1964 hat die amerikanische Bürgerrechtsbewegung ihren Höhepunkt erreicht. Martin Luther King wird mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Kurz bevor Lyndon B. Johnson Soldaten in den Vietnamkrieg schickt, unterschreibt der US-Präsident im Sommer den Civil Rights Act. Diskriminierende Wahltests für schwarze Amerikaner sind jetzt ebenso illegal wie Rassentrennung in öffentlichen Einrichtungen.
Doch besonders in den reaktionären Südstaaten sieht die Realität noch anders aus. Auch in Mississippi, dem rückständigsten aller US-Bundesstaaten, bleibt der Rassismus an der Tagesordnung. Um Schwarze, die sich als Wähler für die Präsidentschaftswahl im November registrieren lassen wollen, zu unterstützen, reisen im 64er Freedom Summer Hunderte Aktivisten aus dem ganzen Land nach Mississippi.
"Would you ever imagine the manager of a firm making a statement publicly in opposition to his board of directors?"
Es sind vor allem weiße Studenten der Eliteuniversitäten. Mario Savio, ein hagerer Physikstudent von der kalifornischen Berkeley Uni, ist einer dieser Freiwilligen.
"I ask you to consider ..."
Savio prangerte die undemokratischen, bürokratischen Zustände an der Uni an
Ein paar Monate später, am 2. Dezember, steht der 21-Jährige auf dem Campus in Berkeley. Die Universitätsleitung hat ihren Studenten inzwischen jegliche politische Aktivität untersagt. Vor Tausenden Kommilitonen prangert Mario Savio, der als Sohn eines sizilianischen Fabrikarbeiters im New Yorker Stadtteil Queens aufwuchs, die undemokratischen, bürokratischen Zustände an der Universität an. Seiner Meinung nach sind sie Abbild der Verfassung des politischen Establishments in den USA, das sich nicht mehr weiterentwickelt. In einem flammenden Appell ruft Savio zum gewaltfreien Widerstand und zur Besetzung des Verwaltungsgebäudes auf.
"Ihr müsst eure Körper auf die Getriebe und die Treibräder werfen, auf die Steuerhebel und den ganzen Apparat, und ihr müsst ihn zwingen anzuhalten. Und ihr müsst den Leuten, denen die Maschine gehört und die sie am Laufen halten, klar machen, dass sie, bis ihr frei seid, überhaupt nicht mehr funktionieren wird. "
Mario Savio ist der charismatische Anführer des Free Speech Movement in Berkeley. Diese friedliche Aktion für mehr demokratische Teilhabe, das Recht auf freie Meinungsäußerung an der Universität von Kalifornien ist ein wichtiges Kapitel der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre. Der amerikanische Soziologe Robert Cohen sieht in Mario Savio einen Reformer und Revolutionär.
"Obwohl Savio kein Marxist war, sah er die Ungerechtigkeiten des amerikanischen Imperialismus und Kapitalismus so kritisch, wie sie ein Marxist gesehen hätte."
In seinem Buch "Freedom´s Orator" beschreibt Cohen den unideologischen Ansatz des Studentenführers.
Hyperdemokratischer Radikalismus
"Die großen politischen Theorien und Dogmen waren ihm ein Gräuel, weil sie ihn zu sehr an den Katholizismus erinnerten. Sein Radikalismus war hyperdemokratisch und tief in einer Ethik der Fairness und des Mitgefühls verwurzelt."
"May I have your attention, please. "
Nach 15 Stunden ist die Besetzung vorbei. Am 3. Dezember 1964 wird das Verwaltungsgebäude in Berkeley geräumt. Rund 800 Besetzer und Sympathisanten, unter ihnen die Folksängerin Joan Baez, werden von der Polizei in Gewahrsam genommen. Es ist die größte Massenverhaftung in der Geschichte Kaliforniens. Aber der Wandel ist nicht mehr aufzuhalten. Fünf Tage später beschließen Berkeleys Professoren mit großer Mehrheit, die Forderungen des Free Speech Movements umzusetzen. Der erste große Erfolg einer Studentenrevolte löst in den USA einen Stimmungswandel aus. Immer mehr Menschen schließen sich der Bürgerrechtsbewegung an, die auch den Vietnamkrieg ablehnt.
Aber auch in Europa werden die Zivilgesellschaften vom Geist der Bürgerrechtsbewegung erfasst. Ende der 60er Jahre gehen Studenten in Paris, West-Berlin und sogar in Prag auf die Straßen, um die herrschenden Verhältnisse auf den Kopf zu stellen.
Mario Savio, einer der führenden Köpfe dieses gesellschaftlichen Wandels, zog sich nach der spektakulären Berkeley-Aktion zurück, litt an Depressionen und schloss sein Studium erst 1989 im Alter von 46 Jahren ab. 1996, im Jahr seines Todes, unterrichtete er an der kalifornischen Sonoma State University und kämpfte dafür, Studenten aus Arbeiterfamilien die hohen Studiengebühren zu erlassen.