. Mittlerweile etabliert der Fußballverband auch weibliche Jugendnationalteams. Saudi-Arabien könnte sich für die Austragung der Frauen-WM 2035 bewerben. Diese Veränderungen seien enorm, sagt die saudi-arabische Journalistin und Hochschuldozentin Maha Akeel:
„Früher wurde ich häufig von der Religionspolizei angehalten, zum Beispiel in Einkaufszentren. Sie forderte mich auf, mein Gesicht zu bedecken. So etwas gibt es heute nicht mehr. Aber wir sind seit vielen Generationen auch eine Stammesgesellschaft. Das ändert sich nicht in kurzer Zeit.“
Konservative lehnen Wandel ab
Teile der Gesellschaft fühlen sich dadurch auch überfordert. Liberale Eltern, die im Westen studiert haben, begleiten ihre Töchter oft zum Fußball. Doch einige konservative Familien sträuben sich gegen den Wandel. Etliche Fußballerinnen wollen daher in Vereinen nur ihre Vornamen preisgeben. Und sie lehnen Videoaufnahmen während der Spiele ab.
Es gibt auch Berichte von jungen Frauen, die für ihren Sport zu Hause bestraft wurden, sagt die in Brüssel lebende Menschenrechtlerin Lina al-Hathloul: „Wenn Frauen Opfer von häuslicher Gewalt werden, haben sie in Saudi-Arabien keinen Zufluchtsort. Aktivistinnen, die sich dagegen wehren, können mit Gefängnis oder Reiseverbot bestraft werden. Und auch geflüchtete Frauen im Ausland können sich nicht rundum sicher fühlen. Mehrfach wurden Frauen gewaltsam wieder nach Saudi-Arabien gebracht.“
Fassade für Menschenrechtsverletzungen?
Wie ernst gemeint ist die viel beschworene Fußballoffensive? Oder ist das nur Fassade? Die Vergabe der Männer-WM 2034 dürfte den Frauenfußball in Saudi-Arabien stärken. Doch das Turnier könnte auch von Menschenrechtsverletzungen ablenken.
2018 belegte Saudi-Arabien im Global Gender Gap Index, als Indikator für die Kluft zwischen den Geschlechtern, von 149 bewerteten Staaten Platz 145. Inzwischen ist es Platz 131. Die Entwicklung geht nach oben, allerdings sehr langsam.