236 Milliarden Tonnenkilometer transportierten die LKW im Jahre 1997. 2003 waren es - nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden- bereits 358 Milliarden Tonnenkilometer - der Güterverkehr auf der Straße ist in sechs Jahren um mehr als die Hälfte gewachsen. Wächst der LKW-Verkehr weiter so stürmisch, übertrifft er bereits 2010 die ungünstigsten Prognosen der Bundesregierung für das Jahr 2015. Die geht davon aus, dass in diesem Jahr die Leistung der Laster bei 374 bis 422 Milliarden Tonnenkilometern liegen wird.
Unglaublich! Auf dieser Strecke hier hieße das: zwischen den LKW wäre überhaupt keine Lücke mehr. Verrückt! - Warum wählen die alle die Straße? Die Bahn ist doch auch noch da - und ganz offensichtlich hat sie genug Platz.
Hier, am gleichen Vormittag, nur wenige Kilometer von der Autobahn entfernt, liegen die Gleise von Köln nach Aachen. Hier fahren gar keine Güterzüge mehr, und nur noch wenige andere Züge.
Auf der Schiene wurden 2003 78,5 Milliarden Tonnenkilometer befördert. Vor sechs Jahren betrug die Menge 73 Milliarden Tonnenkilometer. Verglichen mit dem LKW-Verkehr hat die Schiene so gut wie nichts zugelegt, ihr Marktanteil am gesamten Verkehrsmarkt schrumpfte von 19,5 auf 14 Prozent. Trotzdem geht die Bundesregierung davon aus, dass die Schiene bis 2015 ihre Leistung gegenüber heute noch fast verdoppeln wird, und einen Marktanteil von mehr als 24 Prozent erreicht.
Jede Prognose, die für die Schiene in den vergangenen 20 oder 30 Jahren gemacht wurde, zeichnete sich immer dadurch aus, dass sie einen Schienenbonus hatte und der Schiene Mengen zugewiesen oder prognostiziert hat, die dann nie in der Realität umgesetzt worden sind.
Marian Gaidzik von der Berater-Firma HAKON in Hannover. Der gelernte Bauingenieur beschäftigt sich seit den Achtzigerjahren mit Konzepten für den Güterverkehr. Der Eisenbahnexperte ist zu recht skeptisch. Natürlich will niemand den Verkehrskollaps hinnehmen. Natürlich betont jede Bundesregierung, Güter sollten auf der Schiene transportiert werden. So hat auch die derzeitige Koalition in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten:
Den Güterverkehr auf der Schiene wollen wir bis 2015 verdoppeln. Hierfür werden wir ... notwendige Voraussetzungen schaffen und die Errichtung und Reaktivierung von Gleisanschlüssen fördern.
Dieses Ziel ist jetzt auch im Bundesverkehrswegeplan festgeschrieben. Der Haken ist: Bis heute hat keine Regierung Schritte unternommen, um den Güterverkehr auf der Schiene effektiv zu fördern - zum Ärger der Eisenbahnforscher wie Torsten Dellmann aus Aachen:
Es kann also nicht sein, dass es ewig heißt, unser politisches Programm ist, mehr Güter auf die Schiene, aber die Maßnahmen dazu werden einfach nicht ergriffen. Das kann nicht funktionieren und dann muss man sich nicht wundern, wenn der Trend in die andere Richtung geht.
Techniker wie Wirtschaftswissenschaftler sind überzeugt: Ohne vollkommen neue Technik wird die Bahn gegen den LKW nicht gewinnen können.
Eisenbahntestzentrum Wildenrath. Auf einem ehemaligen Militärflughafen hat die Firma Siemens Gleis-Rundkurse und Hallen zum Testen neuer Schienenfahrzeuge errichtet. Bei strahlendem Sonnenschein präsentieren Siemens und die Universität Aachen rund vierzig Herren verschiedener Eisenbahnunternehmen einen neuen Güterwagen, mit dem die Bahn gegen den LKW gewinnen soll: einen automatischen Waggon. Der Wagen hat vier Achsen, ist flach und glänzt in frischem, rotem Lack. Huckepack trägt er einen blauen Container. Weiter nichts, keine Fahrerkabine, keinen Führerstand. Nur an den Enden blicken Videokameras auf die Schienen.
Jetzt blinkt vorne ein gelbes Licht. Dreimal läutet das Fahrzeug, um die Umgebung zu warnen. Dann setzt es sich in Bewegung - allein, ohne Lokomotive oder Fahrer. Dieser "Cargo-Mover" - so der Projektname - ist ein vollautomatisches Fahrzeug. Zwei Modelle existieren derzeit; entwickelt unter anderen von Torsten Dellmann von der RWTH Aachen.
Beim Cargo-Mover existieren zwei Technologieträger. Diese beiden Technologieträger sind hergeleitet worden aus konventionellen Fahrzeugen. Man hat konventionelle Fahrzeuge genommen, sie entsprechend umgerüstet, um zu zeigen, dass diese Technologie erst einmal möglich ist.
Die beiden Fahrzeuge fahren ohne Fahrer. Damit sie aber trotzdem Hindernisse erkennen können, die sich zwischen den Gleisen befinden könnten, haben die Techniker das Gefährt an jedem Ende mit zwei Laserscannern, drei Radargeräten und einer Videokamera ausgestattet. Diese drei Sensor-Systeme tasten das Gleis stets in Fahrtrichtung ab; sie konzentrieren sich auf das eigene Gleis, wobei sie auch eine umgeschaltete Weiche rechtzeitig erkennen. Sollte jemand oder etwas zwischen den Gleisen stehen, hält der Cargo-Mover an.
Erst wenn das Hindernis aus dem Weg geräumt ist, fährt der Waggon weiter. Der Cargo-Mover könnte automatisch von einem Gleisanschluss zum Bahnhof zu fahren, oder auch zwischen zwei Bahnhöfen - es bräuchte nicht mal einen Fahrplan. Und dank einer automatischen Verladeeinrichtung könnte der Wagen im Prinzip überall halten und entladen werden. Der Cargo-Mover soll mit dem LKW nicht auf langen Distanzen, sondern auf kurzen konkurrieren - und die Fläche für die Bahn wiedergewinnen.
Das ist dringend notwendig. Denn mit ihrer derzeitigen Technik hat die Bahn ein prinzipielles Problem, im Güterverkehr mitzumischen.
Wenn wir uns das heute anschauen, das Klassische heute der Bahn ist der Zug. Der Zug ist eben eine Lokomotive und ganz, ganz viele Waggons, die da hinten rangehängt werden. Das heißt aber, dass am besten alle diese Waggons das gleiche Ziel haben und den gleichen Start haben.
Erklärt Torsten Dellmann, der Leiter des Aachener Instituts für Schienenfahrzeuge und Fördertechnik.
Das zweite ist, die Bahn arbeitet nach Fahrplänen. Das heißt, man plant im voraus, wann welcher Zug fährt.
Das eignet sich am besten für Güter, die in großer Menge immer die gleiche Strecke reisen, wie zum Beispiel Kohle, Erz, Stahl, Öl, Holz, Dünger oder Salz. Bis heute ist die Bahn ungeschlagen, wenn es darum geht, diese Massengüter zu fahren.
Aber dieser Marktanteil nehme ständig ab, so Torsten Dellmann, und Klaus Backhaus, Wirtschaftswissenschaftler der Universität Münster, nennt diesen Vorgang "Güterstruktureffekt". Der weißbärtige Mann untersucht seit zehn Jahren den Güterverkehr auf der Schiene; inzwischen glaubt er nicht mehr so recht an einen Fracht-Boom auf der Schiene.
Güterstruktureffekte beschreiben die Entwicklung, dass es immer stärker weggeht von so genannten Massenguttransporten hin zu dem, was die Verkehrswissenschaftler Kaufmannsgüter nennen, also kleinteilige Sendungen, die auch sehr stark in der Fläche streuen.
Dellmann:
Ich nenne das mal Spotmarkt, Handelsgüter, kleinere Einheiten, Paletten, Container.
Backhaus:
Sodass die Schiene, die ja auf das Schienennetz angewiesen ist, diesen stärker streuenden Verkehr nicht mehr so bedienen kann, wie sie das ursprünglich mit den Massengütern einmal tun konnte.
Dellmann:
Darauf ist die Bahn ganz schlecht eingestellt. Ganz schlecht eingestellt deswegen, weil sie nicht spontan auf Marktschwankungen reagieren kann, die sich möglicherweise innerhalb von Tagen, vielleicht sogar Stunden ergeben. Der LKW tut das, und das erklärt die Erfolgsstory des LKWs.
Bahnunternehmen bieten derzeit zwei Wege an, um diese Kaufmannsgüter zu befördern. Zum einen den so genannten Einzelwagenverkehr. Dabei holt das Bahnunternehmen den oder die Güterwagen direkt beim Kunden ab. Die Wagen werden in kurzen Güterzügen zu einem Knotenbahnhof gefahren. Dort stellen Rangierer die Züge zu Übergabezügen um. Diese fahren zu größeren Rangierbahnhöfen, wo sie wieder neu gruppiert werden, zu Ferngüterzügen. Die fahren die lange Strecke. In die Nähe des Bestimmungsortes werden die Wagen noch einmal umrangiert, damit sie in kleinen Zügen zu den Empfängern gefahren werden können.
Das hört sich nicht nur aufwändig an, das ist es auch: Einmal Rangieren dauert mindestens drei bis vier Stunden. Und es ist immer noch weitgehend Handarbeit; auf Anlagen, die zum Teil 80 Jahre alt sind. Kein Wunder, dass Güterzüge kein sehr eindrucksvolles Reisetempo erreichen.
Da kommen dann Durchschnittsgeschwindigkeiten raus, die liegen zwischen sechs und zwölf Kilometern pro Stunde. Da ist ein guter Fußgänger unter Umständen schneller und das ist einfach nicht zeitgemäß. Und was noch schlimmer ist: Sie können bei so einem vereinzelten Verkehr noch nicht einmal genau sagen, wann denn der Kunde bedient wird.
Da loht es sich kaum, für ein paar Paletten die Bahn zu bemühen. Zumal immer weniger Firmen überhaupt einen Anschluss zum Gleisnetz und damit eine Wahlmöglichkeit haben. Bis zum Jahr 2000 gab es 2100 Anschlüsse. Dann überprüfte die DB Güterverkehrstochter DB Cargo - die heutige Railion - deren Wirtschaftlichkeit und schloss anschließend rund 600. Ziel dieser "MORA C" genannten Netz-Verkleinerung war es, die Zahl der Rangiervorgänge zur verkleinern und mehr Güterzüge direkt zum Ziel zu fahren. Auf kurze Sicht werde das Unternehmen dadurch zwar Kunden verlieren und etwas weniger Fracht befördern; aber auf lange Sicht werde sich das Konzept auszahlen, weil die Verbindungen zwischen den Anschlüssen verkürzt und damit die Fracht schneller gefahren werden kann, so das Unternehmen.
Für all diejenigen, die nicht zu den Gleisanschlussbesitzern gehören, haben die europäischen Bahnen ein zweites Angebot: den "Kombinierten Ladungsverkehr". Dabei kommt die Fracht per LKW zur Bahn, wird dort auf den Zug verladen - oder der ganze LKW fährt selbst auf den Zug. Die Bahn fährt dann ohne zu rangieren direkt in die Nähe des Zielortes. Dort angekommen, fährt entweder der LKW vom Zug wieder herunter und zum Kunden - oder die Fracht wird wieder vom Zug auf den LKW geladen.
Das spart natürlich Zeit. Im internationalen Verkehr können diese Züge rund 50 Kilometer in einer Stunde zurücklegen; LKW sind auch nicht schneller. Aber dieses Angebot lohnt sich nicht immer: Klaus Backhaus:
Die Problematik liegt darin, dass sie eine Mindestlänge brauchen, eine Mindesttransportstrecke brauchen, um das Ganze rentabel zu machen.
Denn an dem Kombinierten Ladungsverkehr wollen viele verdienen. Der Spediteur des ersten LKW, der Betreiber der ersten Verladestelle, der Betreiber der zweiten Verladestelle, die Bahn, der zweite Spediteur - das kostet. Nach Berechnungen von Klaus Backhaus bliebe der Bahn auf der Strecke Hamburg Hannover ein Anteil von 20 Euro pro Container am Gesamtpreis übrig, wenn sie konkurrenzfähig fahren will:
Kombinierter Verkehr allgemein rechnet sich eben unter den gegebenen Technologien, die wir zur Zeit zur Verfügung haben, eben nur auf Strecken - da gibt es unterschiedliche Prognosen, je nach dem, welche Technologien man einsetzt - zwischen, na, sagen wir mal 400 und 600 Kilometern, ab da aufwärts wird es interessant.
Das sind aber Strecken, die in Deutschland nicht allzu häufig gefahren werden. Die Folge: Die Bahn nimmt am Wachstum des Güterverkehrsmarktes so gut wie nicht teil.
Dellmann:
So. Und jetzt kann man die Frage stellen: Muss das so sein? Und wenn man ehrlich antwortet: Nein, dass muss nicht so sein.
Neue Technik - wie der automatisch fahrende Güterwagen mit der Bezeichnung Cargo-Mover von Siemens und der RWTH Aachen - sollen die Schiene auch für Kaufmannsgüter auf kürzeren Strecken wieder interessant machen - und auf diese Weise die Bahn Boden gegenüber der Straße gewinnen lassen. Andernfalls wird die Bahn auch weiterhin nur das fahren, was sie heute schon fährt, und kaum einen LKW auf die Schiene bringen, so Torsten Dellmann.
Sie kann mit dem klassischen Ganzzugkonzept nicht mehr erreichen, als sie heute erreicht. Sie wird damit keine Tonne Güterverkehr zusätzlich oder keine Tonne Güterverkehr, die sie verloren hat, auf die Schiene zurückholen, muss ich sagen. Das heißt, sie muss neue Technologien einsetzen und diese Technologien müssen einfach in diese Richtung gehen, den Kundenwunsch zu erfüllen. Der Kunde hat einen Wunsch, er will etwas transportieren, und das will er nicht erst in einer Woche haben, sondern jetzt und zu vernünftigen Konditionen. Dazu gehört der Preis und die Liefertreue. Das ist mit der jetzigen Technologie einfach nicht darstellbar.
Professor Dellmann gehört zu dem kleinen Kreis von Forschern, die sich mit neuen technischen Verfahren für den Schienen-Güterverkehr beschäftigen:
Jetzt will ich nicht neidisch werden, aber ich habe mir mal die Zahlen angeschaut, die entwicklungsmäßig in die Automobilindustrie gesteckt werden, und die Zahlen, die in die Schienenfahrzeugindustrie gesteckt werden, und da liegt eine Zehnerpotenz zwischen. Da muss man sich nicht wundern, wenn sich das eine entwickelt und das andere nur sehr schwierig hinterherkommen kann, obwohl es die technischen Ressourcen hat, eine hochmoderne Technologie zu entwickeln, und einen wirklichen Beitrag leisten kann, um die Verkehrsprobleme der Zukunft zu lösen.
Schnellzüge sind schnittig, moderne Regionalzüge elegant. Güterzüge dagegen sind meist einfach nur hässlich: Sie taugen kaum als Prestigeprojekt. Die Forscher haben das auf eine frustrierende Art und Weise erfahren: Fast jeder Versuch, den Güterverkehr durch eine neue Technik auf die Kaufmannsgüter einzustellen, scheiterte.
Die Automatische Kupplung sollte die Reisezeiten von Güterwagen verkürzen, indem sie die Handarbeit im Rangierbahnhof ersetzt. Sind die Güterzüge im Bahnhof eingefahren und sollen sie neu gruppiert werden, müssen sie erst einmal entkuppelt werden. Das erfordert viele Handgriffe: Der Rangierer muss als erstes zwischen die Wagen krabbeln. Dann löst er die Leitungen für die Bremsen, schraubt die Kupplung los, hebt die schwere Öse aus dem Haken, krabbelt zwischen den Wagen hervor und geht zum nächsten Wagen. Dort wiederholt er die Prozedur, an einem Zug unter Umständen bis zu 40 mal. Und alle Wagen müssen nach dem Rangieren wieder zusammengekuppelt werden.
Das Ent- und Zusammenkuppeln von Hand nimmt pro Aufenthalt im Rangierbahnhof zwischen einer und zwei Stunden Zeit ein. Und diese Zeit sollte die Automatische Kupplung einsparen - ein enormes Potential. Ingenieure in Europa entwickeln seit den Fünfzigerjahren automatische Systeme. Und im Prinzip sind sie fertig, nur - einführen wollen die Bahnen diese jetzt nicht mehr. Marian Gaidzik:
Die Vorteile einer automatischen Kupplung sind sicher unbestritten, die Frage ist: Rechnet sich wirklich das eingesetzte Kapital? Ich sage mal, unter derzeitigen europäischen Verhältnissen, wirtschaftlichen Situationen der Bahnen in Europa, insbesondere auch jetzt im Rahmen der EU-Erweiterung der Ostbahnen, sehe ich wirtschaftlich keinen Ansatzpunkt, dass man ein derartiges System in der breite, das heißt, über ganz Europa, einführen könnte.
Beispiel zwei: Der Cargo-Sprinter. Der Verzicht aufs Rangieren lässt Güter schneller reisen. Der Cargo-Sprinter ist im Prinzip ein LKW auf Schienen. Also ein Güterwagen mit Pritsche, einem Motor und einer Fahrerkabine am Ende. Die Forscher wollten damit die Vorteile des LKW - er ist billig, schnell und flexibel - mit denen der Bahn - sie ist zuverlässig - kombinieren. Diese "LKW auf Schienen" hätten zunächst beim Kunden einen oder mehrere Container aufgeladen, und wären dann los gefahren. Unterwegs hätten sie sich mit anderen Cargo-Sprintern getroffen, die in dieselbe Richtung fahren. Damit die Bahn Energie spart, hätten sich diese Triebzügen zu einem Zug vereinigt. Halbautomatische Kupplungen und eine rechnergestützte Bremsprobe hätten diesen Prozess nur wenige Minuten dauern lassen. Anschließend wären beide zusammen gefahren, bis sie sich kurz vor dem Zielort wieder getrennt hätten.
Das wäre genau das Richtige gewesen, um Kaufmannsgüter zu fahren: viele kleine Mengen an viele verschiedene Orte. Kein Wunder, dass die gerade reformierte Bahn, aber auch eine Spedition, große Hoffnungen in den Cargo-Sprinter setzten.
Die Deutsche Bahn AG ist überzeugt, mit dem Cargo Sprinter über ein ausreichend schnelles und flexibles Transportmittel zu verfügen.
So hieß es 1997, als die Testphase begann. Doch die Bahn, die beteiligte Spedition und die Experten müssen sich geirrt haben: Vom Cargo-Sprinter ist auf dem deutschen Schienennetz bis heute nichts zu sehen.
Ja. Der Cargo-Sprinter, das war eine interessante Entwicklung. Konzept und systemtechnischer Ansatz sind an sich überzeugend, aber leider nicht die betriebliche Realität. Die Fahrzeuge waren technisch einfach nicht ausgereift, Kinderkrankheiten führten häufig zu Ausfällen, daraus resultierten entsprechende Verspätungen, und das hat letztendlich dazu geführt, dass das Projekt nach einem Jahr Betrieb eingestellt werden musste, da diese Verspätungen für die Systemverkehre halt nicht mehr tragbar waren.
Die Spedition hätte zwar den Verkehr mit den Triebwagen wieder aufgenommen, nachdem die Probleme beseitigt waren. Aber die DB Cargo lehnte ab, und so wurden die bereits angeschafften Cargo-Sprinter nach Österreich verkauft.
Beispiel drei: Das Selbsttätig Signalgeführte Triebfahrzeug, kurz SST. Der radikalste Versuch der Bahn, dem LKW Konkurrenz zu bieten. Die Forscher gingen mit dem SST technisch einen Schritt weiter als beim Cargo-Sprinter: Sie verzichteten auf einen Fahrer. Die Steuerung dieses Güterwagens mit Motor lief vollautomatisch; der Wagen fuhr nach dem Beladen automatisch zu seinem Zielort. Dabei "orientierte" er sich an den Signalen - standen diese nicht eindeutig auf Grün, stoppte das Fahrzeug so lange, bis das Signal "Freie Fahrt" zeigte.
Damit hätte die damalige DB Cargo viel Geld sparen können: Rangierer, Lokführer, nicht einmal mehr Fahrplan-Planer wären notwendig gewesen; das Fahrzeug hätte den Kunden genau so bedienen können, wie der es wünschte - optimal für so genannte Kaufmannsgüter, und obendrein vollautomatisch.
Das erste SST fuhr probehalber zwischen den VW-Werken Salzgitter und Wolfsburg. Es holte fertige Motoren und lieferte sie Just-in-time am Fliessband ab. Doch nach einer kurzen Erprobungsphase stellte die DB-Cargo die Entwicklung ein.
Drei teure und viel versprechende Entwicklungen für den Güterverkehr sind in der Versenkung verschwunden; jede hätte auf ihre Weise die Bahn "im Wettbewerb mit der Straße" stärken können. Stattdessen setzt die Bahn bis auf weiteres auf ihre klassischen Züge.
Dellmann:
Sie wird damit keine Tonne Güterverkehr zusätzlich, oder keine Tonne Güterverkehr, die sie verloren hat, auf die Schiene zurückholen.
Über die Jahrzehnte haben sich bei den Bahnen Europas viele derartige Innovationsgräber angesammelt.
Klaus Hoffmann, Wirtschaftswissenschaftler aus Münster:
Sie sind letztlich gescheitert, weil sie erstens nicht flächendeckend eingesetzt worden sind; warum sind sie nicht flächendeckend eingesetzt worden: weil das natürlich einen erheblichen Investitionsaufwand bedeutet, und diese Investitionsmittel konkurrieren um Erhaltungsmaßnahmen für den Status quo.
Marian Gaidzik:
Zur Ehrenrettung der Bahn muss man aber auch sehen, ich war selbst in vielen Projekten, mitbeteiligt, wo die Bahn auch integriert war, dass sich häufig im Ablauf der Projekte, der Entwicklung und der Frage der Einführung gezeigt hat, dass die zu Beginn getroffenen, häufig optimistischen Annahmen zu Investitionskosten, Betriebskosten als auch die Leistungsprofile, die dahinter standen, später nicht mehr eingehalten werden konnten.
Die daraus entstehenden Kosten hätte die DBAG - wie auch die alte Bundesbahn - allein tragen müssen. Denn anders als der Personennahverkehr erhält der Güterverkehr keine Subventionen. Trotz der immer wieder betonten politischen Absicht, mehr Güter auf die Schiene zu bringen. Der Gewinner steht fest: Startender und losfahrender LKW. Überraschenderweise haben sich die Forscher aber nicht entmutigen lassen und arbeiten weiter.
Dellmann:
Es gibt ja keine Alternative, was wollen wir denn tun? Wenn man davon ausgeht, dass in den nächsten 15 Jahren der Güterverkehr um 60 Prozent - es gibt noch andere Schätzungen, die noch höher liegen, steigt, das ist ja gar nicht denkbar, so.
Das jüngstes Projekt des Aachener Eisenbahnwissenschaftlers Torsten Dellmann ist der schon vorgestellte Cargo-Mover. Die Entwicklung schließt im Prinzip an das Selbsttätig Signalgeführte Triebfahrzeug an. Aber anders als das SST soll der Cargo-Mover über einen Zentralrechner gesteuert werden.
Der muss seine Befehle aber irgendwie zum Fahrzeug übertragen; und dabei darauf Rücksicht nehmen, was noch auf der Schiene passiert, um Unfälle zu vermeiden. Also braucht der Wagen noch einen Baustein.
Dellmann:
Dieser Baustein existiert auch, heißt European Train Control System, und ist aber im Augenblick gerade in der Einführung, wird sehr viel Geld kosten, ist auch europaweit einzuführen, ist aber eine zwingende Voraussetzung, wenn wir das nicht machen, sag ich mal, bleiben wir mit der Technologie Bahn immer so auf dem Stand - ich will nicht sagen, um die Jahrhundertwende, aber sehr viel weiter davon weg sind wir nicht.
Das European Train Control System, kurz ETCS, ist eine europaweit einheitliche Funk-Signalisierung und Funk-Steuerung von Zügen. Es soll in den kommenden Jahrzehnten die von Land zu Land unterschiedlichen Signalsysteme ersetzen.
Im Augenblick hat nämlich noch jedes Land seine eigenen Signale und Sicherheitssysteme, die natürlich nicht miteinander verknüpfbar sind; allein in Deutschland gibt es drei. Hätten die Länder dieses Prinzip auch auf der Straße angewendet, hätte jede Nation andere Verkehrzeichen. Und Gelb hieße in Frankreich fahren, in Deutschland stopp, in Holland aber: um die nächste Kurve langsamer fahren, danach wieder so schnell wie vorher. Ein europaweit einheitliches Signalsystem ergibt also Sinn. Die Sache hat nur einen Haken: die Einführung "wird sehr viel Geld kosten" und Jahre dauern. Der Cargo-Mover aber soll schon bald verkauft werden.
Franz Mairhofer, Projektleiter bei der Firma Siemens:
Also, wir gehen von einem Zeitrahmen aus, dass wir cirka in zwei Jahren die erste Pilotanwendung am laufen haben werden, die sicher auch eine Betriebserprobungszeit von zwei Jahren auch braucht, aber wir schätzen, dass wir in fünf Jahren ein zugelassenes serienreifes Produkt haben werden.
Zu diesem Zeitpunkt wird das europäische Signalsystem immer noch ferne Zukunftsmusik sein. Der Cargo-Mover darf dann zwar auf einigen Werksbahnen und abgeschlossenen Nebenbahnen zeigen, was er kann; an ein selbstständiges Fahren zwischen Städten auf den Gleisen der DB Netz AG ist aber nicht zu denken. Die Industrie glaubt trotzdem an einen Erfolg.
Unsere Haupteinsatzgebiete für dieses Fahrzeug sehen wir im Güternah- und Regionalverkehr, also diese Strecken, die jetzt eigentlich vom LKW dominiert werden.
Die Zukunftsvision von Forschung und Industrie ist ein individualisierter Güterverkehr: In die Ferne fahren die Waggons als Zug, dann trennen sie sich und fahren automatisch zum Endkunden.
Mairhofer:
Wir haben durchgerechnet eine Strecke am Beispiel München-Köln, 630 Kilometer Hauptlauf und 43 Kilometer Vor- und Nachlauf, diesen Vor- und Nachlauf gefahren mit dem Cargo-Mover, den Hauptlauf als Ganzzug, und die zweite Rechnung war, dass der Cargo-Mover sich nach dem Vorlauf in den Ganzzug eingliedert und den Nachlauf wieder vom Ganzzug selbstständig erledigt und dort sind die Kosten in der Größenordnung von 15 Euro je Tonne, während ich auf der selben Strecke, gefahren mit LKW, ungefähr den doppelten Wert habe.
Cargo-Mover läutet, fährt ab. Nach all den Berechnungen vergangener Projekte kann man nur wünschen, dass diese Berechnungen stimmen. Neben der fehlenden Funktechnik gibt es nämlich noch ein Problem: Ein Faktor in dieser Rechnung verändert sich zu ungunsten der Bahn, je länger die Einführung dauert: Die Zahl der Gleisanschlüsse. Auf immer mehr Dörfern, in immer mehr Stadtteilen werden die Verladestellen stillgelegt, die Gleise abgebaut.
Marian Gaidzik:
Die früher Flächen erschließende Bahn mit ich sag mal, einem Güterbahnhof in fast jedem Dorf, die ist einfach passe. Die war wirtschaftlich sinnvoll, solange der Güterverkehr auf der Straße mit Pferdefuhrwerken stattfand.
Betrug die Streckenlänge des Schienennetzes in ganz Deutschland 1950 noch mehr als 52.000 Kilometer, waren es 2002 nur noch 41.100. Zum Vergleich: Das Straßennetz in Deutschland hat derzeit eine Gesamtlänge von fast 644.000 Kilometern.
Mairhofer:
Das ist richtig, wir haben leider auch die Tendenz, dass immer mehr Gleisanschlüsse abgebaut werden, wobei zu erkennen ist, auch in Deutschland, dass die Gleisanschlüsse-Förderpolitik wieder mehr zur Sprache kommt, und ich bin der Meinung, wenn wir so fahren würden wie in der Schweiz, wo kein Industriegebiet gebaut werden kann ohne Gleisanschluss, dann wären wir in Deutschland auch weiter.
Wenn und wäre - Deutschland ist aber nicht die Schweiz. Und das heißt: seit Jahrzehnten betreiben die Bundesregierungen eine Politik, die keine klare Förderung der Schiene zugunsten des Güterverkehrs erkennen lässt. Heute ist kein Geld mehr für eine Förderung vorhanden. Die Folgen? Das Schienennetz in Deutschland wird immer kleiner, der mögliche Kundenkreis für den Cargo-Mover schrumpft...
Daher beurteilt Klaus Hoffmann, Wirtschaftswissenschaftler der Universität Münster, die Chancen für einen individuellen Güterverkehr auf der Schiene skeptisch:
Das Hauptproblem ist, dieser selbst organisierte Güterverkehr funktioniert immer nur dann, wenn von Haus zu Haus, also Door-to-door-Transporte möglich sind. Und das setzt ein entsprechendes Schienennetz voraus, was in vielen Bereichen einfach nicht gegeben ist, und das setzt enorme Investitionen in ein erweitertes Schienennetz voraus, dass muss man gründlich planen, und simulieren und rechnen, ob und für welche Transportmengen und ab welchen Transportmengen sich das rechnet.
Der LKW dagegen kommt überall hin! Es sieht nicht gut aus für die Bahn und den Cargo-Mover; der moderne Warenverkehr dürfte auch in Zukunft an den Schienen vorbeifahren - allein politischen Willensbekundungen zum trotz. Aber vielleicht ist doch nicht alles verloren, vielleicht gibt es doch noch eine Nische für die Bahn. Marian Gaidzik und Klaus Hoffmann.
Gaidzik:
Die Güterbahn braucht für die Zukunft eine neue Domäne. Das kann aber nur, und sollte der Langstreckenverkehr sein.
Hoffmann:
Immer dann, wenn wir lange Relationen haben, hat die Schiene nach wie vor einen Systemvorteil. Das, was sie in der Fläche, auf kurzen Strecken unterlegen macht, gegenüber der Straße, bei kleinteiligen Verkehren, macht sie vorteilhaft auf der langen Strecke. Sie haben halt - sie können lange Züge fahren, mit einem oder zwei Lokführern auf der Lok, und das ist konkurrenzlos, auch preislich konkurrenzlos, wenn sie denn in der Lage sind, auch preislich ein effektives Angebot auf der langen Strecke zu machen.
Gaidzik:
Da liegen Wachstumsmöglichkeiten, da liegen Marktchancen.
Das hat inzwischen auch die DBAG erkannt und ihre Güterzugsparte mit der anderer Bahnen zum europaweit agieren Unternehmen Railion zusammengeschlossen.
Nur: Die Fracht, die von Dortmund nach Hannover, München nach Ingolstadt, Leipzig nach Berlin oder Brüssel nach Köln nebst Strassburg nach Frankfurt wie Zürich nach Stuttgart fahren soll -- oder die vom Güterbahnhof zum Kunden muss -- die wird nach wie vor die Autobahnen und Straßen benutzen, im LKW. Gute Fahrt.
Unglaublich! Auf dieser Strecke hier hieße das: zwischen den LKW wäre überhaupt keine Lücke mehr. Verrückt! - Warum wählen die alle die Straße? Die Bahn ist doch auch noch da - und ganz offensichtlich hat sie genug Platz.
Hier, am gleichen Vormittag, nur wenige Kilometer von der Autobahn entfernt, liegen die Gleise von Köln nach Aachen. Hier fahren gar keine Güterzüge mehr, und nur noch wenige andere Züge.
Auf der Schiene wurden 2003 78,5 Milliarden Tonnenkilometer befördert. Vor sechs Jahren betrug die Menge 73 Milliarden Tonnenkilometer. Verglichen mit dem LKW-Verkehr hat die Schiene so gut wie nichts zugelegt, ihr Marktanteil am gesamten Verkehrsmarkt schrumpfte von 19,5 auf 14 Prozent. Trotzdem geht die Bundesregierung davon aus, dass die Schiene bis 2015 ihre Leistung gegenüber heute noch fast verdoppeln wird, und einen Marktanteil von mehr als 24 Prozent erreicht.
Jede Prognose, die für die Schiene in den vergangenen 20 oder 30 Jahren gemacht wurde, zeichnete sich immer dadurch aus, dass sie einen Schienenbonus hatte und der Schiene Mengen zugewiesen oder prognostiziert hat, die dann nie in der Realität umgesetzt worden sind.
Marian Gaidzik von der Berater-Firma HAKON in Hannover. Der gelernte Bauingenieur beschäftigt sich seit den Achtzigerjahren mit Konzepten für den Güterverkehr. Der Eisenbahnexperte ist zu recht skeptisch. Natürlich will niemand den Verkehrskollaps hinnehmen. Natürlich betont jede Bundesregierung, Güter sollten auf der Schiene transportiert werden. So hat auch die derzeitige Koalition in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten:
Den Güterverkehr auf der Schiene wollen wir bis 2015 verdoppeln. Hierfür werden wir ... notwendige Voraussetzungen schaffen und die Errichtung und Reaktivierung von Gleisanschlüssen fördern.
Dieses Ziel ist jetzt auch im Bundesverkehrswegeplan festgeschrieben. Der Haken ist: Bis heute hat keine Regierung Schritte unternommen, um den Güterverkehr auf der Schiene effektiv zu fördern - zum Ärger der Eisenbahnforscher wie Torsten Dellmann aus Aachen:
Es kann also nicht sein, dass es ewig heißt, unser politisches Programm ist, mehr Güter auf die Schiene, aber die Maßnahmen dazu werden einfach nicht ergriffen. Das kann nicht funktionieren und dann muss man sich nicht wundern, wenn der Trend in die andere Richtung geht.
Techniker wie Wirtschaftswissenschaftler sind überzeugt: Ohne vollkommen neue Technik wird die Bahn gegen den LKW nicht gewinnen können.
Eisenbahntestzentrum Wildenrath. Auf einem ehemaligen Militärflughafen hat die Firma Siemens Gleis-Rundkurse und Hallen zum Testen neuer Schienenfahrzeuge errichtet. Bei strahlendem Sonnenschein präsentieren Siemens und die Universität Aachen rund vierzig Herren verschiedener Eisenbahnunternehmen einen neuen Güterwagen, mit dem die Bahn gegen den LKW gewinnen soll: einen automatischen Waggon. Der Wagen hat vier Achsen, ist flach und glänzt in frischem, rotem Lack. Huckepack trägt er einen blauen Container. Weiter nichts, keine Fahrerkabine, keinen Führerstand. Nur an den Enden blicken Videokameras auf die Schienen.
Jetzt blinkt vorne ein gelbes Licht. Dreimal läutet das Fahrzeug, um die Umgebung zu warnen. Dann setzt es sich in Bewegung - allein, ohne Lokomotive oder Fahrer. Dieser "Cargo-Mover" - so der Projektname - ist ein vollautomatisches Fahrzeug. Zwei Modelle existieren derzeit; entwickelt unter anderen von Torsten Dellmann von der RWTH Aachen.
Beim Cargo-Mover existieren zwei Technologieträger. Diese beiden Technologieträger sind hergeleitet worden aus konventionellen Fahrzeugen. Man hat konventionelle Fahrzeuge genommen, sie entsprechend umgerüstet, um zu zeigen, dass diese Technologie erst einmal möglich ist.
Die beiden Fahrzeuge fahren ohne Fahrer. Damit sie aber trotzdem Hindernisse erkennen können, die sich zwischen den Gleisen befinden könnten, haben die Techniker das Gefährt an jedem Ende mit zwei Laserscannern, drei Radargeräten und einer Videokamera ausgestattet. Diese drei Sensor-Systeme tasten das Gleis stets in Fahrtrichtung ab; sie konzentrieren sich auf das eigene Gleis, wobei sie auch eine umgeschaltete Weiche rechtzeitig erkennen. Sollte jemand oder etwas zwischen den Gleisen stehen, hält der Cargo-Mover an.
Erst wenn das Hindernis aus dem Weg geräumt ist, fährt der Waggon weiter. Der Cargo-Mover könnte automatisch von einem Gleisanschluss zum Bahnhof zu fahren, oder auch zwischen zwei Bahnhöfen - es bräuchte nicht mal einen Fahrplan. Und dank einer automatischen Verladeeinrichtung könnte der Wagen im Prinzip überall halten und entladen werden. Der Cargo-Mover soll mit dem LKW nicht auf langen Distanzen, sondern auf kurzen konkurrieren - und die Fläche für die Bahn wiedergewinnen.
Das ist dringend notwendig. Denn mit ihrer derzeitigen Technik hat die Bahn ein prinzipielles Problem, im Güterverkehr mitzumischen.
Wenn wir uns das heute anschauen, das Klassische heute der Bahn ist der Zug. Der Zug ist eben eine Lokomotive und ganz, ganz viele Waggons, die da hinten rangehängt werden. Das heißt aber, dass am besten alle diese Waggons das gleiche Ziel haben und den gleichen Start haben.
Erklärt Torsten Dellmann, der Leiter des Aachener Instituts für Schienenfahrzeuge und Fördertechnik.
Das zweite ist, die Bahn arbeitet nach Fahrplänen. Das heißt, man plant im voraus, wann welcher Zug fährt.
Das eignet sich am besten für Güter, die in großer Menge immer die gleiche Strecke reisen, wie zum Beispiel Kohle, Erz, Stahl, Öl, Holz, Dünger oder Salz. Bis heute ist die Bahn ungeschlagen, wenn es darum geht, diese Massengüter zu fahren.
Aber dieser Marktanteil nehme ständig ab, so Torsten Dellmann, und Klaus Backhaus, Wirtschaftswissenschaftler der Universität Münster, nennt diesen Vorgang "Güterstruktureffekt". Der weißbärtige Mann untersucht seit zehn Jahren den Güterverkehr auf der Schiene; inzwischen glaubt er nicht mehr so recht an einen Fracht-Boom auf der Schiene.
Güterstruktureffekte beschreiben die Entwicklung, dass es immer stärker weggeht von so genannten Massenguttransporten hin zu dem, was die Verkehrswissenschaftler Kaufmannsgüter nennen, also kleinteilige Sendungen, die auch sehr stark in der Fläche streuen.
Dellmann:
Ich nenne das mal Spotmarkt, Handelsgüter, kleinere Einheiten, Paletten, Container.
Backhaus:
Sodass die Schiene, die ja auf das Schienennetz angewiesen ist, diesen stärker streuenden Verkehr nicht mehr so bedienen kann, wie sie das ursprünglich mit den Massengütern einmal tun konnte.
Dellmann:
Darauf ist die Bahn ganz schlecht eingestellt. Ganz schlecht eingestellt deswegen, weil sie nicht spontan auf Marktschwankungen reagieren kann, die sich möglicherweise innerhalb von Tagen, vielleicht sogar Stunden ergeben. Der LKW tut das, und das erklärt die Erfolgsstory des LKWs.
Bahnunternehmen bieten derzeit zwei Wege an, um diese Kaufmannsgüter zu befördern. Zum einen den so genannten Einzelwagenverkehr. Dabei holt das Bahnunternehmen den oder die Güterwagen direkt beim Kunden ab. Die Wagen werden in kurzen Güterzügen zu einem Knotenbahnhof gefahren. Dort stellen Rangierer die Züge zu Übergabezügen um. Diese fahren zu größeren Rangierbahnhöfen, wo sie wieder neu gruppiert werden, zu Ferngüterzügen. Die fahren die lange Strecke. In die Nähe des Bestimmungsortes werden die Wagen noch einmal umrangiert, damit sie in kleinen Zügen zu den Empfängern gefahren werden können.
Das hört sich nicht nur aufwändig an, das ist es auch: Einmal Rangieren dauert mindestens drei bis vier Stunden. Und es ist immer noch weitgehend Handarbeit; auf Anlagen, die zum Teil 80 Jahre alt sind. Kein Wunder, dass Güterzüge kein sehr eindrucksvolles Reisetempo erreichen.
Da kommen dann Durchschnittsgeschwindigkeiten raus, die liegen zwischen sechs und zwölf Kilometern pro Stunde. Da ist ein guter Fußgänger unter Umständen schneller und das ist einfach nicht zeitgemäß. Und was noch schlimmer ist: Sie können bei so einem vereinzelten Verkehr noch nicht einmal genau sagen, wann denn der Kunde bedient wird.
Da loht es sich kaum, für ein paar Paletten die Bahn zu bemühen. Zumal immer weniger Firmen überhaupt einen Anschluss zum Gleisnetz und damit eine Wahlmöglichkeit haben. Bis zum Jahr 2000 gab es 2100 Anschlüsse. Dann überprüfte die DB Güterverkehrstochter DB Cargo - die heutige Railion - deren Wirtschaftlichkeit und schloss anschließend rund 600. Ziel dieser "MORA C" genannten Netz-Verkleinerung war es, die Zahl der Rangiervorgänge zur verkleinern und mehr Güterzüge direkt zum Ziel zu fahren. Auf kurze Sicht werde das Unternehmen dadurch zwar Kunden verlieren und etwas weniger Fracht befördern; aber auf lange Sicht werde sich das Konzept auszahlen, weil die Verbindungen zwischen den Anschlüssen verkürzt und damit die Fracht schneller gefahren werden kann, so das Unternehmen.
Für all diejenigen, die nicht zu den Gleisanschlussbesitzern gehören, haben die europäischen Bahnen ein zweites Angebot: den "Kombinierten Ladungsverkehr". Dabei kommt die Fracht per LKW zur Bahn, wird dort auf den Zug verladen - oder der ganze LKW fährt selbst auf den Zug. Die Bahn fährt dann ohne zu rangieren direkt in die Nähe des Zielortes. Dort angekommen, fährt entweder der LKW vom Zug wieder herunter und zum Kunden - oder die Fracht wird wieder vom Zug auf den LKW geladen.
Das spart natürlich Zeit. Im internationalen Verkehr können diese Züge rund 50 Kilometer in einer Stunde zurücklegen; LKW sind auch nicht schneller. Aber dieses Angebot lohnt sich nicht immer: Klaus Backhaus:
Die Problematik liegt darin, dass sie eine Mindestlänge brauchen, eine Mindesttransportstrecke brauchen, um das Ganze rentabel zu machen.
Denn an dem Kombinierten Ladungsverkehr wollen viele verdienen. Der Spediteur des ersten LKW, der Betreiber der ersten Verladestelle, der Betreiber der zweiten Verladestelle, die Bahn, der zweite Spediteur - das kostet. Nach Berechnungen von Klaus Backhaus bliebe der Bahn auf der Strecke Hamburg Hannover ein Anteil von 20 Euro pro Container am Gesamtpreis übrig, wenn sie konkurrenzfähig fahren will:
Kombinierter Verkehr allgemein rechnet sich eben unter den gegebenen Technologien, die wir zur Zeit zur Verfügung haben, eben nur auf Strecken - da gibt es unterschiedliche Prognosen, je nach dem, welche Technologien man einsetzt - zwischen, na, sagen wir mal 400 und 600 Kilometern, ab da aufwärts wird es interessant.
Das sind aber Strecken, die in Deutschland nicht allzu häufig gefahren werden. Die Folge: Die Bahn nimmt am Wachstum des Güterverkehrsmarktes so gut wie nicht teil.
Dellmann:
So. Und jetzt kann man die Frage stellen: Muss das so sein? Und wenn man ehrlich antwortet: Nein, dass muss nicht so sein.
Neue Technik - wie der automatisch fahrende Güterwagen mit der Bezeichnung Cargo-Mover von Siemens und der RWTH Aachen - sollen die Schiene auch für Kaufmannsgüter auf kürzeren Strecken wieder interessant machen - und auf diese Weise die Bahn Boden gegenüber der Straße gewinnen lassen. Andernfalls wird die Bahn auch weiterhin nur das fahren, was sie heute schon fährt, und kaum einen LKW auf die Schiene bringen, so Torsten Dellmann.
Sie kann mit dem klassischen Ganzzugkonzept nicht mehr erreichen, als sie heute erreicht. Sie wird damit keine Tonne Güterverkehr zusätzlich oder keine Tonne Güterverkehr, die sie verloren hat, auf die Schiene zurückholen, muss ich sagen. Das heißt, sie muss neue Technologien einsetzen und diese Technologien müssen einfach in diese Richtung gehen, den Kundenwunsch zu erfüllen. Der Kunde hat einen Wunsch, er will etwas transportieren, und das will er nicht erst in einer Woche haben, sondern jetzt und zu vernünftigen Konditionen. Dazu gehört der Preis und die Liefertreue. Das ist mit der jetzigen Technologie einfach nicht darstellbar.
Professor Dellmann gehört zu dem kleinen Kreis von Forschern, die sich mit neuen technischen Verfahren für den Schienen-Güterverkehr beschäftigen:
Jetzt will ich nicht neidisch werden, aber ich habe mir mal die Zahlen angeschaut, die entwicklungsmäßig in die Automobilindustrie gesteckt werden, und die Zahlen, die in die Schienenfahrzeugindustrie gesteckt werden, und da liegt eine Zehnerpotenz zwischen. Da muss man sich nicht wundern, wenn sich das eine entwickelt und das andere nur sehr schwierig hinterherkommen kann, obwohl es die technischen Ressourcen hat, eine hochmoderne Technologie zu entwickeln, und einen wirklichen Beitrag leisten kann, um die Verkehrsprobleme der Zukunft zu lösen.
Schnellzüge sind schnittig, moderne Regionalzüge elegant. Güterzüge dagegen sind meist einfach nur hässlich: Sie taugen kaum als Prestigeprojekt. Die Forscher haben das auf eine frustrierende Art und Weise erfahren: Fast jeder Versuch, den Güterverkehr durch eine neue Technik auf die Kaufmannsgüter einzustellen, scheiterte.
Die Automatische Kupplung sollte die Reisezeiten von Güterwagen verkürzen, indem sie die Handarbeit im Rangierbahnhof ersetzt. Sind die Güterzüge im Bahnhof eingefahren und sollen sie neu gruppiert werden, müssen sie erst einmal entkuppelt werden. Das erfordert viele Handgriffe: Der Rangierer muss als erstes zwischen die Wagen krabbeln. Dann löst er die Leitungen für die Bremsen, schraubt die Kupplung los, hebt die schwere Öse aus dem Haken, krabbelt zwischen den Wagen hervor und geht zum nächsten Wagen. Dort wiederholt er die Prozedur, an einem Zug unter Umständen bis zu 40 mal. Und alle Wagen müssen nach dem Rangieren wieder zusammengekuppelt werden.
Das Ent- und Zusammenkuppeln von Hand nimmt pro Aufenthalt im Rangierbahnhof zwischen einer und zwei Stunden Zeit ein. Und diese Zeit sollte die Automatische Kupplung einsparen - ein enormes Potential. Ingenieure in Europa entwickeln seit den Fünfzigerjahren automatische Systeme. Und im Prinzip sind sie fertig, nur - einführen wollen die Bahnen diese jetzt nicht mehr. Marian Gaidzik:
Die Vorteile einer automatischen Kupplung sind sicher unbestritten, die Frage ist: Rechnet sich wirklich das eingesetzte Kapital? Ich sage mal, unter derzeitigen europäischen Verhältnissen, wirtschaftlichen Situationen der Bahnen in Europa, insbesondere auch jetzt im Rahmen der EU-Erweiterung der Ostbahnen, sehe ich wirtschaftlich keinen Ansatzpunkt, dass man ein derartiges System in der breite, das heißt, über ganz Europa, einführen könnte.
Beispiel zwei: Der Cargo-Sprinter. Der Verzicht aufs Rangieren lässt Güter schneller reisen. Der Cargo-Sprinter ist im Prinzip ein LKW auf Schienen. Also ein Güterwagen mit Pritsche, einem Motor und einer Fahrerkabine am Ende. Die Forscher wollten damit die Vorteile des LKW - er ist billig, schnell und flexibel - mit denen der Bahn - sie ist zuverlässig - kombinieren. Diese "LKW auf Schienen" hätten zunächst beim Kunden einen oder mehrere Container aufgeladen, und wären dann los gefahren. Unterwegs hätten sie sich mit anderen Cargo-Sprintern getroffen, die in dieselbe Richtung fahren. Damit die Bahn Energie spart, hätten sich diese Triebzügen zu einem Zug vereinigt. Halbautomatische Kupplungen und eine rechnergestützte Bremsprobe hätten diesen Prozess nur wenige Minuten dauern lassen. Anschließend wären beide zusammen gefahren, bis sie sich kurz vor dem Zielort wieder getrennt hätten.
Das wäre genau das Richtige gewesen, um Kaufmannsgüter zu fahren: viele kleine Mengen an viele verschiedene Orte. Kein Wunder, dass die gerade reformierte Bahn, aber auch eine Spedition, große Hoffnungen in den Cargo-Sprinter setzten.
Die Deutsche Bahn AG ist überzeugt, mit dem Cargo Sprinter über ein ausreichend schnelles und flexibles Transportmittel zu verfügen.
So hieß es 1997, als die Testphase begann. Doch die Bahn, die beteiligte Spedition und die Experten müssen sich geirrt haben: Vom Cargo-Sprinter ist auf dem deutschen Schienennetz bis heute nichts zu sehen.
Ja. Der Cargo-Sprinter, das war eine interessante Entwicklung. Konzept und systemtechnischer Ansatz sind an sich überzeugend, aber leider nicht die betriebliche Realität. Die Fahrzeuge waren technisch einfach nicht ausgereift, Kinderkrankheiten führten häufig zu Ausfällen, daraus resultierten entsprechende Verspätungen, und das hat letztendlich dazu geführt, dass das Projekt nach einem Jahr Betrieb eingestellt werden musste, da diese Verspätungen für die Systemverkehre halt nicht mehr tragbar waren.
Die Spedition hätte zwar den Verkehr mit den Triebwagen wieder aufgenommen, nachdem die Probleme beseitigt waren. Aber die DB Cargo lehnte ab, und so wurden die bereits angeschafften Cargo-Sprinter nach Österreich verkauft.
Beispiel drei: Das Selbsttätig Signalgeführte Triebfahrzeug, kurz SST. Der radikalste Versuch der Bahn, dem LKW Konkurrenz zu bieten. Die Forscher gingen mit dem SST technisch einen Schritt weiter als beim Cargo-Sprinter: Sie verzichteten auf einen Fahrer. Die Steuerung dieses Güterwagens mit Motor lief vollautomatisch; der Wagen fuhr nach dem Beladen automatisch zu seinem Zielort. Dabei "orientierte" er sich an den Signalen - standen diese nicht eindeutig auf Grün, stoppte das Fahrzeug so lange, bis das Signal "Freie Fahrt" zeigte.
Damit hätte die damalige DB Cargo viel Geld sparen können: Rangierer, Lokführer, nicht einmal mehr Fahrplan-Planer wären notwendig gewesen; das Fahrzeug hätte den Kunden genau so bedienen können, wie der es wünschte - optimal für so genannte Kaufmannsgüter, und obendrein vollautomatisch.
Das erste SST fuhr probehalber zwischen den VW-Werken Salzgitter und Wolfsburg. Es holte fertige Motoren und lieferte sie Just-in-time am Fliessband ab. Doch nach einer kurzen Erprobungsphase stellte die DB-Cargo die Entwicklung ein.
Drei teure und viel versprechende Entwicklungen für den Güterverkehr sind in der Versenkung verschwunden; jede hätte auf ihre Weise die Bahn "im Wettbewerb mit der Straße" stärken können. Stattdessen setzt die Bahn bis auf weiteres auf ihre klassischen Züge.
Dellmann:
Sie wird damit keine Tonne Güterverkehr zusätzlich, oder keine Tonne Güterverkehr, die sie verloren hat, auf die Schiene zurückholen.
Über die Jahrzehnte haben sich bei den Bahnen Europas viele derartige Innovationsgräber angesammelt.
Klaus Hoffmann, Wirtschaftswissenschaftler aus Münster:
Sie sind letztlich gescheitert, weil sie erstens nicht flächendeckend eingesetzt worden sind; warum sind sie nicht flächendeckend eingesetzt worden: weil das natürlich einen erheblichen Investitionsaufwand bedeutet, und diese Investitionsmittel konkurrieren um Erhaltungsmaßnahmen für den Status quo.
Marian Gaidzik:
Zur Ehrenrettung der Bahn muss man aber auch sehen, ich war selbst in vielen Projekten, mitbeteiligt, wo die Bahn auch integriert war, dass sich häufig im Ablauf der Projekte, der Entwicklung und der Frage der Einführung gezeigt hat, dass die zu Beginn getroffenen, häufig optimistischen Annahmen zu Investitionskosten, Betriebskosten als auch die Leistungsprofile, die dahinter standen, später nicht mehr eingehalten werden konnten.
Die daraus entstehenden Kosten hätte die DBAG - wie auch die alte Bundesbahn - allein tragen müssen. Denn anders als der Personennahverkehr erhält der Güterverkehr keine Subventionen. Trotz der immer wieder betonten politischen Absicht, mehr Güter auf die Schiene zu bringen. Der Gewinner steht fest: Startender und losfahrender LKW. Überraschenderweise haben sich die Forscher aber nicht entmutigen lassen und arbeiten weiter.
Dellmann:
Es gibt ja keine Alternative, was wollen wir denn tun? Wenn man davon ausgeht, dass in den nächsten 15 Jahren der Güterverkehr um 60 Prozent - es gibt noch andere Schätzungen, die noch höher liegen, steigt, das ist ja gar nicht denkbar, so.
Das jüngstes Projekt des Aachener Eisenbahnwissenschaftlers Torsten Dellmann ist der schon vorgestellte Cargo-Mover. Die Entwicklung schließt im Prinzip an das Selbsttätig Signalgeführte Triebfahrzeug an. Aber anders als das SST soll der Cargo-Mover über einen Zentralrechner gesteuert werden.
Der muss seine Befehle aber irgendwie zum Fahrzeug übertragen; und dabei darauf Rücksicht nehmen, was noch auf der Schiene passiert, um Unfälle zu vermeiden. Also braucht der Wagen noch einen Baustein.
Dellmann:
Dieser Baustein existiert auch, heißt European Train Control System, und ist aber im Augenblick gerade in der Einführung, wird sehr viel Geld kosten, ist auch europaweit einzuführen, ist aber eine zwingende Voraussetzung, wenn wir das nicht machen, sag ich mal, bleiben wir mit der Technologie Bahn immer so auf dem Stand - ich will nicht sagen, um die Jahrhundertwende, aber sehr viel weiter davon weg sind wir nicht.
Das European Train Control System, kurz ETCS, ist eine europaweit einheitliche Funk-Signalisierung und Funk-Steuerung von Zügen. Es soll in den kommenden Jahrzehnten die von Land zu Land unterschiedlichen Signalsysteme ersetzen.
Im Augenblick hat nämlich noch jedes Land seine eigenen Signale und Sicherheitssysteme, die natürlich nicht miteinander verknüpfbar sind; allein in Deutschland gibt es drei. Hätten die Länder dieses Prinzip auch auf der Straße angewendet, hätte jede Nation andere Verkehrzeichen. Und Gelb hieße in Frankreich fahren, in Deutschland stopp, in Holland aber: um die nächste Kurve langsamer fahren, danach wieder so schnell wie vorher. Ein europaweit einheitliches Signalsystem ergibt also Sinn. Die Sache hat nur einen Haken: die Einführung "wird sehr viel Geld kosten" und Jahre dauern. Der Cargo-Mover aber soll schon bald verkauft werden.
Franz Mairhofer, Projektleiter bei der Firma Siemens:
Also, wir gehen von einem Zeitrahmen aus, dass wir cirka in zwei Jahren die erste Pilotanwendung am laufen haben werden, die sicher auch eine Betriebserprobungszeit von zwei Jahren auch braucht, aber wir schätzen, dass wir in fünf Jahren ein zugelassenes serienreifes Produkt haben werden.
Zu diesem Zeitpunkt wird das europäische Signalsystem immer noch ferne Zukunftsmusik sein. Der Cargo-Mover darf dann zwar auf einigen Werksbahnen und abgeschlossenen Nebenbahnen zeigen, was er kann; an ein selbstständiges Fahren zwischen Städten auf den Gleisen der DB Netz AG ist aber nicht zu denken. Die Industrie glaubt trotzdem an einen Erfolg.
Unsere Haupteinsatzgebiete für dieses Fahrzeug sehen wir im Güternah- und Regionalverkehr, also diese Strecken, die jetzt eigentlich vom LKW dominiert werden.
Die Zukunftsvision von Forschung und Industrie ist ein individualisierter Güterverkehr: In die Ferne fahren die Waggons als Zug, dann trennen sie sich und fahren automatisch zum Endkunden.
Mairhofer:
Wir haben durchgerechnet eine Strecke am Beispiel München-Köln, 630 Kilometer Hauptlauf und 43 Kilometer Vor- und Nachlauf, diesen Vor- und Nachlauf gefahren mit dem Cargo-Mover, den Hauptlauf als Ganzzug, und die zweite Rechnung war, dass der Cargo-Mover sich nach dem Vorlauf in den Ganzzug eingliedert und den Nachlauf wieder vom Ganzzug selbstständig erledigt und dort sind die Kosten in der Größenordnung von 15 Euro je Tonne, während ich auf der selben Strecke, gefahren mit LKW, ungefähr den doppelten Wert habe.
Cargo-Mover läutet, fährt ab. Nach all den Berechnungen vergangener Projekte kann man nur wünschen, dass diese Berechnungen stimmen. Neben der fehlenden Funktechnik gibt es nämlich noch ein Problem: Ein Faktor in dieser Rechnung verändert sich zu ungunsten der Bahn, je länger die Einführung dauert: Die Zahl der Gleisanschlüsse. Auf immer mehr Dörfern, in immer mehr Stadtteilen werden die Verladestellen stillgelegt, die Gleise abgebaut.
Marian Gaidzik:
Die früher Flächen erschließende Bahn mit ich sag mal, einem Güterbahnhof in fast jedem Dorf, die ist einfach passe. Die war wirtschaftlich sinnvoll, solange der Güterverkehr auf der Straße mit Pferdefuhrwerken stattfand.
Betrug die Streckenlänge des Schienennetzes in ganz Deutschland 1950 noch mehr als 52.000 Kilometer, waren es 2002 nur noch 41.100. Zum Vergleich: Das Straßennetz in Deutschland hat derzeit eine Gesamtlänge von fast 644.000 Kilometern.
Mairhofer:
Das ist richtig, wir haben leider auch die Tendenz, dass immer mehr Gleisanschlüsse abgebaut werden, wobei zu erkennen ist, auch in Deutschland, dass die Gleisanschlüsse-Förderpolitik wieder mehr zur Sprache kommt, und ich bin der Meinung, wenn wir so fahren würden wie in der Schweiz, wo kein Industriegebiet gebaut werden kann ohne Gleisanschluss, dann wären wir in Deutschland auch weiter.
Wenn und wäre - Deutschland ist aber nicht die Schweiz. Und das heißt: seit Jahrzehnten betreiben die Bundesregierungen eine Politik, die keine klare Förderung der Schiene zugunsten des Güterverkehrs erkennen lässt. Heute ist kein Geld mehr für eine Förderung vorhanden. Die Folgen? Das Schienennetz in Deutschland wird immer kleiner, der mögliche Kundenkreis für den Cargo-Mover schrumpft...
Daher beurteilt Klaus Hoffmann, Wirtschaftswissenschaftler der Universität Münster, die Chancen für einen individuellen Güterverkehr auf der Schiene skeptisch:
Das Hauptproblem ist, dieser selbst organisierte Güterverkehr funktioniert immer nur dann, wenn von Haus zu Haus, also Door-to-door-Transporte möglich sind. Und das setzt ein entsprechendes Schienennetz voraus, was in vielen Bereichen einfach nicht gegeben ist, und das setzt enorme Investitionen in ein erweitertes Schienennetz voraus, dass muss man gründlich planen, und simulieren und rechnen, ob und für welche Transportmengen und ab welchen Transportmengen sich das rechnet.
Der LKW dagegen kommt überall hin! Es sieht nicht gut aus für die Bahn und den Cargo-Mover; der moderne Warenverkehr dürfte auch in Zukunft an den Schienen vorbeifahren - allein politischen Willensbekundungen zum trotz. Aber vielleicht ist doch nicht alles verloren, vielleicht gibt es doch noch eine Nische für die Bahn. Marian Gaidzik und Klaus Hoffmann.
Gaidzik:
Die Güterbahn braucht für die Zukunft eine neue Domäne. Das kann aber nur, und sollte der Langstreckenverkehr sein.
Hoffmann:
Immer dann, wenn wir lange Relationen haben, hat die Schiene nach wie vor einen Systemvorteil. Das, was sie in der Fläche, auf kurzen Strecken unterlegen macht, gegenüber der Straße, bei kleinteiligen Verkehren, macht sie vorteilhaft auf der langen Strecke. Sie haben halt - sie können lange Züge fahren, mit einem oder zwei Lokführern auf der Lok, und das ist konkurrenzlos, auch preislich konkurrenzlos, wenn sie denn in der Lage sind, auch preislich ein effektives Angebot auf der langen Strecke zu machen.
Gaidzik:
Da liegen Wachstumsmöglichkeiten, da liegen Marktchancen.
Das hat inzwischen auch die DBAG erkannt und ihre Güterzugsparte mit der anderer Bahnen zum europaweit agieren Unternehmen Railion zusammengeschlossen.
Nur: Die Fracht, die von Dortmund nach Hannover, München nach Ingolstadt, Leipzig nach Berlin oder Brüssel nach Köln nebst Strassburg nach Frankfurt wie Zürich nach Stuttgart fahren soll -- oder die vom Güterbahnhof zum Kunden muss -- die wird nach wie vor die Autobahnen und Straßen benutzen, im LKW. Gute Fahrt.