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Freiburger Barockorchester
Mendelssohn frisch serviert

"Die neue Romantik" - dieser Slogan prangt auf der jüngsten CD des Freiburger Barockorchesters. Und in der Tat zeigen die Originalklangexperten mit Dirigent Pablo Heras-Casado und Pianist Kristian Bezuidenhout Facetten im sinfonischen Werk Felix Mendelssohn Bartholdys, die in der Vergangenheit oft unterbelichtet blieben.

Am Mikrofon: Uwe Friedrich |
    Ein junger Mann mit kurzen braunen Haaren, Dreitagebart und weißem Hemd blickt vor schwarzem Hintergrund freundlich in die Kamera.
    Der Pianist Kristian Bezuidenhout spielt auf der aktuellen Mendelssohn-CD einen historischen Erard-Flügel (Marco Borggreve)
    Ob die erste Sinfonie von Felix Mendelssohn-Bartholdy in Wahrheit seine 13. Jugendsinfonie ist oder die erste seiner großen fünf, das haben Musikwissenschaftler immer wieder gerne diskutiert. Dann wäre seine Zweite, "Lobgesang", die erste ernstzunehmende, während die nach seiner eigenen Zählung erste große Sinfonie als unbedeutendes Jugendwerk abgewertet würde. Der spanische Dirigent Pablo Heras-Casado und das Freiburger Barockorchester nehmen Mendelssohns Erste als große Sinfonie ernst und haben sie nun für die Plattenfirma harmonia mundi aufgenommen. Ziemlich ruppig stürzen sie sich in das erste Hauptthema des klassisch aufgebauten ersten Satzes.
    Musik: Felix Mendelssohn Bartholdy, Sinfonie Nr. 1 c-Moll. op. 11
    Gerade mal Fünfzehn war Felix Mendelssohn Bartholdy, als er im Jahr 1824 seine erste große Sinfonie komponierte, und sie zeugt ebenso von jugendlichem Stürmen und Drängen wie von seiner Beethovenverehrung. Die Bühnenmusik zu Shakespeares "Sommernachtstraum" entstand erst ein Jahr später, aber in dieser Sinfonie ist bereits die heitere Stimmung der Ouvertüre zu ahnen, auch wenn sie in feierlichem, ja düsterem c-Moll beginnt, das nach der zeitgenössischen Tonartencharakteristik für Klage, Wehmut und das Verlangen nach Trost steht. Das zweite Thema steht ganz konventionell in der Paralleltonart Es-Dur und sorgt für einen heiteren, festlichen Charakter.
    Musik: Felix Mendelssohn Bartholdy, Sinfonie Nr. 1 c-Moll. op. 11
    Kühle Streicher, geschmeidige Holzbläser
    Die Streicher des Freiburger Barockorchesters spielen vibratolos, geben Mendelssohns Musik damit eine beherzte Frische, die älteren Aufnahmen häufig fehlt. Früher spielten Orchester die gesamte Musik des 19. Jahrhunderts gerne als wäre sie von Brahms, was gerade Mendelssohn noch nie gut getan hat. Der schlanke, betont unsentimentale und dadurch gelegentlich etwas kühle Streicherklang des Freiburger Barockorchesters bietet einen reizvollen Kontrast zu den geschmeidigen Holzbläsern, wodurch noch einmal daran erinnert wird, dass Mendelssohn nach seinen Streichersinfonien in diesem Werk zum ersten Mal die große Sinfonieorchesterbesetzung seiner Zeit verwendet.
    Musik: Felix Mendelssohn Bartholdy, Sinfonie Nr. 1 c-Moll. op. 11
    Felix Mendelssohn Bartholdys erste Sinfonie wurde zum 19. Geburtstag seiner geliebten Schwester Fanny uraufgeführt. Die erste öffentliche Aufführung fand drei Jahre später, im Februar 1827 im Leipziger Gewandhaus statt. Der damalige Saal hatte selbstverständlich nichts mit dem heutigen Neuen Gewandhaus am Augustusplatz zu tun, sondern war ein relativ kleiner Bau mit nur etwa 500 Plätzen und relativ kurzer Nachhallzeit. Das Freiburger Barockorchester hat seinen Zyklus mit Mendelssohn-Sinfonien im eigenen Proben- und Konzertsaal des Freiburger Ensemblehauses aufgenommen, und wenn der akustische Raum dieser Aufzeichnung mitunter etwas eng scheint, könnte auch das der historischen Aufführungssituation der Mendelssohnzeit entsprechen. Im Finale verwendet der Komponist bereits die für seine späteren Werke charakteristischen Choralmotive und Fugen, mit denen er verlässlich eine feierliche Stimmung erzeugen kann.
    Musik: Felix Mendelssohn Bartholdy, Sinfonie Nr. 1 c-Moll. op. 11
    Im Jahr 1829 dirigierte Felix Mendelssohn Bartholdy seine erste Sinfonie mit großem Erfolg in London. Der Beginn einer bis heute anhaltenden Mendelssohnverehrung im Vereinigten Königreich. 1837 schrieb er für das Musikfest in Birmingham sein zweites Klavierkonzert, das er als Solist dort uraufführte. Obwohl das Werk großen Erfolg beim Publikum hatte, war der Komponist nicht zufrieden. Sein Freund Robert Schumann meinte gar, es handele sich wohl um ein Gelegenheitswerk, das Mendelssohn in nur wenigen Tagen oder gar Stunden geschrieben habe. So ist das zweite Klavierkonzert bis heute bei Solisten vergleichsweise unpopulär und weitgehend unbekannt. Dabei beweist der südafrikanische Pianist Kristian Bezuidenhout nun gemeinsam mit dem Freiburger Barockorchester, wieviel Charme, wie viele originelle Ideen in diesem Werk stecken.
    Musik: Felix Mendelssohn Bartholdy, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 d-Moll, op. 40
    Atemberaubender Klangfarbenreichtum
    Zweimal setzt das Orchester an, zweimal fährt ihm das Klavier in die Parade. Erst dann können die Musiker mit ihrer klassischen Einleitung beginnen, auf die dann wiederum das Klavier reagiert und in einen Dialog mit dem Orchester tritt. Der südafrikanische Pianist Kristian Bezuidenhout gehört zweifellos zu den herausragenden Hammerklaviersolisten unserer Tage. Aber die Festschreibung auf dieses historische Instrument tut ihm entschieden Unrecht. Nicht nur spielt er in dieser Aufnahme einen französischen Erard-Flügel aus dem Jahr 1837, dem Jahr der Uraufführung des Konzerts, der instrumentenbautechnisch bereits einige entscheidende Schritte in Richtung unserer modernen Instrumente gemacht hat. Bezuidenhout hat erst unlängst in einem Konzert mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin bewiesen, dass er beispielsweise auch mit Kompositionen von Johannes Brahms auf einem Steinway zu den führenden Musikern der Gegenwart gehört. Eigentlich also keine Überraschung, dass er dem historischen Erard-Flügel einen atemberaubenden Klangfarbenreichtum entlocken kann.
    Musik: Felix Mendelssohn Bartholdy, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 d-Moll, op. 40
    Pablo Heras-Casado und das Freiburger Barockorchester setzen auf Tempo und Rhythmus, Bezuidenhout antwortet nicht bloß mit Virtuosität, sondern vor allem mit Phantasie und Flexibilität. Mit Anschlagsnuancen zwischen perfekt verbundenen Läufen und demonstrativem Nonlegato-Spiel sorgt er dafür, dass auch das Passagenwerk nicht langweilt, dass dieses ganz gewiss nicht zur ewigen Spitzengruppe der Klaviergipfelwerke zählende Konzert abwechslungsreicher erscheint als es vielleicht ist, auf jeden Fall aber beim Zuhören sehr viel Freude bereitet. Kristian Bezuidenhout ist ein Künstler, der die Stärken und Schwächen der Vorlage erkennt, die Stärken herausstellt und bei den Schwächen sanft und stilsicher nachhilft. Der zweite Satz braucht allerdings gar keine Hilfe, er wirkt in seiner schlichten Eleganz von alleine.
    Musik: Felix Mendelssohn Bartholdy, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 d-Moll, op. 40
    Erstaunlich oft schreibt Mendelssohn piano oder pianissimo in die Partitur seines zweiten Klavierkonzerts und Bezuidenhout und das Freiburger Barockorchester folgen diesen Vorgaben getreulich, ohne dass der Klang bleich und ausgedünnt wirkt. Wie in der ersten Sinfonie sorgen die Bläser für klangliche Tiefe und Wärme, die Streicher haben auch dann noch einen saftigen Klang, wenn sie sich nicht im Mezzoforte- und Fortebereich bewegen. Im Finale macht es allen Beteiligten aber auch hörbar Spaß, sich einfach ins Getümmel zu werfen.
    Musik: Felix Mendelssohn Bartholdy, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 d-Moll, op. 40
    Abgerundet wird die neue Mendelssohn CD des Freiburger Barockorchesters mit dem Pianisten Kristian Bezuidenhout und dem Dirigenten Pablo Heras-Casado durch die Konzertouvertüre "Das Märchen von der schönen Melusine", die ebenfalls als Auftragswerk für England entstand. Eine hinreißende Sagen- und Naturschilderung, die völlig zu Unrecht im Schatten der "Hebriden"-Ouvertüre steht.
    Musik: Felix Mendelssohn Bartholdy, "Das Märchen von der schönen Melusine". Konzertouvertüre F-Dur, op. 32
    Die Konzertouvertüre "Das Märchen von der schönen Melusine" vervollständigt die neue CD des Freiburger Barockorchesters, das mit dem Dirigenten Pablo Heras-Casado ebenfalls die erste Sinfonie von Felix Mendelssohn Bartholdy aufgenommen und damit seinen Zyklus von dessen fünf großen Sinfonien abgeschlossen hat, sowie das zweite Klavierkonzert mit dem Solisten Kristian Bezuidenhout auf einem Erard-Flügel aus dem Jahr 1837. Diese beim Label harmonia mundi erschienene CD bietet die Kompositionen mit einer Frische und einem Einfallsreichtum, die kaum übertroffen werden können.
    Felix Mendelssohn Bartholdy
    Sinfonie Nr. 1 c-Moll, op. 11
    Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 d-Moll, op. 40
    "Das Märchen von der schönen Melusine". Konzertouvertüre, op. 32
    Kristian Bezuidenhout, Klavier
    Freiburger Barockorchester
    Ltg.: Pablo Heras-Casado
    Label: harmonia mundi