In einem kleinen Innenhof im Vorort La Matanza von Buenos Aires wird an diesem Nachmittag gehobelt und gefeilt, Mörtel gemischt, der Geruch von Farbe und Klebstoff liegt in der Luft – doch der Eindruck täuscht. Das ist keine unbeschwerte Bastelwerkstatt von Nachbarn, gearbeitet wird an einer Installation, die Aufmerksamkeit für ein grausames Verbrechen wecken soll. Fernanda Albornoz klebt das Foto einer jungen Frau auf ein kleines Holzkreuz.
"Meine Schwester ist Florencia Albornoz, hier, das ist sie. Ihr Ex-Mann, ein Polizist, hat sie mit der Dienstwaffe umgebracht – er hat sie schon davor geschlagen, hat sie kontrolliert und eingesperrt, immer mit dem Vorwand: Ich liebe dich so sehr. Das ist ein typisches Muster. Meine Schwester hat zwei Kinder hinterlassen, die beide schwer traumatisiert sind. Das ist wie eine Bombe, die in all unseren Häusern explodiert ist und mit der wir irgendwie zurechtkommen müssen."
So viele Frauenmorde - aber die Angehörigen fühlen sich allein gelassen
Alle 30 Stunden stirbt in Argentinien eine Frau durch häusliche oder sexuelle Gewalt - in 70 Prozent der Fälle ist der Mörder der Lebenspartner, der Ex oder ein enger Verwandter. Im Jahr 2015 gingen erstmals Hunderttausende dagegen auf die Straße, aufgerufen zum Protest hatte ein Kollektiv, das sich "NiUnaMenos" nennt, auf Deutsch etwa: keine einzige Frau weniger, kein Opfer mehr. Ein Aufschrei, aus dem eine Bewegung wurde – in ganz Lateinamerika. Doch die Angehörigen der Opfer fühlen sich nach wie vor alleingelassen – vor allem vom Staat. Elf Pesos, umgerechnet 25 Cent pro Frau sieht der Haushalt für Schutz- und Präventivmaßnahmen vor.
"Es fehlt unglaublich viel. Das bereitgestellte Budget ist lächerlich, auch die versprochenen neuen Frauenhäuser existieren meines Wissens nach nur auf Papier, den Notfallplan, der ausgearbeitet werden sollte, gibt es nicht – und wir Angehörige werden vom zuständigen Fraueninstitut eher vertröstet und hingehalten, als unterstützt, deswegen haben wir 2018 unsere eigene Gruppe gegründet. Sie hilft uns, weiterzumachen, denn eine Tochter zu verlieren, zerreißt dir die Seele."
Zum Weltfrauentag gibt es eine große Demo
Marcela Morera trägt ein Bild ihrer Tochter Julieta um den Hals, sie war schwanger als ihr Freund sie zu Tode prügelte. Es ist Marcela und ihren Mitstreitern der Angehörigen-Gruppe wichtig, die Verbrechen beim Namen zu nennen. Deswegen arbeiten sie heute an einer Installation: Kreuze mit Fotos, daneben Dutzende Paare von lila angemalten Schuhen, die nie wieder getragen werden. All das wird bei der großen Demo am Weltfrauentag aufgebaut – ohne Druck auf der Straße bewegt sich in Argentinien wenig, sagt auch Facundo Ortiz, er ist Vater der 19-jährigen Luna. Sie starb im Juni 2017, nachdem sie unter Drogen gesetzt und mehrmals vergewaltigt worden war – die Ermittlungen stocken bis heute.
Auch der Straftatbestand Femizid hilft in einer Macho-Kultur nicht
"Es gibt in Argentinien den Strafbestand Femizid, aber die Justiz ist geprägt von der Macho-Kultur. Uns hat der Staatsanwalt gesagt, Luna hätte sich ja für einen Drink verkauft, sie hätte es ja selbst gewollt, solche Kommentare mussten wir uns anhören. Dann verschwanden Akten, Beweismaterial wurde nicht eingesehen, et cetera. Deswegen ist der Druck auf der Straße und die Zusammenarbeit im Kollektiv so wichtig, damit wir endlich Gerechtigkeit erfahren."
Facundo ist einer der wenigen Männer, die aktiv an der Gruppe teilnehmen, er bezeichnet sich selbst als Feminist, das hat ihm zunächst den Spott seiner eigenen Freundesgruppe im Viertel eingebracht.
"Ich habe erst durch den Tod meiner Tochter begonnen, über bestimmte Dinge nachzudenken, die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft und darüber, wie stark auch ich selbst durch den Machismo geprägt bin. Heute unterstütze ich die Frauenbewegung und die Forderung nach Gleichberechtigung, das wird nicht von heute auf morgen geschehen, aber es gibt eine neue Generation, die daran arbeitet, die Macho-Strukturen aufzubrechen."
Und dann befestigt er weiter Fotos an Kreuzen, eine Galerie des Horrors. Doch für die Angehörigen ist die Installation eine Form, ihrem Schmerz Ausdruck zu verleihen.