Stefan Koldehoff: Noch ist es ja nicht tot, das England in Europa. In einem Bereich dient es sogar nach wie vor als leuchtendes kulturelles Vorbild. Auf der Insel nämlich ist seit langem der Eintritt in die ständigen Sammlungen der staatlichen Museen frei. Der Direktor des Museum Folkwang in Essen, Tobia Bezzola, ist diesem Vorbild vor genau einem Jahr gefolgt – mit Erfolg offenbar: Doppelt so viele Besucher wie vorher hat er nun. Nun sind die Museen ja, wenn das Berliner Institut für Museumskunde einmal im Jahr die neuen Zahlen präsentiert, sowieso schon immer stolz, wenn sie – wie seit Jahren – zusammen mehr Besucher haben als die deutschen Fußballstadien. Trotzdem zeigt das Essener Experiment aber doch, Herr Bezzola, dass der Eintrittspreis schon auch eine Rolle spielt. Tolles Museum allein reicht nicht?
Tobia Bezzola: Der spielt eine Rolle. Ich denke aber, man muss das differenziert betrachten. Ganz mit Recht sagen Kollegen, die in Berlin, München oder in anderen, sagen wir, touristisch relevanten Regionen tätig sind, dass für sie das überhaupt kein Thema sein kann, weil der Eintritt natürlich auch aufgrund der Trägerschaftsform an den meisten Orten notwendige Bedingung ist.
Koldehoff: Sie haben eine Stiftung im Rücken, die Ihnen das finanziert.
Bezzola: Genau. Das ging ja auch nicht aufgrund eines Entscheides der Stadt Essen, sondern die Stadt Essen hat sich den Ertragsausfall kompensieren lassen durch eine Spende der Krupp-Stiftung für fünf Jahre.
Koldehoff: Trotzdem beeindruckende Zahlen: 186 Prozent Plus bei Kindern, 92 Prozent Plus bei Jugendlichen. Gibt es andere Gruppen, die man nennen kann? Es gibt eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen von Ihnen, die "wenigstens" für Migranten und Flüchtlinge im Moment freien Eintritt gewährt. Wie schaut es da bei Ihnen aus?
Viel mehr Jugendliche im Museum
Bezzola: Ja, wir machen auch Angebote natürlich in Zusammenarbeit mit der Stadt. Wir haben Führungen in türkischer Sprache eingeführt. Wir haben Führungen auch eingeführt für Personen, die wirklich zum ersten Mal in ihrem Leben ein Kunstmuseum westlichen Typus besuchen, und diese Angebote werden auch wahrgenommen. Aber insbesondere ist für uns natürlich erfreulich, dass die Nutzung durch Jugendliche einfach zugenommen hat. Das sieht man auch, ohne dass wir jetzt statistische Zahlen hätten, die belastbar sind. Man sieht das einfach im Beispiel der Erscheinung im Museum. Es kommen einfach junge Menschen ganz zwanglos ins Museum und schauen sich was an und halten sich im Museum auf.
Koldehoff: Was hat denn bei Ihnen eigentlich überhaupt zu der Entscheidung geführt? War es vorher einfach ein bisschen wenig für so eine wirklich fantastische Sammlung?
Bezzola: Ja, es war viel zu wenig, ohne irgendjemandem da einen Vorwurf zu machen. Das Museum hatte sich sehr auf spektakuläre Großausstellungen, Sonderausstellungen konzentriert und sich dadurch profiliert auch in ganz maßgeblicher Weise. Aber in dem ersten Jahr, wo ich in Essen war, war der Besuch der ständigen Sammlung geringer als 20 Prozent von der gesamten Besucherzahl, weil auch ein bisschen die Zeiten sich ändern. Wir müssen versuchen, ein bisschen weg zu kommen von diesem spektakulären Blockbuster-Konzept, sondern wir müssen versuchen, eigentlich permanente, ständige nachhaltige Angebote für die verschiedensten Nutzergruppen auch gerade in der Stadt, in der Region zu schaffen. Und um da quasi ein bisschen Anschubhilfe zu geben, war natürlich die großartige Entscheidung der Krupp-Stiftung, wie man jetzt sieht, genau das richtige Mittel.
Koldehoff: Mit Erfolg von Essen. Und daran knüpft jetzt, Herr Bezzola, von Ihrer Seite die Forderung an, bitte, liebe Kollegen, macht’s alle so?
Bezzola: Ich weiß genau, dass man das überhaupt nicht so jetzt extrapolieren kann. Das ist ganz klar. Ich weiß, dass viele Kolleginnen und Kollegen sich das auch wünschen würden. Aber wie gesagt, die Trägerschaftsformen der Museen in Deutschland sind sehr unterschiedlich. Da gibt es verschiedenste Konstruktionen. Aber fast allen ist gemeinsam, dass sie natürlich auch auf gewisse Erträge aus dem Museumsbetrieb angewiesen sind, auch wenn die relativ gering sind an gewissen Orten. An anderen Orten sind sie größer, aber doch völlig darauf verzichten kann eigentlich fast niemand. Die Aufforderung könnte höchstens sein an andere, die in Deutschland die Möglichkeit haben, Sponsoren, Stiftungen, andere Förderer, die vielleicht an ihrem Ort, in ihrer Stadt, in ihrer Region in den Museen so etwas auch ermöglichen würden.
Koldehoff: Tobia Bezzola, vielen Dank - der Direktor des Museum Folkwang in Essen.
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