Archiv

Fraunhofer-Institut-Studie
"Wenn wir weitermachen wie bisher, erreichen wir keinen Klimaschutz"

Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Solare Energietechnik (ISE) beziffert die geschätzten Mehrkosten der Energiewende bis 2050 auf rund 1.100 Milliarden Euro - gut ein Viertel mehr, als wenn man einfach weitermachen würde wie bisher. Dennoch gibt es gute Gründe, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen, erklärte Hans-Martin Henning vom ISE im Deutschlandfunk.

Hans-Martin Henning im Gespräch mit Ralf Krauter |
    Ein Windrad des Offshore-Parks Baltic 2 vor der Insel Rügen in der Ostsee.
    Wie teuer wird die Energiewende? Das hat das Fraunhofer-Institut untersucht. (picture alliance / dpa / Jens Büttner)
    Ralf Krauter: Deutschlands Treibhausgasemissionen sollen bis 2050 mindestens 80 Prozent geringer sein als im Jahr 1990. Das ist das erklärte Ziel der Bundesregierung. Um es zu erreichen, muss der komplette Energiesektor umgebaut werden.
    Wie das gehen könnte und was es kosten würde? Eine umfassende Studie des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE liefert jetzt erstmals ganz konkrete Antworten. Dr. Hans-Martin Henning, einer der Autoren, erläutert im Gespräch die Hintergründe. DLF-Moderator Ralf Krauter fragte ihn als Erstes, wie viele Windräder und Solaranlagen zusätzlich ans Netz gehen müssten, um die Treibhausgasemissionen Deutschlands bis 2050 um 85 Prozent zu drosseln.
    Hans-Martin Henning: Um diese 85 Prozent zu erreichen, haben wir aus unserer Rechnung und der damit verknüpften Optimierung eine summarische installierte Leistung von ungefähr etwas über 350 Gigawatt erhalten, also jeweils so 160, 165 Gigawatt für Wind auf Land und Fotovoltaik, und etwas über 30 Gigawatt Windanlagen, die in Ostsee und Nordsee installiert würden.
    Ralf Krauter: Diese 350 Gigawatt, Pi mal Daumen, wie viel ist das im Vergleich zu dem, was heute schon installiert ist an erneuerbaren Energien in Deutschland?
    Henning: Erneuerbare Energien sind ja erst mal auch noch mehr, das ist auch Biomasse und Solarthermieanlagen. Aber jetzt auf die fluktuierenden erneuerbaren Energien zur Stromerzeugung bezogen, ist es bei Wind und Fotovoltaik etwas mehr als das Vierfache, bezogen auf den heute installierten Wert, und bei Wind auf See natürlich deutlich mehr, einen runden Faktor 20, bezogen auf das, was heute installiert ist.
    Krauter: Ihre Studie sagt je nach Szenario eine 20- bis 40-prozentige Zunahme von Stromerzeugung und Stromverbrauch in Deutschland voraus. Jetzt haben wir gerade schon einiges über die Erzeugung gehört. Wo sitzen denn aber all die neuen Verbraucher, die diesen regenerativ erzeugten Strom dann abnehmen sollen?
    Henning: Die zusätzlichen Verbraucher sitzen insbesondere in Sektoren, die eben heute nur zu einem geringen Anteil strombasiert unterwegs sind, sozusagen. Also einmal der Wärmesektor, wo wir primär heute Brennstoffe, Heizöl, Erdgas, auch Biomasse verbrennen. Und dort würde eben ein erheblicher Anteil der Heizungssysteme durch elektrische Wärmepumpen ersetzt werden.
    Die sind deshalb so interessant, die elektrischen Wärmepumpen, weil sie eben den Energieträger Strom, der dann ja doch zu erheblichen Teilen aus erneuerbaren Energien kommt, sehr effizient in Wärme umwandeln, während wir heute die Brennstoffe nicht sehr effizient wandeln. Die Qualität des Energieträgers wird dabei überhaupt nicht ausgenutzt. Wir können mit Erdgas viel schönere Sachen machen als 50-gradige oder 60-grädige Wärme.
    Der zweite Bereich, der wesentlich ist, ist der Verkehr. Also Elektromobilität ist ja durchaus auch in aller Munde, und hier gilt im Prinzip das gleiche. Wenn wir heute Verbrennungsmotoren haben, dann haben die einen Wirkungsgrad von 25, 30 Prozent, während ein Elektromotor eben eine sehr hohe Effizienz hat und auch die Batterie, die mit Strom anteilig aus erneuerbaren Energien geladen wird, einen sehr hohen Wirkungsgrad hat.
    "Man wird auch mittel- und langfristig flüssige Kraftstoffe benötigen"
    Krauter: Trotzdem, auch, wenn die Elektromobilität im großen Stil tatsächlich kommt, berücksichtigen Sie dennoch in Ihrer Studie, dass man schon auch Kraftstoffe weiterhin brauchen wird, also flüssige Treibstoffe wegen ihrer hohen Energiedichte, auf jeden Fall im Flugverkehr wahrscheinlich bis auf Weiteres. Die sollen dann auch hergestellt werden unter Verwendung von Strom.
    Lässt sich denn heute überhaupt schon beziffern, wie viel Strom dafür draufgehen würde, für diese synthetischen Treibstoffe der Zukunft?
    Henning: Es ist erst mal richtig, was Sie sagen. Man wird auch mittel- und langfristig flüssige Kraftstoffe benötigen, für den Schwerlastverkehr im Übrigen auch, für den Schiffs- und Luftverkehr. Zunächst mal, in den nächsten Jahren würden das primär noch fossile Kraftstoffe sein und dann zunehmend biogene Kraftstoffe, also Biomasse kann eben auch, teilweise zumindest, in flüssige Kraftstoffe umgewandelt werden, die dann im Verkehr benutzt werden können. Und letztlich, um möglichst hier gar keine fossilen Energien mehr zu verwenden, besteht dann schon die Option auch, erneuerbaren Strom unter Ausnutzung entsprechender Verfahren in flüssige Energieträger umzuwandeln. Das ist allerdings etwas, was aus unserer Analyse folgend erst in den 2040er-Jahren im großen Stil dann zum Tragen kommt. Das heißt, hier ist auch noch ein bisschen mehr Zeit, wirklich die Verfahren weiterzuentwickeln. Das ganze Thema ist ja doch heute noch eher in den Kinderschuhen.
    Krauter: Aber ich habe gelesen, dass da so eine Größenordnung von 80 Gigawatt elektrischer Leistung letztlich dafür draufgehen könnten, für diesen synthetischen Sprit.
    Henning: In Summe ist das richtig. Für die verschiedenen synthetischen Energieträger ist das durchaus die Leistung, die hier benötigt werden könnte. Das ergibt sich sozusagen dann auch, wenn man eben wirklich in den 2040er-Jahren ist: Durch die sehr große Menge an fluktuierenden erneuerbaren Energien, also diese 250 Gigawatt, haben wir natürlich viele Stunden, in denen wesentlich mehr Strom erzeugt wird, als wir ihn in dem Moment gerade für die klassischen Stromanwendungen, Beleuchtung, Antriebe, Pumpen und so weiter und auch die Heizung benötigen.
    Insofern macht es in doppelter Hinsicht Sinn, dass man dann neue Verbraucher zur Verfügung hat, die mit diesem Strom etwas Nutzbringendes anfangen können, beispielsweise, indem sie ihn dann eben in synthetische Brenn- oder Kraftstoffe, flüssig oder gasförmig, umwandeln.
    Energie-Experte Ralf-Martin Henning: Gebäudesanierung auf Passivhausniveau macht keinen Sinn
    Krauter: Sie haben schon kurz das Thema Wärmeversorgung angesprochen. Da versucht man, auf strombasierte Technologien wie Wärmepumpen umzuschwenken. Aber das noch Naheliegendere wäre ja wahrscheinlich die energetische Gebäudesanierung. Welche Rolle spielt das denn in Ihren Szenarien?
    Henning: Ja, auch das haben wir natürlich mit berücksichtigt und untersucht und die Frage gestellt, eine wie weitgehende Sanierung ist denn unter dem Kostenaspekt sinnvoll. Und in der Tat macht es Sinn, den Gebäudesektor natürlich zu sanieren, um erst mal überhaupt den Wärmeverbrauch zu reduzieren.
    Allerdings folgt doch für die meisten der untersuchten Szenarien, dass es nicht zielführend ist, jetzt den gesamten Gebäudebereich sehr ambitioniert bis auf Passivhausniveau zu sanieren, sondern eher in eine Richtung, dass wir alle Gebäude dann auf einen heutigen Neubaustandard sanieren. Das wäre so aus Kostengesichtspunkten im Gesamtkontext ein sinnvoller Wert.
    "Das ist also jetzt auch keine Zahl, die völlig unvorstellbar ist"
    Krauter: Wo Sie die Kosten schon erwähnen: Die Studie beziffert die akkumulierten Mehrkosten der Energiewende bis 2050 auf rund 1.100 Milliarden Euro. Das wäre dann gut ein Viertel mehr, als wenn man einfach so weitermachen würde wie bisher. Auch das haben Sie gegengerechnet. Können wir uns die Energiewende vor diesem Hintergrund überhaupt leisten?
    Henning: Zunächst mal, um diese Zahl vielleicht noch mal ein bisschen in Relation zu stellen: Wenn man das umrechnet auf den gesamten Zeitraum, den wir betrachtet haben, also 2015 bis 2050, dann sind das pro Jahr im Mittel ungefähr 30 Milliarden Euro.
    30 Milliarden Euro entsprechen ungefähr 0,8 Prozent des heutigen Bruttoinlandsproduktes. Das ist also jetzt auch keine Zahl, die dann völlig unvorstellbar ist. Das ist das eine. Das Zweite ist natürlich, wenn wir weitermachen wie bisher, erreichen wir keinen Klimaschutz, keine Reduktion der CO2-Emissionen. Und natürlich muss man auch sehen, diese Zahl resultiert dann, wenn CO2-Emissionen nicht in irgendeiner Form bepreist werden, und wenn fossile Energieträger nicht teurer werden, was beides Annahmen sind, die nicht unbedingt zutreffen müssen.
    Wir haben ja dann auch mal andere Beispiele durchgerechnet. Was passiert beispielsweise, wenn CO2-Emissionen bepreist werden mit bis zu 100 Euro pro Tonne im Jahr 2030, ansteigend von heute fünf Euro pro Tonne, um dann stabil auf 100 Euro zu verbleiben. Und wenn zugleich eben auch fossile Energieträger zwei Prozent pro Jahr teurer werden, dann ist eben der Umbau des Energiesystems auch, einschließlich der gesamten Transformation, kostengünstiger als das Weiter-so.
    Was man vielleicht auch noch im Kopf haben sollte, und auch das haben wir uns angesehen: Wenn denn mal der Umbau vollzogen ist, dann ist selbst dann, wenn Energie nicht mehr kostet als heute, also fossile Energie und CO2 nicht bepreist wird, das umgebaute System nicht mehr teurer als das, was wir heute haben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.