Die Profis der Tour de France sind noch beim Frühstück, da ist im Start Village bereits voller Betrieb. Dort, wo in wenigen Stunden die großen Teambusse der Tour-Teams einrollen, befinden sich jetzt ein paar Caravans und Pkws, von denen Rennräder abgeladen werden. Das Frauenrennen La Course ist bei der Tour de France zu Gast - mit dabei: die Deutsche Claudia Lichtenberg.
"Total cool, dass wir hier ein Rennen haben und eine Bergetappe auch und einen der größten und bekanntesten Pässe überhaupt fahren dürfen. Das ist echt schön und eine Ehre hier zu sein." Dass Claudia Lichtenberg am gleichen Tag wie die Tourfahrer in einem Frauenpeloton den letzten Berg der Tour de France im Wettkampf erklimmen kann, freut sie gewaltig.
Erst auf dem Prachtboulevard, nun ein Zweitagesrennen
La Course by le Tour de France wurde 2014 von den Veranstaltern der Tour de France aus der Taufe gehoben. Anfangs ein Eintagesrennen auf den Champs-Élysées, am letzten Tag der Tour, dauert es jetzt zwei Tage. Und es hat ein neues Format, erzählt Thierry Gouvenou, Renndirektor vom Tourorganisator ASO und zugleich Chef von la Course. "Wir hatten drei Mal die Champs-Élysées. Wir hatten gedacht, es wäre schön, den Frauen andere Sachen anzubieten. Und dann dachten wir, die Bedeutung des Izoard zu nutzen."
Der Izoard - ein Pass in den Alpen. Bergankunft statt Prachtboulevard in Paris. Eine Änderung, die teilweise nicht gut ankam. "Einige Frauen haben gesagt: Ach, das ist nicht schön. Das sind ja nicht mehr die Champs-Élysées. Es braucht noch etwas mehr. Und dann haben wir gesagt, wir machen ein Zeitfahren in Marseille, aber ändern dabei das Format. Wir machen ein Verfolgungsrennen, um die Vergleiche mit den Männern zu vermeiden. Und auch, um etwas Dynamischeres zu haben."
Also bestand das Frauenrennen La Course dieses Jahr aus zwei Etappen - dem Izoad in den Alpen und dem Zeitfahren heute in Marseille. Dieses hat heute die Niederländerin Annemiek van Vleuten gewonnen und sich so auch den Gesamtsieg der Mini-Rundfahrt gesichert.
Deren neuen Modus aus einer Bergankunft und einem Zeitfahren findet Elena Cecchini vom deutschen Team Canyon SRAM gelungen. "Das ist wirklich etwas anderes. Wir hatten so etwas noch nie zuvor. Wir müssen aber einfach neue Dinge probieren. Der Sport muss wachsen. Wir brauchen mehr Zuschauer, wir müssen Aufmerksamkeit erregen. Man erreicht das, indem man Dinge ändert. Man muss die Leute interessieren und das, was man tut, hinterfragen."
Eine gute Sache bei La Course ist auch das Preisgeld, sagt Elena Cecchini: "Für uns ist das ziemlich gut, um die 6.000 Euro. Im Vergleich mit anderen Rennen ist das beträchtlich. Es ist ein guter Ausgangspunkt. Wir wollen aber jedes Jahr eine Entwicklung und keinen Stillstand."
Rennställe bauen parallel Teams für Frauen auf
Doch zum Vergleich: Ein Etappensieger der Männer bei der Tour bekommt 11.000 Euro, der Gesamtsieger eine halbe Million. Beim Giro Rosa, dem wichtigsten Etappenrennen der Frauen in Italien, erhielt die Siegerin 1.130 Euro. Beim Thema Preisgeld ist der Frauenradsport von dem der Männer also noch weit entfernt. Aber immerhin: Es tut sich etwas bei der ASO, die auch Klassikerrennen wie Lüttich - Bastogne - Lüttich am gleichen Tag für Frauen und Männer veranstaltet.
Rennställe bauen parallel Teams für Männer und Frauen auf. Das deutsche Team Sunweb etwa. Sunweb-Profi Simon Geschke: "Wir sehen uns manchmal, das ist nicht völlig getrennt. Beim Teamtreffen sind immer alle zusammen, auch die Development-Fahrer, und die Trainingslager überschneiden sich manchmal ein bisschen."
Auch der australische Rennstall Orica hat ein Frauenteam. In ihm fährt die Siegerin der Bergetappe zum Izoard, Annemiek van Vleuten. Matt White, sportlicher Leiter bei Orica: "Bei vielen Teams ist das Problem das Geld. Unser Besitzer war sehr daran interessiert, ein Frauenteam zu haben. Das ist ein Weg, nicht nur in Australien, Frauen für den Profiradsport zu gewinnen."
Weniger Preisgeld, zu wenig Konkurrenz
Bei allen Fortschritten gibt es aber auch Rückschläge. Bei der Etappe zum Izoard erreichten 67 Fahrerinnen von 119 gestarteten nicht das Zeitlimit. Wie will man da eine Rundfahrt mit ikonischen Bergankünften gestalten? Das fragt sich auch Rennorganisator Gouvenou. "Man bräuchte viel mehr Frauen mit dem gleichen sportlichen Niveau. Momentan sieht man 30 bis 40 Frauen auf einem guten Niveau. Man braucht aber 150, 200 Frauen auf gutem Niveau, um ein größeres Rennen zu haben. Und auch das Sponsoring muss sich entwickeln. Denn momentan stehen die Organisatoren von Rennen auf verlorenem Posten. Es gibt keine Sponsoren."
Nicht ganz. Sponsoren, die in Männerrennställe investieren, haben für ihre Produkte oft auch Frauen als Kundinnen. Der weibliche Radsportmarkt interessiert sie. Aber es fehlt an verlässlichen Strukturen für neue Sponsoren. Gut, es gibt inzwischen auch bei den Frauen eine World Tour mit insgesamt 20 Rennen. Klassiker wie Flandernrundfahrt und Lüttich - Bastogne - Lüttich sind darunter, neue Formate wie La Course.
Aber ein ikonisches Rennen wie la Route de France feminine, die Tour de France der Frauen also, hat es nicht in den Radsportkalender der UCI geschafft. Bitteres Fazit: Der Frauenradsport hat viel weniger Geld als der männliche Profisport. Er hat nicht die Aufmerksamkeit. Aber er hat schon einen Teil der Probleme: Streitigkeiten zwischen Rennveranstaltern und Weltradsportverband UCI. Die Route de France feminin, nicht ausgerichtet übrigens von der ASO, fiel in diesem Jahr aus.