"An keinem anderen Sportmediziner und Funktionär des bundesdeutschen Sports lässt sich […] die paradoxe Gleichzeitigkeit von Dopingförderung und Dopingbekämpfung in Westdeutschland präziser aufzeigen als bei Joseph Keul."
Der institutionelle Dopingkampf als Alibi-Veranstaltung, nach außen Dopingkampf propagieren und nach innen das Gegenteil praktizieren. So wird es im Gutachten über Joseph Keul beschrieben, dessen Wirken in den unterschiedlichen Phasen des westdeutschen Sports nachgezeichnet wird. Verfasser sind der Wissenschaftler Andreas Singler und der Heidelberger Sportpädagoge Professor Gerhard Treutlein.
Joseph Keul. Chefarzt der Olympiamannschaft, Verbandsarzt u.a. bei den Leichtathleten, Schwimmern, Radfahrern und im Tennis, Sportfunktionär und vor allem Leiter der Abteilung Sportmedizin an der Uni Freiburg. Verstorben im Jahr 2000. Jahrelang galt er als die Koryphäe der westdeutschen Sportmedizin.
Sportler von höchster Stelle mit Doping begleitet
Dabei steckte er mitten im Dopingsumpf. Wobei Keul nur wenige Athleten selbst gedopt habe, wie es im Gutachten heißt:
"Die eigentliche Mittäterleistung Keuls [… ] bestand im Imagemanagement für den Hochleistungssport. Neben der von Keul permanent praktizierten Marginalisierung der Dopingproblematik insgesamt oder der Verharmlosung einzelner Dopingmaßnahmen sind in einzelnen Fällen jedoch auch handfestere Maßnahmen nachweisbar: die Vertuschung von vorliegenden Dopingfällen."
Als ein Beispiel dafür wird die Geschichte eines Leichtathleten erzählt, der 1983 bei Deutschen Meisterschaften in Braunschweig des Dopings mit Testosteron überführt wurde. Er konnte aber für das gerade erst auf die Verbotsliste aufgenommene Testosteron nicht gesperrt werden, weil der Weltleichtathletikverband die notwendigen Grenzwerte noch nicht veröffentlicht hatte.
Danach wurde der Athlet nicht etwa ermahnt, die Finger davon zu lassen. Stattdessen sei bei ihm über Jahre hinweg das Testosteron-Abbauverhalten überprüft worden, also quasi ein medizinisch begleitetes Herandopen an den Grenzwert – unter der Leitung von Joseph Keul und dem Kölner Dopinganalytiker Manfred Donike. Und dabei sei laut Akten auch bekannt gewesen, dass der Athlet zudem synthetische Anabolika eingenommen habe.
"Eingedenk dieser Tatsache ist es ein Skandal von historisch fast einmaligem Ausmaß, dass der Sportler von höchster Stelle wissenschaftlich begleitet 1983 bei den Weltmeisterschaften in Helsinki und 1984 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles mit beträchtlichem Erfolg teilnehmen konnte", heißt es im Gutachten.
DLV distanziert sich
Dass Keul einer der – wie es auch heißt – "am meisten dopingbelasteten Sportmediziner in Westdeutschland" war, dass sich unter ihm die Dopingkultur in Freiburg sich erst so richtig entwickelte, darauf gab es schon viele Hinweise. Vor allem die ehemalige Leichtathletin und Anti-Dopingkämpferin Brigitte Berendonk beschrieb das schon sehr umfassend in ihrem 1991 erschienenen Buch "Doping. Von der Forschung zum Betrug". Auch die von Singler und Treutlein bereits 2000 veröffentlichte Publikation "Doping im Spitzensport" und die vom DOSB in Auftrag gegebene und 2013 erschienene Studie über das Doping in Westdeutschland (Spitzer und Eggers) lieferte viele Einblicke. Dennoch kamen von Verbänden oder Einrichtungen bisher wenig Distanzierungen. Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes äußerte sich gegenüber dem DLF zu der jetzigen Veröffentlichung:
"In dem Bericht sind erschreckende Vorgänge beschrieben und wir als Verband distanzieren uns ausdrücklich von solchen Machenschaften, aber auch von solchen Personen, die in solche Machenschaften involviert sind. Also rein juristisch ist natürlich der Zeitablauf so, dass hier keine Möglichkeiten mehr bestehen."
Sportmedizin institutionell anders aufstellen
Aber es besteht die Möglichkeit, daraus zu lernen und Schlüsse zu ziehen für die Gegenwart. Für das ehemalige Kommissionsmitglied, den Mainzer Sportmediziner Professor Perikles Simon ist klar, dass institutionell die Sportmedizin anders aufgestellt werden müsste. Fördergelder werden bislang über das Bundesinstitut für Sportwissenschaft dirigiert:
"Und das ist im Prinzip so nicht sinnvoll. Das ist ein Diskurs, der genau in die Richtung geht, man möchte vor allem den Leistungssport und da die Komponente Leistung unterstützen. Wenn man das Ganze kritischer will, wenn man das Ganze nach dem Prinzip der Förderung der besten Forschung haben will in diesem sportwissenschaftlichen Bereich, sollte man das in die Hände der deutschen Forschungsgemeinschaft geben."
Dort sieht Simon eine größere Chance, dass Fehlverhalten im Keim erstickt würde.
"Und wenn es nicht gemacht wird, weiß man im Umkehrschluss aber auch genauso warum es nicht gemacht wird, weil der Sport ist der einzige Wissenschaftsbereich, der extra läuft momentan und genau da muss man sich ja fragen warum?"
Das zu ändern, ist eine Schlussfolgerung der Kommission, die nur noch strukturelle Empfehlungen aussprechen kann, und sich nicht mehr in Lage versetzt sah, noch weiter aufzuklären - vor allem den Bereich der sportpolitischen Verantwortung und fehlinvestierten Steuermittel auszuleuchten.