Marina Schweizer: Sind die Frauen in Schweden nur sichtbar, wenn die Männer in der gleichen Sportart nicht so erfolgreich sind?
Sofia B. Karlsson: Schauen wir uns mal die Geschichte an: Sport wurde von Männern für Männer erfunden. Die Norm war immer: Männer machen Sport, sind in den Führungsgremien, sind die Zuschauer und die, die Sport bewerten. Es ist auch für Frauen hier immer schwer gewesen, den gleichen Status und die Aufmerksamkeit zu erlangen. Weil sie eben immer mit Männern verglichen werden. Da müssen wir dran arbeiten. Es ist nicht mehr so wie früher, aber es ist auch schwer gewesen, die Aufmerksamkeit hier zu erlangen.
Schweizer: Sie waren ja auch Athletin, als wie emanzipiert haben Sie denn das schwedische Publikum empfunden?
Karlsson: Ich habe sehr gute Erfahrungen gemacht. Ich habe viel mit Männern trainiert aber es gab immer die Vergleiche. Es war schwerer für mich und für andere Frauen, das beste Training, die besten Trainer zu bekommen und so weiter. Dieser Vergleich mit den Männern macht es für Frauen schwerer, das richtige Fundament zu bekommen, um ein guter Athlet zu sein. Sie brauchen den gleichen Status wie die Männer, um die gleichen Möglichkeiten zu bekommen.
Eine Kulturveränderung hat stattgefunden
Schweizer: Wir haben in dieser Sendung viel über die Medien gesprochen, auch die Überlegung, inwieweit sie da eine Kultur widerspiegeln: Es geht ja auch um das Interesse des Publikums, der Wirtschaft und auch um die Sportpolitik, in der Sie ja aktiv sind. Welchen Weg hat Schweden da bestritten und an welchem Punkt stehen Sie gerade, wenn wir uns den Frauensport ansehen?
Karlsson: Es ist schwer für Frauen gewesen, die gleiche Aufmerksamkeit zu bekommen. Jetzt sehen wir eine Kulturveränderung in den Organisationen und auch, dass Männer sich für die Gleichstellung einsetzen. Wir glauben, dass es sehr wichtig ist, zu verstehen, dass dies kein Frauenproblem ist. Es ist ein Gleichstellungsproblem für jeden. Verschiedene Menschen müssen sich in dieser Frage engagieren, damit wir voran kommen. Wir haben also in Schweden beschlossen, die Gleichstellung in Führungsgremien der Sportverbände zu regulieren.
Schweizer: Und all diese Verbände haben eine Quote?
Karlsson: Nein, aber wir haben das Ziel ausgegeben, dass sie das in ein paar Jahren erreichen sollen. Die Sportbewegung in Schweden hat entschieden, dass wir hinsichtlich der Geschlechter eine Ausgeglichenheit haben. Das ist ein großer Schritt. Man kann auch Geld vom Sportbund beantragen, um Gleichstellung im eigenen Verband voranzutreiben.
Schweizer: Sie haben jetzt gerade eine kulturelle Veränderung angesprochen, die langsam vorangeht. Woher kommt diese Veränderung – wird sie allein angestoßen von Frauenquoten in Führungsgremien oder aus anderen Gesetzen oder Regeln?
Karlsson: Ich glaube, es sind unterschiedliche Maßnahmen, die da greifen. Wir müssen das auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig angehen. Wir wissen inzwischen viel über Gleichstellung, in Schweden gibt es seit einer langen Zeit eine breite Debatte über Gleichstellung im Allgemeinen – also das ist die Basis, auf der wir aufbauen. Dazu kommt die Entscheidung des Sports, die Führungsgremien zu verändern. Wir haben aber auch gerade eine große Debatte über "Locker Room Talk", inspiriert von Donald Trump. Also darüber, was in Männerumkleiden gesagt wird. Da geht es um die degradierende Art und Weise, wie über Frauen, aber auch homosexuelle Spieler und so weiter gesprochen wird. Und wir sprechen viel darüber, wie man Männer in Teamsportarten dazu bringt, anders darüber zu sprechen. Denn wir wissen, dass Gewalt aus dieser Kultur erwachsen kann.
Im Sport noch keine gleichgestellte Gesellschaft
Schweizer: Können Sie mal ein Beispiel machen, wie man das beeinflussen will? Ich meine Kabinengespräche sind doch ein Beispiel für eine Kultur hinter verschlossenen Türen.
Karlsson: Ja. Wir haben eine initiative hier in Schweden, die "Locker Room Talk" heißt – übersetzt Kabinengespräche. Der schwedische Fußballstar Zlatan Ibrahimovic hat Geld dafür gespendet und sie sprechen mit kleinen Jungs über Gleichstellung der Geschlechter, Männlichkeit und wie man diese degradierende und manchmal diskriminierende Wortwahl vermeiden kann. Es geht auch darum, wie man die Erwartungen an Jungen verändern kann, dass sie sich Gewalt bedienen können und auch dass man nicht so reden muss, um Teil eines Teams zu sein. Das ist ein Beispiel, wie man anfangen kann.
Dieses Projekt geht raus in die Vereine in Schweden um mit Jungs zwischen zehn und 14 Jahren zu sprechen. In diesem Alter haben sie noch nicht damit angefangen, solche Worte zu benutzten. Das machen sie oft später, wenn sie sich mehr für eine Gruppe profilieren müssen. Wir haben da viele verschiedene Initiativen gesehen. Auch Athleten in Teamsportarten, wie Eishockey, Fußball, American Football sind aufgestanden und haben sich gegen Gewalt, sexuelle Belästigung gestellt. Während der ganzen #Meetoo Debatte hatten wir einen speziellen Hashtag, ein Schlagwort, mit dem Namen "Timeout". Da haben viele Frauen über ihre Erfahrungen gesprochen. Wir sprechen da jetzt noch mehr drüber im Sport, seit wir sehen, wie große das Problem ist.
Schweizer: Was die Kultur angeht, gab es hauptsächlich Kampagnen, entnehme ich Ihren Beispielen. Was ist mit der organisatorischen, der Verbandsebene. Hier in Deutschland gibt es immer wieder eine Debatte über die Prämiengelder der Frauennationalmannschaft im Fußball für internationale Turniere, da bekommen sie nur einen Bruchteil der Männer. Da fordern einige gleiche Bezahlung, wenn man Frauen gleichberechtigt behandeln will. Wie ist das in Schweden, wie geht man das auch auf dieser Ebene an?
Karlsson: Schweden wird ja allgemein als gleichgestellte Gesellschaft angesehen, was die Geschlechter angeht. Seit vielen Jahren sind wir da unter den Top 5 Ländern, nicht im Sport. Aber wir haben diese Debatte auch immer noch, weil wir im Sport eben nicht die gleiche Bezahlung haben.
Schweizer: Sprechen Sie jetzt von Prämien von Verbänden für Turniere oder Bezahlung von Vereinen?
Karlsson: Beides. Wir diskutieren: Wir müssen das angehen, es sollte gleiche Bezahlung geben für die gleiche Arbeit geben, wie in anderen Bereichen auch. Diesen Herbst gab es wieder eine große Diskussion darüber. Es fängt an, sich zu verändern, aber es ist noch nicht gut. Wir haben da noch einen langen Weg.
Aufstehen gegen sexuelle Belästigung und Gewalt
Schweizer: Sport will immer gerne Vorbilder haben, Vorbild sein und der Sport kann autonom agieren - warum tut sich der Sport da so schwer?
Karlsson: Das ist eine 10.000 Dollar Frage. Da fließt zum Beispiel die Geschichte ein, dass Männer immer etwas mehr willkommen in allen möglichen Sportbereichen waren: der Arena, der Umkleidekabine, dem Sitzungssaal und anderen. Und die Kultur ist so gewachsen, dass man eben mit Frauen, homosexuellen Männern und so weiter nicht groß gesprochen hat. Man kann auf eine Art und Weise sprechen, die sie ausschließt. Also man muss das mit verschiedenen Strategien angehen, um die verschiedenen Sportbereiche zu erreichen. Auch mit ganz kleinen Aktionen, wie solchen, dass Einzelpersonen Zivilcourage gegenüber Teammitgliedern zeigen, wenn schlecht über andere gesprochen wird. Jetzt ist das Ideal gerade: Man sagt nicht Stopp zu jemandem im eigenen Team, weil er ein Freund ist. Und ich glaube, das muss man verändern und die Anführer und Trainer spielen da eine wichtige Rolle.
Schweizer: Sie sind die Gleichstellungsbeauftragte im schwedischen Sport - was sind die drei absolut wichtigsten Dinge, die sich verändern müssen?
Karlsson: Gleiche Bezahlung - wir müssen Frauen und Männer gleich unterstützen. Ausgewogenheit der Geschlechter in Führungsgremien. Denn dort werden die Standards für den ganzen Sport gesetzt. Und: Männer dazu bekommen, dass sie sich für Gleichberechtigung einsetzen. Sowohl im kleinen, wie der Umkleidekabine aber auch größer: Zum Beispiel offiziell Zivilcourage zeigen und sagen: Sexuelle Belästigung und Gewalt sind nicht ok.
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