Die derzeitige Situation sei unbefriedigend, sagte Thorsten Frei (CDU), für Migrationsfragen zuständig bei der Unionsfraktion im Bundestag im Dlf. Dass man bei jedem einzelnen Schiff wieder diskutiere, wie die Flüchtlinge verteilt werden sollen, sei unwürdig. Deutschland habe bereits in der Vergangenheit jedes Mal angeboten, dass man ein bestimmtes, verhältnismäßig hohes Kontingent an Personen aufnehme. Das könne nicht Deutschland alleine tun, es müsse auch ein paar andere Länder geben, die dabei unterstützen.
Wichtig sei, dass man eine Einigung auf europäischer Ebene finde. Seit Juni 2018 sei man keinen Schritt vorwärts gekommen. Man brauche aber ein ganzes Bündel an Maßnahmen, damit das Sterben im Mittelmeer ein Ende habe.
Migrationsherausforderung bleibe hoch
Die Migrationsherausforderung aus Afrika bleibe absehbar groß, so Frei weiter. Es brauche eine europäische Antwort darauf. Seenotrettung könne nicht bedeuten, dass man das Handwerk der Schlepper fortsetze, sondern man brauche Antworten aus vielen Bestandteile. Dazu gehöre, dass man die Situation in den Herkunftsländern verbessere, dass man legale Wege nach Europa ermögliche. Dazu gehöre aber auch, die Zusammenarbeit mit den Küstenwachen vor Ort zu verbessern. Es sollten auch Ausschiffungsplattformen etwa mithilfe des UN-Flüchtlingshilfswerks oder der Internationalen Organisation für Migration (IOM) geschaffen werden.
Nicht jeder, der nach Europa kommen wolle, könne auch nach Europa kommen. Persönlich Verfolgte bekämen Asyl und Deutschland stehe zur Genfer Flüchtlingskonvention. Für diejenigen, die aus Seenot gerettet würden, könne nicht anderes gelten. Es sei eine Selbstverständlichkeit, sie aus Seenot zu retten.
Es sei vollkommen klar, dass die Lager, die man derzeit in Libyen sehe, dort Menschen nicht zurückschicken könne. Deshalb sei es besser, Ausschiffungsplattformen zu betreiben. Und dort würde dann über das Asyl entschieden und bei einer Ablehnung die Rückführung direkt von dort passieren.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Dirk Müller: Immer wieder Tote im Mittelmeer, darunter Frauen, Kinder, junge Männer. Viele von ihnen hoffen auf die Rettung, entweder auf See oder letztlich darauf, irgendwie hinüberzukommen nach Europa, oft vergeblich. Und wenn sie es doch geschafft haben, geht das Gerangel los – wer nimmt die Gestrandeten auf. Europa streitet erbittert darüber seit Jahren ohne Einigung, ohne Lösung bislang, ohne Bereitschaft, aufeinander zuzugehen bei der Frage, wie werden diese Flüchtlinge verteilt. Heute werden die EU-Außenminister dieses Thema wieder auf der Tagesordnung haben. Heiko Maas ist jetzt schon einmal vorgeprescht: Deutschland soll eine Vorreiterrolle bei der Aufnahme Geretteter nehmen, fordert der deutsche Außenminister. Erneut eine Vorreiterroller der Deutschen in der Flüchtlingspolitik, da widerspricht Christian Lindner. Der FDP-Chef ist dafür, die Flüchtlinge zurückzubringen an den Ausgangspunkt der jeweiligen Reise, sagt er, also weg von Europa.
- Vorreiterrolle Deutschlands, mehr Gerettete aufnehmen, will das die Große Koalition – darüber sprechen wir nun mit Unionsfraktionsvize Thorsten Frei, CDU. Guten Morgen!
Thorsten Frei: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Herr Frei, sind Sie auch ein Vorreiter?
Frei: Ich glaube, man muss an der Stelle klar unterscheiden zwischen der Frage, wie agieren wir in der aktuellen Situation, und sie ist in der Tat unbefriedigend. Es werden immer wieder Menschen im Mittelmeer gerettet, und dass wir bei jedem einzelnen Schiff in Europa darüber diskutieren, wie man 40, 50 Personen auf die europäischen Staaten verteilt, das ist schon ein Stück weit unwürdig. Und deswegen, glaube ich, ist es richtig, für eine Übergangssituation darüber zu sprechen, wie man diese Fragen löst.
Müller: Dann hat er also recht der Außenminister.
Frei: Ja, Deutschland hat ja bereits in der Vergangenheit jedes Mal angeboten, dass wir ein bestimmtes, und zwar verhältnismäßig hohes Kontingent an Personen in Deutschland aufnehmen. Wir haben nur immer wieder deutlich gemacht, das kann nicht Deutschland alleine tun, sondern es muss zumindest ein paar andere Länder geben, die uns dabei auch unterstützen. Man darf, glaube ich, in der Frage nicht übersehen, dass Deutschland bereits seit 2015 knapp 50 Prozent aller Asylanträge, die in Europa gestellt werden, die Menschen aufgenommen hat. Und deswegen haben wir uns da, glaube ich, nichts vorzuwerfen.
Müller: Festes Kontingent hat ja der Außenminister auch gefordert. Sie haben Kontingente auch angesprochen. Herr Frei, hatten wir jetzt Schwierigkeiten, so eine Art Quote festzulegen? 40, 50 Gerettete, ein Beispiel, das hatte es ja auch wieder gegeben in den vergangenen Wochen. Wie hoch ist denn die deutsche Quote dann?
"Damit das Sterben im Mittelmeer ein Ende hat"
Frei: Das wird man sehen müssen. Wichtig ist, dass wir eine Einigung auf europäischer Ebene erzielen. Das ist, glaube ich, der zweite Schritt, über den wir sprechen müssen. Die Forderung von Heiko Maas ist zwar für die Situation in Ordnung, ist aber keine nachhaltige Lösung. Und genau darüber müssen wir sprechen. Es ist ein Problem, dass wir im Grunde genommen seit 2018, als im Juni der Rat sich mit den Fragen beschäftigt hat, auch Lösungsansätze formuliert hat, keinen Schritt vorwärtsgekommen sind. Denn unterm Strich braucht man, glaube ich, ein ganzes Bündel von Maßnahmen, damit das Sterben im Mittelmeer ein Ende hat.
Müller: Ich frage noch mal nach der Quote nach – also 50 werden gerettet, wie viel nimmt Deutschland dann auf nach Ihrer Vorstellung?
Frei: Wir haben in der Vergangenheit immer sehr konstruktive Vorschläge gemacht, die weit über dem Anteil liegen, den eigentlich Deutschland hätte aufnehmen müssen.
Müller: Wie hoch ist denn der Anteil?
Frei: Wir sind eines von 28 Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union, zwar das größte, aber eines von 28, und in der Vergangenheit war es so, dass maximal vier bis fünf Länder Bereitschaft gezeigt haben, Flüchtlinge aufzunehmen. Deutschland hatte dabei in der Regel die größte Gruppe zugesagt.
Müller: Also so 20, 22, 23, das sind Zahlen, die wir zum Teil gefunden haben. Das soll ungefähr in der Relation dann auch noch bei den Willigen… Er hat ja, der Außenminister, auch vom Bündnis der Hilfsbereiten gesprochen, das wird auch erst mal so bleiben mit großer Wahrscheinlichkeit?
Frei: Sehen Sie, wir reden hier über verhältnismäßig kleine Zahlen. Im ersten Halbjahr 2019 sind etwa 600 Menschen in Europa angekommen und in Seenot gerettet worden. Das heißt, wir reden da nicht über die wirklich großen Zahlen, aber dass die Migrationsherausforderung aus Afrika absehbar großbleiben wird, das ist doch auch vollkommen klar. Und deswegen ist es dringend notwendig, auf diese europäische Herausforderung auch eine europäische Antwort zu haben. Und da muss, glaube ich, klar sein, Seenotrettung kann nicht bedeuten, dass man das Handwerk der Schlepper sozusagen fortsetzt und alle Menschen nach Europa bringt, sondern da brauchen wir in der Tat nachhaltige Lösungen, die aus vielen Bestandteilen besteht. Und da ist das Allerwichtigste, dass wir die Situation in den Herkunfts- und Transitländern verbessern, dass wir natürlich legale Wege nach Europa und Deutschland ermöglichen. Dafür haben wir beispielsweise im Juni das Fachkräfteeinwanderungsgesetz durch den Bundestag gebracht. Dazu gehört aber auch, dass wir die Zusammenarbeit etwa mit der libyschen oder der tunesischen Küstenwache verbessern und die Kräfte dort auch in die Lage versetzen, tatsächlich ihre Aufgabe wahrnehmen zu können. Um den letzten Punkt zu benennen, wenn ich darf, Herr Müller, auch entsprechende Ausschiffungsplattformen gemeinsam beispielsweise mit IOM oder dem UNHCR zu betreiben. Das ist das, was beispielsweise auch die FDP angesprochen hat. Und das ist natürlich auch der richtige Ansatz, darauf haben sich die Staats- und Regierungschefs auch im Juni 2018 verständigt.
Müller: Das ist aber eine Argumentationslinie, die im Grunde seit Jahren ja läuft, auch die Situation vor Ort zu verbessern. Die Kanzlerin hat das auch immer wieder gesagt. Wir haben Innenministerbesuche gehabt in den verschiedenen Ländern. Da hat sich ein bisschen etwas verändert, letztendlich aber die Bereitschaft der Flüchtlinge, zu flüchten und sich aufzumachen nach Europa im Rahmen auch der restriktiven Situation, die sich dort ergeben haben durch Frontex und so weiter, hat sich ja nicht groß geändert. Die Situation in den Lagern soll sich noch verschlimmert haben. Was hat sich denn wirklich in irgendeiner Form jetzt verbessert in dieser Situation, obwohl seit Jahren das auf der Agenda steht?
"Zusammenarbeit hat sich tatsächlich vielfach verbessert"
Frei: Die Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern hat sich tatsächlich vielfach verbessert. Und trotzdem ist klar, das ist eine sehr langfristige Aufgabe. Langfristig muss es darum gehen, dass die Menschen in ihren Herkunftsländern persönliche Perspektiven für sich und ihre Familien sehen. Und dass das eine Entwicklung ist, die nicht von heute auf morgen passiert, ist vollkommen klar.
Müller: Darauf können wir lange warten, argumentieren die Kritiker. Es geht ja um direkte, unmittelbar wirkende operative Politik. Heißt das zurückschicken, wie Christian Lindner das fordert?
Frei: Ja, selbstverständlich. Ich glaube, wir sollten uns schon im Klaren drüber sein, dass nicht jeder, der nach Europa kommen möchte, auch nach Europa kommen kann. Nach dem deutschen Asylrecht geben wir denen Asyl, die persönlich verfolgt sind aus politischen, aus religiösen, aus ethnischen Gründen. Natürlich stehen wir auch zur Genfer Flüchtlingskonvention. Aber für diejenigen, für die diese persönliche Verfolgung nicht gilt, ist es natürlich klar, dass sie auch nicht zu uns kommen können.
Müller: Auch nicht die auf See Geretteten? Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Sollen die sofort wieder zurückgeschickt werden?
Frei: Das wäre natürlich der richtige Ansatz. Für diejenigen, die auf See gerettet sind, kann natürlich nichts anderes gelten. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass sie in Seenot gerettet werden – dadrüber brauchen wir, glaube ich, überhaupt nicht diskutieren –, aber ob sie nach Deutschland oder Europa kommen und dortbleiben können, richtet sich natürlich nach den exakt gleichen Kriterien. Würde man diese Logik aufgeben, würde das doch letztlich bedeuten, dass diejenigen, die jung, kräftig, sportlich, gesund und reich genug sind, um Schlepper zu bezahlen, nach Deutschland und Europa kommen könnten. Und diejenigen, die zu arm, zu krank sind, die blieben in ihren Herkunftsländern. Das hat doch mit einer humanitären Migrationspolitik nichts zu tun.
Müller: Viele sagen ja, dass es im Großen und Ganzen im Moment unter dem Strich so ist, aber noch einmal die Frage: Geprüft wird dann schon noch in Europa? Und danach wird entschieden, wer berechtigt ist und wer nicht? Oder sollen die Aufgenommenen gleich wieder in diesen Ursprungshafen, wie Christian Lindner das ungefähr ausgedrückt hat, gleich zurückgeschickt werden nach Libyen beispielsweise und dort auch wieder in die Lager?
Frei: Wir müssen ja unterscheiden – ich hatte das eingangs gesagt – zwischen der kurzfristigen Reaktion und den mittel- und langfristigen Zielen.
Müller: Das wäre jetzt die Frage nach der kurzfristigen.
"Ausschiffungsplattformen in Nordafrika schaffen"
Frei: Ja, das Ziel muss sein, dass wir Ausschiffungsplattformen in Nordafrika schaffen. Es ist vollkommen klar, dass die Lager, die wir derzeit in Libyen sehen, völlig inakzeptabel sind und dass man dort Menschen nicht zurückschicken kann. Deswegen muss das Ziel bleiben – und ich halte das für realistisch –, dass die Europäische Union gemeinsam mit dem UNHCR und IOM solche Ausschiffungsplattformen dort betreibt. Es muss natürlich menschenwürdig zugehen. Aber selbstverständlich ist die Situation die, dass es besser wäre, die Menschen in den Ausgangshafen zurückzubringen und in solchen Lagern zu unterscheiden, ob es eine Asylperspektive in Europa geben kann, dann kommen sie nach Europa oder eben nicht, und dann müsste die Rückführung in die Herkunftsländer direkt von diesen Ausschiffungsplattformen passieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.