Archiv


Freie Bahn für Wildkatzen

Wer Tiere schützen will, muss nicht nur ihren Lebensraum erhalten, sondern auch ein sicheres Wegenetz, in dem sie sich fortbewegen können, ohne Straßen überqueren zu müssen. Ein Wanderkorridor für Wildkatzen entsteht zwischen dem Nationalpark Hainich und dem Thüringer Wald.

Von Ulrike Greim |
    Mitten im Wald wohnt sie, sieht beinahe aus, wie eine normale gescheckte Hauskatze, nur ein wenig kräftiger, hat ein sehr dichtes Fell, einen buschigen, geringelten Schwanz und einen etwas dickeren Kopf. Und sie ist sehr scheu. Die Wildkatze mag es geschützt. Und wer ihr zu nahe zu kommt, darf nicht mit Sympathie rechnen.

    Thomas Mölich arbeitet für dieses kleine eigensinnige Tier. Im Projekt Rettungsnetz für die Wildkatze des BUND Thüringen. Aus seiner Arbeit im Nationalpark Hainich heraus weiß er, wie sich die scheuen Waldbewohner bewegen:

    "Wir haben hier Wildkatzen mehrere Jahre lang mit kleinen Sendern versehen und beobachtet: Die Katzen kommen einfach nicht aus dem Wald raus. Und wenn, dann nur dort, wo es genügend Büsche gibt. Aber über die offenen Ackerflächen gehen sie einfach nicht."

    Im Hainich gibt es etwa 50 Wildkatzen. Die würden auch gut im Thüringer Wald leben können, aber zwischen beiden Gebieten gibt es Äcker, Straßen, eine Autobahn - für die Wildkatze unüberwindbare Hürden:

    "Wir sind hier am Südrand des Nationalparks Hainich und stehen jetzt mitten drin im beginnenden Korridor, der vom Hainich bis zumThüringer Wald führen soll."
    Korridor heißt: Die Waldgebiete werden durch Waldstreifen miteinander vernetzt. Die Autobahn wird ohnehin bald verlegt, es wird eine große Brücke gebaut. Dann kommt die Wildkatze vom Hainich über die Hörselberge in den Thüringer Wald. Von dort kann es weiter gehen nach Bayern und Hessen hinein. Thomas Mölich fährt nördlich von Eisenach auf ein freies Feld. Hier wird bald ein kleiner Wald wachsen, sagt er:

    "Auf 50 Metern Breite - das ist, wenn man hier jetzt so in der Landschaft steht, schon ganz ordentlich - wird hier ein Waldstreifen gepflanzt, der rechts und links noch einen schönen Waldrand bekommt in Form von großen Hecken. Und durch solche Strukturen wandern Wildkatzen durchaus durch. Das wissen wir aus unserer Forschung. Und damit wird die wichtigste Lücke zwischen Hainich und Thüringer Wald geschlossen."

    Dank moderner Technik war es kein Problem, heraus zu bekommen, wo der Korridor angesiedelt werden muss. Thomas Mölich hat Experten mit der Recherche beauftragt:

    "Durch Computersimulation und Satellitendaten kann man die Wege des geringsten Widerstands berechnen und hat dann für eine große Fläche auch eine gute Arbeitsgrundlage, um Empfehlungen geben zu können und solche Konzepte weiter entwickeln zu können."

    Die fertige Wegführung wurde mit Ämtern und Behörden, zum Beispiel der Flurneuordnungsbehörde mühsam abgestimmt. Auch die Autobahnbaugesellschaft DEGES war im Boot. Denn als Ausgleich für den Neubau muss sie Bäume pflanzen. So einigte man sich, dass die DEGES ihre Bäumchen nicht irgendwo pflanzt, sondern eben hier im Wildkatzenkorridor. In den nächsten Jahren wird Thomas Mölich beobachten, wie die Wildkatzen den neuen Lebensraum annehmen. Da sie so schlecht zu beobachten sind und auch keine Sender mehr haben, benutzt der Biologe Lockstöcke:

    "Also das hier ist ein Lockstock. Das sieht eigentlich nur aus, wie eine zugespitzte Dachlatte mit einem Loch am oberen Ende. In das Loch kann man Röhrchen stecken und Baldrian einfüllen. Diesen Geruch mögen Katzen aus irgendeinem Grund, den wir nicht so genau kennen, und reiben sich dann hier dran. Dann bleiben ein paar ihrer Haare am Lockstock hängen."

    Die Haare werden genetisch untersucht. So wird nachvollziehbar, welche Katzen die neuen Pfade nutzen. Und der Aufwand lohnt sich, da nicht nur die Wildkatzen von dem Korridor Gebrauch machen werden:

    "Wenn die Wildkatze es schafft, von einem Waldgebiet zum anderen zu kommen, und sich fortzupflanzen, dann funktioniert es mit Sicherheit auch für viele andere Tierarten - vom Laufkäfer über den Laubfrosch bis hin zum Baummarder oder Dachs."