Archiv

Frauenrechte
Ein Platz für Französinnen

Aubervilliers ist eine der ärmsten Kommunen im Großraum Paris. Jeder Fünfte ist arbeitslos. Der Vorort ist bevölkert von Männern - Frauen sind so gut wie keine zu sehen. Ein Frauenkollektiv versucht seit Jahren, den öffentlichen Raum für Frauen zurückzugewinnen und ruft zum Widerstand auf.

    An der großen Kreuzung, Quatre Chemin getauft, herrscht wie üblich reger Verkehr. Zahllose Billigläden locken Käufer, auf den Bürgersteigen sind viele Passanten unterwegs, Menschen aller Hautfarben. In Aubervilliers sind über 70 Nationalitäten vertreten. Frauen, die bummeln, sieht man an der Kreuzung jedoch keine – Passantinnen, viele tragen Schleier, hechten eher rasch vorbei. Denn das Trottoir bevölkern Grüppchen junger Männer. Der Ort ist verschrieen, seit sich illegale Einwanderer breitgemacht haben, die geschmuggelte Zigaretten verhökern. Auch im Eckcafé lehnen nur Männer am Tresen.
    Davor entrollen nun einige Frauen ein Transparent mit dem Slogan: "Place aux femmes" – "Macht den Frauen Platz". Eine Aktion des gleichnamigen Kollektivs, vertreten durch mehrere Dutzend Anhängerinnen. Maguy erläutert einem Café-Besucher den Anlass:
    "Unser Kollektiv feiert Geburtstag. Seit fünf Jahren streiten wir dafür, Frauen den Zugang zu Cafés zu erleichtern."
    Der erwidert: "Sie kämpfen noch immer für die Gleichberechtigung? Das ist doch ein alter Hut!"
    Das sehen die Frauen vom Kollektiv anders. Sie haben eine brasilianisch gekleidete Combo eingeladen, um bei einer Runde um die Mietsblöcke das gesamte Viertel aufzurütteln. Vor allem Männer eilen herbei, das Smartphone für Erinnerungsfotos gezückt, viele süffisant lächelnd. Ein älterer Algerier ist sichtlich erfreut über diesen bunten Rummel:
    "In den Cafés hier sieht man wirklich wenig Frauen. Na, jetzt im Ramadan sind sie zuhause beim Kochen. Aber auch sonst sieht man die Frauen fast nur noch auf dem Markt. Vor einigen Jahren war das noch anders. Doch nun haben illegale Zigarettenverkäufer die Trottoirs erobert. Ich bin weggezogen – weil hier nun einfach zu viele Kerle rumstehen."
    Logos an der Kneipentür
    In einem Appell an alle Frauen ruft Monique vom Kollektiv zum Widerstand auf. Dazu, sich im öffentlichen Raum von Männern nicht einschüchtern zu lassen. Eine Botschaft, die auch im kommunistischen Rathaus Gehör fand. Vor einem Jahr taufte man deshalb den Platz, an dem die feministische Kundgebung stattfindet, um: auf den Namen "Frauenplatz". Ein Sieg für das Kollektiv. Selbst wenn der Platz gerade mal aus einem breiten Bürgersteig vor hohen Mietskasernen besteht. Direkt gegenüber liegt die Kneipe Le Roi du Café, Stammlokal des Frauenkollektivs. Seit eine Clique von 20 Freundinnen vor fünf Jahren einfach die Terrasse besetzte – und den jungen Kerlen, die aufmuckten, furchtlos die Stirn bot. Damals hatte Zanoun Nafa gerade den Café-Betrieb übernommen – und die Feministinnen mit offenen Armen empfangen:
    "Ich betrachte es als meine Pflicht, ihr Anliegen zu unterstützen. Denn die Bevölkerungsmischung im öffentlichen Raum ist besonders in Sozialbauvierteln wie dem unseren wichtig. Schließlich sind in Frankreich heute alle Hautfarben vertreten."
    An der Kneipentür hängt ein Logo mit Scherenschnitt-Motiv: zwei Frauen am Bistrotisch. Damit kürt das Kollektiv Wirte, die dafür sorgen, dass weibliche Gäste unbehelligt bleiben, erläutert Aktivistin Luisa:
    "In Aubervilliers haben wir bislang acht Cafés mit dem Label ausgezeichnet. Andere testen wir noch. Das Konzept kommt an: manch eine Frau, die von unserer Arbeit weiss, wagt es nun, wieder ins Café zu gehen."
    Das Kollektiv "Macht den Frauen Platz" in Aubervilliers zählt heute 180 Mitstreiterinnen. Ob jung oder alt, ob Feministin oder nicht – Zivilcourage ist allen wichtig, sagt Kollektiv-Mitgründerin Maguy:
    "Wir bekommen ständig Anfragen von Frauengruppen, die andernorts versuchen, sich den öffentlichen Raum zurückzuerobern. Sie suchen Rat oder tatkräftige Unterstützung. Neulich haben wir uns so symbolhaft auch in einem Café im 18. Pariser Arrondissement breitgemacht."