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Weltfrauentag
Gewalt gegen Journalistinnen

Spucken, treten, drohen: Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten in Deutschland nimmt zu. Im Fokus stehen vermehrt Medienfrauen. Eine von ihnen ist Spiegel-Journalistin Ann-Kathrin Müller. Sie berichtet über Demonstrationen und Proteste, hier spricht sie über ihre Erfahrungen.

Text: Anh Tran | Ann-Kathrin Müller im Gespräch mit Sebastian Wellendorf |
Auf einer Wand ist ein Banner aufgehängt mit der Aufschrift "PRESSEFREIHEIT".
Auch nach dem Weltfrauentag sind Journalistinnen bei der Arbeit mit physischer und psychischer Gewalt konfrontiert. (dpa | Jörg Carstensen)
Deutschland rutscht im Ranking der Pressefreiheit jüngst weiter nach unten, drei Plätze tiefer auf Rang 16. Schuld sind laut Reporter ohne Grenzen vermehrt Angriffe und Einschüchterungsversuche auf Medienschaffende. Bestätigt wird dieser Eindruck von Studien der Universität Bielefeld zu Hass und Angriffe auf Medienschaffende und des European Centre for Press and Media mit dem Titel Feindbild Journalist 2021. Letztere kommt zu dem Schluss:

Alle fünf Tage wurde ein:e Medienschaffende:r wegen journalistischen Arbeitens attackiert.

Journalistinnen als besonderes Feindbild

Laut der Studie seien besonders Journalistinnen einer Mehrfachbelastung ausgesetzt. Heißt: neben Gewaltandrohungen kommen für sie zusätzlich sexistische Diffamierungen hinzu. Es geht um Fake-Nacktbilder, angedrohte Vergewaltigung oder Beleidigungen wie "Systemschlampe". Journalistinnen würden häufiger auf ihren Körper reduziert, sagt Franziska Klemenz von der Sächsischen Zeitung:

Frauen werden schnell zu Objekten degradiert. Männliche Kollegen erleben seltener, dass ihr Körper für den Mob eine Rolle spielt - höchstens im beleidigenden Sinne, nicht im sexuellen.

Ähnliches schildert die Spiegel-Journalistin Ann-Kathrin Müller im Deutschlandfunk. Im Hauptstadtbüro des Nachrichtenmagazin berichtet Müller vor allem über Protest- und Demonstrationsgeschehen. Als "Merkel-Hure" sei sie dort bereits degradiert worden, bespuckt und getreten. Sie habe das Gefühl, dass auf Frauen stärker reagiert werde, sie auf ihr Geschlecht reduziert würden. Wenn sie zusammen mit männlichen Kollegen recherchiere, erhalte vor allem sie als Frau Hass-Reaktionen. Sie habe zwar mittlerweile ein dickes Fell entwickelt, sei aber trotzdem über den Tonfall im analogen und digitalen Leben überrascht.
Spiegel-Journalistin Ann-Kathrin Müller sitzt auf einem Sessel
Spiegel-Journalistin Ann-Kathrin Müller berichtet über Gewalt gegen Journalistinnen. (imago images | teutopress )

Zielscheibe im Internet

Zur Zielscheibe werden Journalistinnen verstärkt im Internet, wie aus einer internationalen Studie des International Center for Journalists (ICFJ) und der UNESCO hervorgeht. Darin sind Gewalterfahrungen von über über 900 Journalistinnen aus 125 Ländern gesammelt. 73 Prozent der Befragten geben an, on Online-Gewalt betroffen zu sein. Ein Fünftel spricht sogar von Übergriffen im "echten" Leben, die im Zusammenhang mit Gewalt im Netz stehen. Mehrfachdiskriminierte Journalistinnen sind laut der Studie am meisten von Online-Gewalt betroffen. Mehr als 40 Prozent der befragten Journalistinnen gibt an, bereits Ziel von organisierten Desinformationskampagnen gewesen zu sein.

Weltweit bedroht, verhaftet, ermordet

Gewalt gegen Medienschaffende widmet sich auch die Reihe Storykillers der gemeinnützigen Investigativredaktion Forbidden Stories. Als Teil des Rechercheverbunds hat der Spiegel mit vier Journalistinnen aus Russland, den Philippinen, Nordirland und Deutschland über ihre Erfahrungen gesprochen. Sie erzählen von gehackten Postfächern, Haftbefehlen sowie Morddrohungen gegen sie und ihre Kinder. Eine Erkenntnis des Artikels: Zwar würden auch männliche Kollegen bedroht, aber "so brutal, so persönlich wie bei Journalistinnen wird es selten."
Dass aus Drohungen Realität wird, zeigt das Beispiel der indischen Journalistin Gauri Lankesh, die 2017 vor ihrer Haustür erschossen wurde. Sie hatte zu Fake News und Desinformation in Indien recherchiert. Eine Spur führte damals zu einer hindunationalistischen Sekte. Die Polizei verhaftete 17 mutmaßliche Täter. Sie sollen den Mord an Lankesh über ein Jahr geplant haben. Forbidden Stories versucht Lankeshs Arbeit bis heute weiterzuführen. Für Internationale Aufruhr sorgte 2017 der Auftragsmord an der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia. Sie hatte im Land gegen Korruption auf oberste Ebene recherchiert und war Teil der Panama Papers-Recherchen.

Wie Medienhäuser ihre Mitarbeiterinnen schützen können

Medienhäuser könnten sich schon heute dem Schutzkodex von Reporter ohne Grenzen anschließen, meint Spiegel-Journalistin Ann-Kathrin Müller. Dieser umfasst zahlreiche Schutzmaßnahmen, wie Ansprechpersonen für Bedrohungen und Hass-Mails in Redaktionen, psychologische sowie juristische Unterstützung. Es gehe darum, sich nicht alleine zu fühlen, erklärt Müller.
Der Konflikt- und Gewaltforscher Yann Rees fordert im Deutschlandfunk zusätzlich, die Sensibilität bei Polizei und Justiz auszubauen, damit Gewaltandrohungen und Übergriffe konsequent verfolgt werden. Dazu sei auch eine saubere Datenerfassung von Vorfällen notwendig.