Michael Köhler: Er war, er ist ein Publikumsliebling: der inzwischen 78-jährige Schauspieler und Philanthrop Karlheinz Böhm. Morgen wird seine Stiftung "Menschen für Menschen" 25 Jahre alt, ein viertel Jahrhundert humanitäre Arbeit für Äthiopien. Karlheinz Böhm setzt sich seit 1981 für das afrikanische Land ein, als er nämlich in der Fernsehsendung "Wetten dass..?" wettete, dass nicht jeder dritte Zuschauer eine Mark für Menschen in der Sahelzone übrig hätte, spenden würde. Aus der Wette wurde eine Lebensaufgabe für Karlheinz Böhm. Ich habe ihn gefragt, welches Bild sich ihm heute nach so viel Engagement in Äthiopien bietet, denn es handelt sich ja um ein riesiges Land, mit über 70 Millionen Einwohnern.
Böhm: Also zum einen, ich bin ja dorthin gekommen, als es eine Militärdiktatur war, eine kommunistisch beeinflusste, die den Kaiser gestürzt hat - es hat ja 200 Jahre lang feudalistisch, kolonialistisches Kaisertum in Äthiopien gegeben, die eigentlich eine wirkliche Entwicklung genauso verhindert haben, wie die Kolonialmächte in anderen Ländern Afrikas über ein halbes Jahrtausend. Und da war also eine richtige kolonialistische Militärdiktatur, in der also damals gerade diese ungeheure Dürre 1984/85 war, die ja anderthalb Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Ich habe das Land in einer sehr, sehr großen Armut kennen gelernt und vor allem auch in einer Unterdrückung, in einer diktatorischen Unterdrückung, wie sie für mich - also ich habe zwar als Kind noch den Hitler erlebt in den 30er Jahren, aber da war ich zu jung, um mich da noch wirklich gut dran erinnern zu können - und dann war ich dort, und dann kam der Umsturz von einer Busch-Regierung - also nicht mit dem Bush, dem Staatspräsidenten in Amerika, sondern im Busch würde ich sagen -, da haben Buschkämpfer, wie sie sich selber genannt haben, die sich als albanische Kommunisten bezeichnet haben, haben den Diktator gestürzt und sind dann sehr schnell aus dem Kommunismus heraus in etwas hineingerutscht, dass sie selbst Demokratie genannt haben, wobei ich dabei sehr vorsichtig bin.
Die versuchen zwar jetzt nach dem Modell der Bundesrepublik Deutschland eine Demokratie zu führen, wobei man nicht vergessen darf, dass also nach Kaiserdiktatur, dann die Militärdiktatur es nicht so leicht ist, wenn man selbst in der europäischen Geschichte ein bisschen zurückschaut, in eine so genannte, nach unseren Verhältnissen sich entwickelnde Demokratie hinein zu gleiten.
Köhler: Das hat auch zu tun natürlich mit den Nachbarn, also drum herum liegen Sudan, Kenia, Eritrea. Mitte/Ende der 70er musste sich Äthiopien einer Invasion Somalias erwehren. Zur Zeit gibt es einen, ja, ich nenne es mal, fragilen Frieden mit dem Nachbarn Eritrea. Die Blauhelmsoldaten sichern mehr oder weniger diesen Frieden, oder diesen Kalten Krieg kann man auch sagen. Was ist das für eine Situation die sich Ihnen bietet? Ein Bild der relativen Sicherheit?
Böhm: Erstens mal muss ich Ihnen sagen, das, was man hier in den Gazetten liest, in den Zeitungen oder im Radio hört, in Radiosendern, ist für mich sehr, sehr anders als das, was ich dort erlebe, wenn ich praktisch dort lebe. Es wird immer sehr dramatisch dargestellt, und ich nenne Ihnen ein Beispiel: Diesen zwei Jahre dauernden Grenzkonflikt, möchte ich es bezeichnen, nicht Krieg, zwischen Eritrea und Äthiopien, das habe ich in dem Land, der ich dort gelebt habe, während der ganzen Zeit, überhaupt nicht mitbekommen, kaum überhaupt gesehen.
Köhler: Sie haben in diesem viertel Jahrhundert muss man sagen, unglaublich viel getan, als Nichtregierungsorganisation, als humanitärer und humanistischer Entwicklungsdienst, geradezu Infrastruktur aufgebaut. Welches sind die drängenden Probleme, die sich Ihnen damals stellten, und welche von denen haben Sie vielleicht zum Teil gelöst?
Böhm: Also zum Beispiel als ich angefangen habe, war ja diese ständige Dürrekatastrophe, die es auch jetzt wieder gibt, die aber heute in einer ganz anderen Weise lösbar sind, mit Einfuhr von Getreide oder dass man sofort drauf reagiert, nicht erst so viel später, wie das damals bei dem Militärdiktator geschehen ist. Und deswegen kann man mit gewissen Konflikten relativ leichter zurecht kommen, obwohl das Land zu rechtens noch immer von der Weltbank als eines der ärmsten drei Länder der Erde bezeichnet wird.
Köhler: Also Straßenbau, Bewässerungsanlagen…
Böhm: Ja, das sind alles Dinge, die absolut notwendig - es ist, das Straßennetz fehlt so gut wie total. Wenn man sich vorstellt, dass ein Land, dass dreimal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland ist, 3000 Kilometer Asphaltstraßen hat, das ist also geradezu lächerlich im Vergleich zu unserem Straßennetz und auf der anderen Seite gibt es sehr, sehr viele Probleme, die gelöst werden müssen und die gar nicht so leicht lösbar sind. Ich sage es zum Beispiel, was man ja hier überhaupt sich nicht vorstellen kann, das Problem der Frau. Die Position der Frau in der äthiopischen Gesellschaft ist so wie sie bei uns ungefähr vor 150 Jahren mal gewesen ist und ist meiner Meinung nach einer der Gründe, einer der Gründe für die Armut der Gesellschaft und des Landes, weil es sich schwer entwickeln kann. Und da arbeiten wir also sehr, sehr intensiv daran, der Frau eine bessere gesellschaftliche Position zu erkämpfen sozusagen, obwohl ich das Wort nicht mag. Und wir haben sehr, sehr viel erreicht zum Beispiel im Kampf gegen schädliche Traditionen wie diese entsetzliche Beschneidung von Frauen, die es ja über 2000 Jahre schon gibt und die, wie man nachweisen kann, von Männern erfunden wurde, oder wie die so genannte Kinderheirat, dass Kinder mit zehn, zwölf Jahren schon verheiratet werden und mit - zum Beispiel, die Großmutter meiner Frau war mit 28 Jahren bereits Großmutter.
Köhler: Herr Böhm, Sie haben das gerade geschildert, dass das, was wir in Zentraleuropa vielleicht Frauenpolitik nennen, ein wichtiger Schlüssel ist für die soziale Befriedung und auch für die Entwicklung des Landes. Sie sind Ehrenbürger vor wenigen Jahren Äthiopiens geworden. Mich interessiert, auf diesem langen Weg, den Sie beschritten haben, ist es da je zu Kollisionen, zu Reibungen gekommen mit der Staatsführung oder vielleicht auch mit UN? Also haben Sie sich sozusagen in einer Konkurrenz empfunden, oder hat man immer gesagt, Mensch, das ist prima, weil wir am gleichen Strang ziehen?
Böhm: Also ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, ich habe kein einziges Mal irgendwelche Probleme dieser Art gehabt, wie Sie es jetzt beschrieben haben. Ich habe mich von vorneherein erklärt, ganz klar, dass ich politisch, wirtschaftlich und religiös unabhängig bin und keine wie immer gearteten Bedingungen an die Arbeit von "Menschen für Menschen" stelle. Und man hat uns eigentlich als Organisation vom ersten Tag an nicht als Fremdhilfsorganisation aus einem anderen Land betrachtet oder aus Europa, sondern man hat uns integriert in die äthiopische Gesellschaft. Dass ich Ehrenstaatsbürger, der erste übrigens in der Geschichte Äthiopiens, geworden bin, ist ein Zeichen dafür, dass man uns nicht als Fremde betrachtet, sondern, dass wir uns, sagen wir mal auch unsere Organisation, integriert in den Aufbau der äthiopischen Gesellschaft und die Verbesserung der Lebenskonditionen. Übrigens, ich bin jetzt als erster Ausländer mit einem äthiopischen Pass wieder nach Hause geflogen.
Köhler: Sie haben gerade von Zeichen gesprochen, die Sie gesetzt haben aufgrund ihres persönlichen Kredits denen Sie genießen. Mich würde noch interessieren, warum hat das in Äthiopien geklappt und klappt das in anderen Teilen des dunklen, man spricht oft auch vom vergessenen Kontinent, nicht? Wenn ich jetzt an die andere Seite gehe, zum Beispiel ans Nigerdelta oder so, stehen da viel handfestere, wirtschaftliche, geopolitische, strategische Interessen im Weg, die vielleicht in Äthiopien nicht im Weg stehen?
Böhm: Ich glaube, dass jeder individuell für das verantwortlich ist, war er tut, und dass die Menschen mich individuell so annehmen, hat auch damit zu tun, dass ich von vorneherein mich nicht als einen Fremden betrachtet habe, sondern als einen Menschen, der sich voll in das Leben der Menschen integriert und versucht, mit ihnen sozusagen sich selber auch zu entwickeln.
Köhler: Wie kam es zu Äthiopien? Sie sind es bestimmt schon hundert Mal gefragt worden, trotzdem, ich möchte es wissen.
Böhm: Ja, das ist aber leicht zu beantworten, Äthiopien ist eines der Sahelzonen-Länder und ist ein Land, dass also zu diesen 16 Staaten gehört, die mit die labilste Klimazone Afrikas und überhaupt der Welt ist, wo es immer wieder so Dürrekatastrophen gibt. Und als ich dann die Sendung "Wetten dass..?" gemacht hatte und das erste Geld vertraut bekam von Menschen, von Spenderinnen und Spendern, wollte ich in die Sahelzone und habe dann die UNO angefragt, welches die ärmsten Länder sind. Und da hat man mir das Tschad, Sudan und Äthiopien genannt. Und die ersten beiden Länder, um es ganz kurz zu machen, haben mein Hilfsangebot nicht angenommen und die Äthiopier sofort und haben gesagt, kommen Sie runter, aus, Schluss. Und dann war ich da, und habe da auch gleich die ganzen Leute kennen gelernt, und die Türen waren eigentlich vom ersten Moment an offen.
Köhler: Was Sie machen, ist aktive Friedenspolitik, ist humanistische Entwicklungspolitik, ja ich würde sogar so weit gehen und sagen, das ist eine Form der auswärtigen Kulturpolitik jenseits der Institutionen. Wie müssen Institutionen vorgehen, wenn sie so erfolgreich seinen wollen wie Sie? Sagen wir mal, ich würde so was mit einer Gruppe Gleichgesinnter starten wollen für den Niger oder Ähnliches. Was würden Sie mir raten?
Böhm: Ich würde Ihnen raten, dass Sie als Mensch, der Sie sind, mit Ihren eigenen Empfindungen und Gefühlen, das, was Sie verändern wollen und machen, versuchen andere Menschen zu finden, die mit Ihren Gedanken mitgehen. Und wenn sie das tun, dann werden sie bestimmt, wenn sie nur das tun, was Sie sich selbst vorstellen, den richtigen Weg gehen und auf Ihre Art etwas entwickeln, das in dem Land Niger bestimmt vielen Menschen helfen kann.
Köhler: Ein letztes, was mir gar nicht so bewusst war: Äthiopien hat, korrigieren Sie mich, wenn ich Unsinn rede, etwa 40 Prozent orthodoxe Bevölkerung, etwa 40 Prozent islamische Bevölkerung. Das ist verhältnismäßig ausgeglichen. Aber, was mir gar nicht bewusst war, es ist ein unglaublich kunst- und kulturreiches Volk, beispielsweise was seine Malerei oder Wandmalereien angeht.
Böhm: Das ist richtig, und vor allem die Malerei, die ja eine uralte Geschichte Äthiopiens ist, hat nur mit dem orthodoxen Christentum zu tun, denn wenn Sie die ganzen Bilder sehen, die heute über geblieben sind - leider sind es nicht zu viele, aber doch eine Menge - ,haben alle mit dem orthodoxen Christentum zu tun. Und das hat also - ich möchte aber noch etwas dazu sagen, wo Äthiopien ein leuchtendes Beispiel auf der ganzen Erde heute ist, nämlich die beiden Kulturen, die ja so scheinbar verschiedene sind: Die Mohammedaner und die Christen leben dort in einer Gemeinschaftlichkeit miteinander, wie es beispielhaft im tiefsten Sinne des Wortes für die ganze Welt ist.
Köhler: Karlheinz Böhm, 25 Jahre Engagement "Menschen für Menschen" in Äthiopien.
Böhm: Also zum einen, ich bin ja dorthin gekommen, als es eine Militärdiktatur war, eine kommunistisch beeinflusste, die den Kaiser gestürzt hat - es hat ja 200 Jahre lang feudalistisch, kolonialistisches Kaisertum in Äthiopien gegeben, die eigentlich eine wirkliche Entwicklung genauso verhindert haben, wie die Kolonialmächte in anderen Ländern Afrikas über ein halbes Jahrtausend. Und da war also eine richtige kolonialistische Militärdiktatur, in der also damals gerade diese ungeheure Dürre 1984/85 war, die ja anderthalb Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Ich habe das Land in einer sehr, sehr großen Armut kennen gelernt und vor allem auch in einer Unterdrückung, in einer diktatorischen Unterdrückung, wie sie für mich - also ich habe zwar als Kind noch den Hitler erlebt in den 30er Jahren, aber da war ich zu jung, um mich da noch wirklich gut dran erinnern zu können - und dann war ich dort, und dann kam der Umsturz von einer Busch-Regierung - also nicht mit dem Bush, dem Staatspräsidenten in Amerika, sondern im Busch würde ich sagen -, da haben Buschkämpfer, wie sie sich selber genannt haben, die sich als albanische Kommunisten bezeichnet haben, haben den Diktator gestürzt und sind dann sehr schnell aus dem Kommunismus heraus in etwas hineingerutscht, dass sie selbst Demokratie genannt haben, wobei ich dabei sehr vorsichtig bin.
Die versuchen zwar jetzt nach dem Modell der Bundesrepublik Deutschland eine Demokratie zu führen, wobei man nicht vergessen darf, dass also nach Kaiserdiktatur, dann die Militärdiktatur es nicht so leicht ist, wenn man selbst in der europäischen Geschichte ein bisschen zurückschaut, in eine so genannte, nach unseren Verhältnissen sich entwickelnde Demokratie hinein zu gleiten.
Köhler: Das hat auch zu tun natürlich mit den Nachbarn, also drum herum liegen Sudan, Kenia, Eritrea. Mitte/Ende der 70er musste sich Äthiopien einer Invasion Somalias erwehren. Zur Zeit gibt es einen, ja, ich nenne es mal, fragilen Frieden mit dem Nachbarn Eritrea. Die Blauhelmsoldaten sichern mehr oder weniger diesen Frieden, oder diesen Kalten Krieg kann man auch sagen. Was ist das für eine Situation die sich Ihnen bietet? Ein Bild der relativen Sicherheit?
Böhm: Erstens mal muss ich Ihnen sagen, das, was man hier in den Gazetten liest, in den Zeitungen oder im Radio hört, in Radiosendern, ist für mich sehr, sehr anders als das, was ich dort erlebe, wenn ich praktisch dort lebe. Es wird immer sehr dramatisch dargestellt, und ich nenne Ihnen ein Beispiel: Diesen zwei Jahre dauernden Grenzkonflikt, möchte ich es bezeichnen, nicht Krieg, zwischen Eritrea und Äthiopien, das habe ich in dem Land, der ich dort gelebt habe, während der ganzen Zeit, überhaupt nicht mitbekommen, kaum überhaupt gesehen.
Köhler: Sie haben in diesem viertel Jahrhundert muss man sagen, unglaublich viel getan, als Nichtregierungsorganisation, als humanitärer und humanistischer Entwicklungsdienst, geradezu Infrastruktur aufgebaut. Welches sind die drängenden Probleme, die sich Ihnen damals stellten, und welche von denen haben Sie vielleicht zum Teil gelöst?
Böhm: Also zum Beispiel als ich angefangen habe, war ja diese ständige Dürrekatastrophe, die es auch jetzt wieder gibt, die aber heute in einer ganz anderen Weise lösbar sind, mit Einfuhr von Getreide oder dass man sofort drauf reagiert, nicht erst so viel später, wie das damals bei dem Militärdiktator geschehen ist. Und deswegen kann man mit gewissen Konflikten relativ leichter zurecht kommen, obwohl das Land zu rechtens noch immer von der Weltbank als eines der ärmsten drei Länder der Erde bezeichnet wird.
Köhler: Also Straßenbau, Bewässerungsanlagen…
Böhm: Ja, das sind alles Dinge, die absolut notwendig - es ist, das Straßennetz fehlt so gut wie total. Wenn man sich vorstellt, dass ein Land, dass dreimal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland ist, 3000 Kilometer Asphaltstraßen hat, das ist also geradezu lächerlich im Vergleich zu unserem Straßennetz und auf der anderen Seite gibt es sehr, sehr viele Probleme, die gelöst werden müssen und die gar nicht so leicht lösbar sind. Ich sage es zum Beispiel, was man ja hier überhaupt sich nicht vorstellen kann, das Problem der Frau. Die Position der Frau in der äthiopischen Gesellschaft ist so wie sie bei uns ungefähr vor 150 Jahren mal gewesen ist und ist meiner Meinung nach einer der Gründe, einer der Gründe für die Armut der Gesellschaft und des Landes, weil es sich schwer entwickeln kann. Und da arbeiten wir also sehr, sehr intensiv daran, der Frau eine bessere gesellschaftliche Position zu erkämpfen sozusagen, obwohl ich das Wort nicht mag. Und wir haben sehr, sehr viel erreicht zum Beispiel im Kampf gegen schädliche Traditionen wie diese entsetzliche Beschneidung von Frauen, die es ja über 2000 Jahre schon gibt und die, wie man nachweisen kann, von Männern erfunden wurde, oder wie die so genannte Kinderheirat, dass Kinder mit zehn, zwölf Jahren schon verheiratet werden und mit - zum Beispiel, die Großmutter meiner Frau war mit 28 Jahren bereits Großmutter.
Köhler: Herr Böhm, Sie haben das gerade geschildert, dass das, was wir in Zentraleuropa vielleicht Frauenpolitik nennen, ein wichtiger Schlüssel ist für die soziale Befriedung und auch für die Entwicklung des Landes. Sie sind Ehrenbürger vor wenigen Jahren Äthiopiens geworden. Mich interessiert, auf diesem langen Weg, den Sie beschritten haben, ist es da je zu Kollisionen, zu Reibungen gekommen mit der Staatsführung oder vielleicht auch mit UN? Also haben Sie sich sozusagen in einer Konkurrenz empfunden, oder hat man immer gesagt, Mensch, das ist prima, weil wir am gleichen Strang ziehen?
Böhm: Also ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, ich habe kein einziges Mal irgendwelche Probleme dieser Art gehabt, wie Sie es jetzt beschrieben haben. Ich habe mich von vorneherein erklärt, ganz klar, dass ich politisch, wirtschaftlich und religiös unabhängig bin und keine wie immer gearteten Bedingungen an die Arbeit von "Menschen für Menschen" stelle. Und man hat uns eigentlich als Organisation vom ersten Tag an nicht als Fremdhilfsorganisation aus einem anderen Land betrachtet oder aus Europa, sondern man hat uns integriert in die äthiopische Gesellschaft. Dass ich Ehrenstaatsbürger, der erste übrigens in der Geschichte Äthiopiens, geworden bin, ist ein Zeichen dafür, dass man uns nicht als Fremde betrachtet, sondern, dass wir uns, sagen wir mal auch unsere Organisation, integriert in den Aufbau der äthiopischen Gesellschaft und die Verbesserung der Lebenskonditionen. Übrigens, ich bin jetzt als erster Ausländer mit einem äthiopischen Pass wieder nach Hause geflogen.
Köhler: Sie haben gerade von Zeichen gesprochen, die Sie gesetzt haben aufgrund ihres persönlichen Kredits denen Sie genießen. Mich würde noch interessieren, warum hat das in Äthiopien geklappt und klappt das in anderen Teilen des dunklen, man spricht oft auch vom vergessenen Kontinent, nicht? Wenn ich jetzt an die andere Seite gehe, zum Beispiel ans Nigerdelta oder so, stehen da viel handfestere, wirtschaftliche, geopolitische, strategische Interessen im Weg, die vielleicht in Äthiopien nicht im Weg stehen?
Böhm: Ich glaube, dass jeder individuell für das verantwortlich ist, war er tut, und dass die Menschen mich individuell so annehmen, hat auch damit zu tun, dass ich von vorneherein mich nicht als einen Fremden betrachtet habe, sondern als einen Menschen, der sich voll in das Leben der Menschen integriert und versucht, mit ihnen sozusagen sich selber auch zu entwickeln.
Köhler: Wie kam es zu Äthiopien? Sie sind es bestimmt schon hundert Mal gefragt worden, trotzdem, ich möchte es wissen.
Böhm: Ja, das ist aber leicht zu beantworten, Äthiopien ist eines der Sahelzonen-Länder und ist ein Land, dass also zu diesen 16 Staaten gehört, die mit die labilste Klimazone Afrikas und überhaupt der Welt ist, wo es immer wieder so Dürrekatastrophen gibt. Und als ich dann die Sendung "Wetten dass..?" gemacht hatte und das erste Geld vertraut bekam von Menschen, von Spenderinnen und Spendern, wollte ich in die Sahelzone und habe dann die UNO angefragt, welches die ärmsten Länder sind. Und da hat man mir das Tschad, Sudan und Äthiopien genannt. Und die ersten beiden Länder, um es ganz kurz zu machen, haben mein Hilfsangebot nicht angenommen und die Äthiopier sofort und haben gesagt, kommen Sie runter, aus, Schluss. Und dann war ich da, und habe da auch gleich die ganzen Leute kennen gelernt, und die Türen waren eigentlich vom ersten Moment an offen.
Köhler: Was Sie machen, ist aktive Friedenspolitik, ist humanistische Entwicklungspolitik, ja ich würde sogar so weit gehen und sagen, das ist eine Form der auswärtigen Kulturpolitik jenseits der Institutionen. Wie müssen Institutionen vorgehen, wenn sie so erfolgreich seinen wollen wie Sie? Sagen wir mal, ich würde so was mit einer Gruppe Gleichgesinnter starten wollen für den Niger oder Ähnliches. Was würden Sie mir raten?
Böhm: Ich würde Ihnen raten, dass Sie als Mensch, der Sie sind, mit Ihren eigenen Empfindungen und Gefühlen, das, was Sie verändern wollen und machen, versuchen andere Menschen zu finden, die mit Ihren Gedanken mitgehen. Und wenn sie das tun, dann werden sie bestimmt, wenn sie nur das tun, was Sie sich selbst vorstellen, den richtigen Weg gehen und auf Ihre Art etwas entwickeln, das in dem Land Niger bestimmt vielen Menschen helfen kann.
Köhler: Ein letztes, was mir gar nicht so bewusst war: Äthiopien hat, korrigieren Sie mich, wenn ich Unsinn rede, etwa 40 Prozent orthodoxe Bevölkerung, etwa 40 Prozent islamische Bevölkerung. Das ist verhältnismäßig ausgeglichen. Aber, was mir gar nicht bewusst war, es ist ein unglaublich kunst- und kulturreiches Volk, beispielsweise was seine Malerei oder Wandmalereien angeht.
Böhm: Das ist richtig, und vor allem die Malerei, die ja eine uralte Geschichte Äthiopiens ist, hat nur mit dem orthodoxen Christentum zu tun, denn wenn Sie die ganzen Bilder sehen, die heute über geblieben sind - leider sind es nicht zu viele, aber doch eine Menge - ,haben alle mit dem orthodoxen Christentum zu tun. Und das hat also - ich möchte aber noch etwas dazu sagen, wo Äthiopien ein leuchtendes Beispiel auf der ganzen Erde heute ist, nämlich die beiden Kulturen, die ja so scheinbar verschiedene sind: Die Mohammedaner und die Christen leben dort in einer Gemeinschaftlichkeit miteinander, wie es beispielhaft im tiefsten Sinne des Wortes für die ganze Welt ist.
Köhler: Karlheinz Böhm, 25 Jahre Engagement "Menschen für Menschen" in Äthiopien.