Jule Reimer: "Wir haben das Transpazifische Freihandelsabkommen TPP. Von dem sagen alle NGOs der Welt, wenn das unterschrieben wird, dann wird das unsere Fähigkeit beschränken, den Klimawandel zu bekämpfen und den Handel mit fossilen Brennstoffen zu stoppen."
Das war eine eindringliche Warnung, ebenfalls am Samstagabend in Paris zum Abschluss des UN-Klimagipfels, vorgetragen von Eric Pica, Vertreter von "Friends of the Earth USA". Denn nach dem UN-Klimagipfel ist vor der WTO-Konferenz. Am kommenden Dienstag, also morgen, treffen sich in Nairobi Handelsminister aus aller Welt, um im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO über weitere Marktöffnungen zu verhandeln.
Parallel zum Pariser Klimagipfel verhandelten übrigens zudem rund 50 Staaten im Stillen darüber, ihre Märkte für ausländische Dienstleistungen zu öffnen, das sogenannte TISA-Abkommen. Dank Wikileaks gelangte das Energiekapitel an die Öffentlichkeit und darin wird eine sehr umfassende Definition von Energiedienstleistern benutzt.
Das betrifft die Suche nach Energierohstoffen, ihre Förderung sowie die Umwandlung oder Verteilung von Energie. TISA fordert Marktzugang für ausländische Investoren, die Aufhebung von Exportbeschränkungen sowie Technologie-Neutralität. Das stellt auf den ersten Blick Sonnenenergie mit Erdöl auf eine Stufe.
Peter-Tobias Stoll ist Professor für internationales Wirtschafts- und Umweltrecht an der Universität Göttingen. Ich fragte ihn kurz vor dieser Sendung, ob Technologie-Neutralität ein gefährlicher Ansatz ist, wenn wir dringend aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas aussteigen müssen.
Peter-Tobias Stoll: Diese Technologie-Neutralität ist in dem Text über das neue Dienstleistungsabkommen in der Tat am Anfang vorgesehen. Was diese Regelung im Einzelnen bedeutet, ist noch nicht vollständig klar, weil die Analyse dessen, was dort verhandelt wird, noch andauert.
Man muss das auch im Kontext mit anderen Dokumenten sehen, die bisher noch nicht veröffentlicht sind. Allgemein kann man aber sagen, dass es bedeuten würde, dass jede Regelung, die in TISA getroffen wird, sich auf die unterschiedlichen Technologien, Energietechnologien und Energieträger bezieht. Das muss aber nicht heißen, dass alle in der gleichen Form geregelt werden und alle gleichermaßen zulässig sein sollen.
Reimer: Nach der Veröffentlichung kursierte das böse Wort vom "Fracking-Agreement", einem Freibrief für unbegrenztes Fracking. Kritiker befürchten, dass diese Technologie-Neutralität oder auch mögliche Gleichbehandlung - Gleichbehandlung ist ja dennoch ein Kern solcher Freihandelsabkommen - am Ende bedeuten könnte, wenn in einer Region ein Windpark entsteht, dann darf dort auch gefrackt und nach Öl gebohrt werden. Ist das möglich?
Stoll: Soweit würde ich in der Analyse nicht gehen. Ich glaube, die Kritik hat einen richtigen Punkt darin, dass diese neuen Abkommen den Freihandel sehr stark unterstützen und die Regierungen sehr stark zwingen dazu, genau im Einzelnen zu sagen und zu begründen, warum sie eine bestimmte Aktivität nicht wollen.
Wenn sie das nicht tun, müssen sie natürlich auch den ausländischen Dienstleistungsanbietern die gleichen Rechte einräumen.
Das heißt, es wird in Zukunft sehr viel mehr darauf ankommen, dass die Regierungen aktiv von ihrer Seite ihre Vorstellung von Energiepolitik regeln und ihre Umweltanforderungen konkretisieren. Darin liegt natürlich eine Gefahr, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass dies alles alle Staaten in gleichem Maße effektiv tun können.
Das heißt, es wird in Zukunft sehr viel mehr darauf ankommen, dass die Regierungen aktiv von ihrer Seite ihre Vorstellung von Energiepolitik regeln und ihre Umweltanforderungen konkretisieren. Darin liegt natürlich eine Gefahr, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass dies alles alle Staaten in gleichem Maße effektiv tun können.
"Es besteht die Gefahr von Investitionsklagen"
Reimer: Was heißt das praktisch, denn wir kennen ja diese Investorstaat-Klageverfahren, wo Investoren sagen, na ja, ihr hattet doch mal die oder die wirtschaftliche Aktivität erlaubt und jetzt wollt ihr es uns plötzlich verbieten aus Umweltgründen, da entgehen uns Gewinne, die wir eigentlich erwartet haben und die ihr uns eigentlich auch versprochen habt. Worauf kommt es dann wirklich an bei staatlicher Politikformulierung, dass man nicht in so eine Falle gerät?
Stoll: Sie haben völlig recht. Die beiden Verfahren, die der schwedische Staatskonzern Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland angestrengt hat, zeigen ja diese Gefahr.
Reimer: Beispiel Atomausstieg.
Stoll: Einmal Atomausstieg, das andere Mal Umweltauflagen für ein Kraftwerk in Hamburg. In dem einen Fall hat die Bundesregierung natürlich nach der Katastrophe von Fukushima sehr schnell gehandelt und auf diese Situation reagiert. In dem anderen Fall hatte die Freie und Hansestadt Hamburg sogar eine Zusage gegeben, dass das Kraftwerk genehmigungsfähig wäre.
In beiden Fällen sieht man, dass man, wenn man so handelt, dann schon sich der Gefahr gegenübersieht, dass man solche Investitionsklagen bekommt. Bedeutet auch, dass jede Regierung jetzt einen zusätzlichen Schritt einbauen muss, wenn sie Umwelt- und Energiepolitik macht. Sie muss jedes Mal im Einzelnen prüfen, ob nicht durch ihr Handeln solche Ansprüche entstehen können.
Reimer: Laut Energiekapitel in diesen geliebten TISA-Texten sollen sich alle Vertragspartner laut Artikel drei ohne Einschränkung dazu verpflichten, die grenzüberschreitende Bereitstellung von Energie zu erlauben. Das heißt, sie dürfen keine Exportbeschränkung erlassen. Kann denn eine Regierung dann noch sagen, nein, bei uns bleibt das klimaschädliche Erdöl unter der Erde?
Stoll: Das können sie sicherlich sagen, denn dieses geleakte Kapitel enthält auch eine Klausel darüber, dass die Staaten selber bestimmen dürfen, wie sie mit ihren Energieressourcen umgehen, und dass sie frei darin sind, Umweltauflagen und dergleichen für die Förderung dieser Energie-Rohstoffe zu beschließen.
Aber auch dafür gilt wieder: Diese neuen Abkommen verlangen, dass ein Staat eine sehr effiziente, klare Politik fährt, und er braucht dafür natürlich eine Reihe von Beratungen und ein sehr effizientes politisches System. Wenn er in einer Hinsicht einen bestimmten Bereich nicht regelt, nicht ausdrücklich Regelungen erlässt, dann muss er natürlich die in dem geleakten Text gewährten Freihandelsrechte gewähren.
Reimer: Wenn schon die Bundesrepublik, die reiche Bundesrepublik mit ihren Heerscharen von Juristen da aber immer mal wieder Probleme hat, ist das dann für, sagen wir mal, afrikanische Staaten, die nicht so auf Rosen gebettet sind, machbar, umsetzbar?
Stoll: Obwohl ja afrikanische Staaten jetzt nicht in großer Zahl an diesem TISA-Abkommen beteiligt sind, kann man allgemein Zweifel daran haben, ob das in allen Fällen gelingt. Sie haben völlig recht. Was hier erforderlich wäre, wäre eine bessere internationale Abstimmung, wo es nicht ausschließlich die Aufgabe jeden einzelnen Staates ist, eine vernünftige Umweltpolitik zu machen, die Freihandel und Energienutzung und Umweltschutz in Einklang bringt, sondern dass wir ein besser abgestimmtes internationales Konzept dafür hätten.
Reimer: So wie Sie es gelesen haben, könnte das TISA-Kapitel über Energie die Bevorzugung erneuerbarer Energien behindern? Das wäre ja eine Diskriminierung, wenn man das dann tut.
Stoll: Das kommt darauf an. Es muss eine Diskriminierung sein zwischen Inländern und Ausländern. Darüber könnte man nachdenken. So ohne Weiteres lässt sich das aus diesem kurzen Kapital, das nur einige allgemeine Regelungen enthält, jetzt bisher nicht herleiten. Aber es gibt international eine große Unsicherheit darüber, weil beispielsweise in einem Fall gegen Kanada die WTO sich geäußert hat zu der Frage, ob man erneuerbare Energien subventionieren darf, und das ist in diesem Fall offen geblieben.
Reimer: Und es ist auch beim Erneuerbare-Energien-Gesetz in Deutschland immer wieder auf der Kippe.
Stoll: Es ist in Deutschland auch immer wieder auf der Kippe. Dabei geht es allerdings ja nun hauptsächlich darum, ob die Privilegien für energieintensive Industrien dann ihrerseits, die ja eine Ausnahme bekommen von den allgemeinen Regelungen, ob die dann so eine Art Subvention darstellen. Aber Sie haben völlig recht: Hier in diesen Bereichen besteht Unklarheit und das verhindert eine progressive klimaschützende Politik, weil eine Reihe von Rechtsunsicherheiten bestehen.
"Es sind zu viele Rechtsunsicherheiten vorhanden"
Reimer: Weder die bisherigen Freihandelsabkommen, noch die Welthandelsorganisation WTO erlauben, aus Gründen des Klimaschutzes den Freihandel einzuschränken. Klimaschutz kommt einfach gar nicht vor in den alten WTO-Bestimmungen und in den jüngeren Freihandelsabkommen, in den geplanten, kommt es immer mal wieder sehr zaghaft vor. Was muss geschehen, damit man Freihandel und Klimaschutz übereinbringen kann?
Stoll: Zunächst ist nicht völlig ausgeschlossen, auch wenn die WTO darüber als Freihandelsabkommen nichts sagt, dass nicht die Staaten etwas unternehmen könnten. Das können sie in vielen Fällen doch tun, weil die WTO es ihnen erlaubt, für solche bestimmten Politiken dann Ausnahmen im Grunde von ihrer WTO-Verpflichtung zu machen.
Allgemein haben Sie aber völlig Recht, denn es sind einfach zu viele Rechtsunsicherheiten im Augenblick vorhanden, etwa die Frage Subventionierung erneuerbarer Energien, etwa auch die Frage, was passiert, wenn schmutzige klimaschädliche Industrien aufgrund der Klimapolitik etwa in der EU in andere Teile der Welt verlagert werden. Darüber müsste offen gesprochen werden und dafür fehlt auf internationaler Ebene ein wenig das Forum, weil die WTO nur für den Freihandel zuständig ist und die Klimarahmen-Konvention nur für den Klimaschutz. Es müsste ein Instrument geschaffen werden, um beide Aspekte in einem Zusammenhang behandeln zu können.
Reimer: Glauben Sie, dass Klimaschutz Thema sein wird auf der WTO-Konferenz, die am Dienstag beginnt?
Stoll: Ich glaube, dass es zum Teil angesprochen wird. Allerdings ist von der Thematik und Geschäftsordnung nicht zu erwarten, dass ein Schwerpunkt der Tagung auf diesem Thema liegen wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.