Archiv

Frauenmorde in Österreich
"Gewalt, die wir nicht zu Gesicht bekommen"

Nach neun Tötungen an Frauen in vier Monaten will die Politik in Österreich nun Maßnahmen ergreifen. Das Problem werde aber immer nur verschoben, sagte der Künstler Gerhard Ruiss im Dlf. Deswegen rief er die Initiative "Frauenmorde - Es geht uns alle an" ins Leben.

Gerhard Ruiss im Gespräch mit Maja Ellmenreich |
"SIE VERLÄSST IHN - ER TÖTET SIE - #Stopp Femizide" steht auf Zetteln an einer Mauer mit Graffiti in Potsdam am 14. April 2021.
"Es geht uns alle an" - weit über 300 österreichische Kulturschaffende rufen gegen Frauenmorde auf (IMAGO / Martin Müller)
Femizid - so nennt man Morde an Frauen oder Mädchen, weil sie Frauen oder Mädchen sind. Meist ist es Mord in den eigenen vier Wänden, getötet vom Partner oder Ex-Partner. Nach neun Frauenmorden allein schon in diesem Jahr ist Österreich auf dem besten Weg, das zweifelhafte Alleinstellungsmerkmal innerhalb der EU beizubehalten: mehr Morde an Frauen als an Männern. Die Politik wird offensichtlich wach: Am 3. Mai fand ein Regierungsgipfel zur Gewaltprävention statt. Zuvor hatte der neue Sozialminister eine breite Kampagne angekündigt, um Beratungsangebote bekannter zu machen, die Polizei und die Legislative zu sensibilisieren.
Proteste gegen Femizide: Auf einem Schild steht "Mein Name ist Stefanie (34) ich wurde von meinem Freund getötet". Daneben liegt auf dem Boden ein Schuh und eine weiße Blume.
Frauenmorde in Europa - Wenn das Geschlecht Gefahr bedeutet
Wenn Frauen ermordet werden, weil sie Frauen sind, heißt das Femizid. Gewalt gegen Frauen gehört auch in Deutschland und Europa zum traurigen Alltag. Häufig geht sie vom Partner oder von Familienangehörigen aus. Das hat auch mit der gesellschaftlichen Stellung von Frauen zu tun.
Der Autor und Musiker Gerhard Ruiss hat allerdings kein besonders großes Vertrauen in die Tatkraft der Politik. Deswegen hat er die Initiative "Frauenmorde - Es geht uns alle an" gegründet. "Wir glauben, dass das eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit ist, die man weder bagatellisieren darf, noch wegreden, noch weglächeln, sondern der Frage muss man sich stellen". Zu oft sei das Thema in den Ressorts der Politik versandet, meint Ruiss, jetzt gelte es, Aufmerksamkeit auf breiter Ebene zu bekommen. Denn in der Pandemie habe sich für viele Frauen die Situation verschärft. "Dahinter steckt eine Gewalt, die wir nicht zu Gesicht bekommen".

Über prominente Namen die Gesellschaft erreichen

Die Initiative wurde mittlerweile von weit über 300 Schriftstellern und Schriftstellerinnen, Schauspielerinnen und Schauspielern sowie anderen Akteuren aus der Kultur unterschrieben, darunter so prominente Namen wie die des Musikers HK Gruber, der Schriftstellerin Marlene Streeruwitz oder der Schauspielerin und Autorin Erika Pluhar. "Ganz sicher sind Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, diejenigen, die gehört werden", so Ruiss, "wenn die sagen: 'Das geht nicht!', dann hört das auch die Politik und dann weiß das auch jemand, der sich sonst nicht für das Thema interessiert." Es ginge nicht darum, fachgerecht über Femizide zu sprechen, sondern zu zeigen, dass das Thema die ganze Gesellschaft angehe.
Warum es ausgerechnet in Österreich so viele Morde an Frauen gebe, das hänge damit zusammen, dass man sich dort generell bei Problemen wegducke, meint Gerhard Ruiss, der auch Geschäftsführer der Interessengemeinschaft österreichischer Autorinnen und Autoren ist. Er habe lange überlegt, ob er als Mann diesen Aufruf überhaupt starten könne. "Aber dann habe ich das zu meiner sehr persönlichen Frage gemacht: Halte ich das aus? Will ich das aushalten?" Er könne die Frage mit einem klaren "Nein" beantworten. Und deswegen müsse er weitermachen.