Bütikofer sagte im Deutschlandfunk, er erwarte nicht, dass das Bundesverfassungsgericht denen Recht gebe, die Ceta zum Anlass nehmen, den Freihandel insgesamt in Frage zu stellen. Das wäre absurd. Dennoch müsse das Gericht die Bedenken der Ceta-Gegner ernst nehmen, insbesondere was die Privilegierung ausländischer Investoren mit einem Sconderschiedsverfahren angehe. Das sei ein demokratisches Problem, betonte Bütikofer.
Es sei ungehörig, wenn Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) das Scheitern des Abkommens vorab als eine "Katastrophe für Europa" bezeichne. Beim Grundrechtsschutz gebe es keinen Rabatt, sagte Bütikofer weiter. Gabriel habe sich am Ende dafür entschieden, lieber zu beschönigen, statt bei der strengen Verfechtung von Standards zu bleiben, die er einst versprochen habe.
Das Interview in voller Länge:
Dirk-Oliver Heckmann: Das Freihandelsabkommen mit Kanada, CETA, es soll die Wirtschaft ankurbeln und die Wirtschaft auch befruchten, und es sollte als Blaupause dienen für das geplante Abkommen mit den USA. Doch viele Kritiker sehen darin ein Programm zur Absenkung beispielsweise von Sozialstandards. Sie haben Klage eingereicht vor dem Bundesverfassungsgericht. Mitgehört hat Reinhard Bütikofer von Bündnis 90/Die Grünen. Er ist Vorsitzender der europäischen Grünen, sitzt im Europaparlament, und ihn erwischen wir gerade am Flughafen. Herr Bütikofer, schönen guten Tag!
Reinhard Bütikofer: Ich grüße Sie.
Heckmann: Herr Bütikofer, erwarten Sie denn jetzt, dass die Richter in Karlsruhe ein Stoppsignal setzen?
Bütikofer: Ich kann nicht so tun, als wäre ich schlauer als das Bundesverfassungsgericht. Das werden wir jetzt noch bis spätestens morgen abwarten müssen. Die Abwägung, die die zu treffen haben, ist ja schon dargestellt worden.
Heckmann: Die Abwägung ist dargestellt worden. Aber was für eine Entscheidung erwarten Sie für morgen?
Bütikofer: Ich erwarte nicht, dass das Bundesverfassungsgericht denen recht gibt, die jetzt Ceta zum Anlass nehmen wollen, wie Herr Schachtschneider - darauf wurde ja verwiesen -, gegen Freihandel insgesamt zu Felde zu ziehen. Das wäre absurd. Auf der anderen Seite muss man gerade die Bedenken, die auch in Ihrem Bericht angesprochen wurden in Bezug auf die Privilegierung ausländischer Investoren mit einem Sonderschiedsverfahren, die muss man ernst nehmen. Das ist ein Problem demokratisch und ich glaube, das Verfassungsgericht wird prüfen müssen, ob das vorläufige Inkrafttreten so schwergewichtig ist an dieser Stelle, dass man jetzt erst mal Stopp sagen muss. Und da finde ich es ungehörig, wenn der Bundeswirtschaftsminister vorab sagt, das wäre eine Katastrophe von Europa. Beim Grundrechtsschutz gibt es keinen Rabatt.
"Nationale Parlamente sind in zwiespältiger Situation"
Heckmann: Aber jetzt ist es ja so: Das Abkommen wird auf den Weg gebracht, in Teilen dann auch umgesetzt, oder soll umgesetzt werden. Danach sollen dann die Parlamente zustimmen oder auch ablehnen. Aber das beinhaltet ja die Möglichkeit der nationalen Parlamente, auch des EU-Parlaments, abzulehnen. Wo ist das Problem?
Bütikofer: Für das Europaparlament gilt erst mal: Wir werden zu entscheiden haben, bevor irgendetwas vorläufig in Kraft tritt. Wenn im Europaparlament eine Mehrheit zustande käme, die sagt, so passt uns das nicht, dann wäre das rum. Was die nationalen Parlamente betrifft, die sind in einer, na ja, sagen wir, zwiespältigen Situation. Einerseits hat man der Europäischen Kommission das Zugeständnis abringen können, dass alle nationalen Parlamente ratifizieren und damit auch Ja oder Nein sagen können. Auf der anderen Seite wird das aber durch das vorläufige Inkrafttreten in wesentlichen Teilen faktisch ausgehebelt, weil man natürlich, solange nicht alle ratifiziert haben, weiterhin vorläufig 90 Prozent ungefähr von dem, was verabredet worden ist, schon praktiziert, so als wäre es ratifiziert. Dass das eine widersprüchliche Situation ist, leuchtet ja jedem ein.
"Das ist meines Erachtens Augenauswischerei"
Heckmann: Kommen wir noch mal zurück auf die Schiedsgerichte. Da erwarten ja jetzt viele eine Welle von Schadensersatzforderungen auf Deutschland zurollen, was das Land handlungsunfähig machen könnte. Jetzt hat der Bielefelder Rechtsprofessor Franz Mayer, der die Bundesregierung in Karlsruhe vertritt, darauf hingewiesen, dass die Schutzstandards, um die es geht, ja ganz klar formuliert seien und die Hürden für eine Verurteilung auch hoch seien, und der Schutz öffentlicher Interessen sei im Vertrag ausdrücklich erwähnt, nämlich Gesundheit, Sicherheit, Umwelt- und Verbraucherschutz. Also viel Popanz um nichts?
Bütikofer: Nein. Das ist meines Erachtens Augenauswischerei. Das muss der Herr Professor für die Bundesregierung wohl so machen, aber mit der Wahrheit hat das relativ wenig zu tun. Man kann schon mal feststellen, dass in den ersten 40 Jahren, als es solche Schiedsgerichte in Handelsverträgen zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern gab, insgesamt nicht so viele Klagen vor solchen Schiedsgerichten zustande kommen sind wie in den letzten Jahren jedes Jahr. Dass da gar nichts passieren würde, dass das alles eine sterile Aufgeregtheit wäre, wird durch die Fakten schon mal widerlegt.
Zum Zweiten stimmt es zwar, dass in dem kanadischen Abkommen drinsteht, dass da Umweltbelange berücksichtigt werden sollen. Und dann kommt ein Komma und dann kommt der bemerkenswerte Nachsatz, dass man natürlich solche Schiedsgerichtsverfahren anleiern kann, wenn man der Meinung ist, das beabsichtigte Umweltschutzziel hätte sich auch mit geringeren Maßnahmen erreichen lassen. Das heißt, der Kläger muss nur behaupten, er hätte auch etwas lockerer handhaben können, was er zum Beispiel an CO2-Standards verhängt, und dann hat er das volle Recht nach diesem Abkommen, zur Klage zu schreiten. Das ist ja meines Erachtens - ich will das unschöne A-Wort nicht benutzen, aber das ist eine Veralberung der Öffentlichkeit.
Heckmann: Herr Bütikofer, die Leitung ist nicht gerade perfekt. Vielleicht können Sie ein bisschen näher ans Handy herangehen.
Bütikofer: Bin ich!
"Gabriel hat mich nicht überzeugt"
Heckmann: Ich will gerne noch mal dabei bleiben. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der ist ja extra nach Kanada gereist, um dort nachzuverhandeln, und hat da Zusatzprotokolle mitgebracht, die garantieren, dass Mindeststandards beim Umweltschutz, beim Verbraucherschutz, beim Arbeitnehmerschutz nicht abgesenkt werden. Und die Kritiker seiner Partei, die hat er ja überzeugt. Sie aber nicht?
Bütikofer: Nein, mich hat er nicht überzeugt, und er hat auch nicht alle Kritiker in seiner Partei überzeugt. Aber das ist ein SPD-Problem, das geht mich nichts an. Tatsache ist: Herr Gabriel hat so oft verschieden starke Zusatzbedingungen formuliert, dass die Öffentlichkeit langsam vollständig den Überblick verliert, was er denn tatsächlich erreicht hat. Es ist durchgesickert, es ist öffentlich geworden, was die Kommission mit den Kanadiern nachverhandeln will oder nachverhandelt oder nachzuverhandeln bereit ist, und daraus ergibt sich, dass Wesentliches von dem, was Herr Gabriel versprochen hat, tatsächlich nicht verabredet ist. Wobei ich gar nicht behaupten will, dass es einfach nur an den Kanadiern läge. Zum Teil ist meines Erachtens das Problem tatsächlich, dass die Europäische Kommission so dogmatisch eingestellt ist auf eine Ignorierung bestimmter, in der öffentlicher Debatte stark gemachter Anliegen, dass sie gar nicht bereit ist, für das zu kämpfen, was Sigmar Gabriel verspricht. Das heißt, zum erheblichen Teil sitzen die Verantwortlichen dafür, dass das Resultat unbefriedigend bleibt, in der Generaldirektion Handel der Europäischen Kommission.
"Standards abzusenken, damit sie nicht abgesenkt werden, wäre ja irre!"
Heckmann: Trotzdem sagt Sigmar Gabriel und nicht ganz zu Unrecht: Wenn wir jetzt nicht CETA machen und Standards definieren, dann machen das andere, nämlich die Asiaten, und dann kommen dabei noch niedrigere Standards heraus. Ist das nicht eine reale Gefahr, die man auch in Rechnung stellen muss?
Bütikofer: Ich finde richtig, dass man sagt, wir wollen global vernünftige, gute, ehrgeizige Standards, die jedenfalls unsere Standards nicht absenken. Aber ich finde falsch, wenn man dieses vernünftige Ziel sozusagen als Geisel nimmt und sagt: Und diejenigen, die jetzt in den Verhandlungen wie eben die Vertreter von privilegierten Investoreninteressen versucht haben, ihr Spezial-Lobbyanliegen uns zu oktroyieren, das muss dann mitgeschluckt werden. Ich finde, das Ziel, geopolitisch zu denken in diesem Zusammenhang, ist richtig. Die Verantwortung haben wir schon. Wir wollen nicht, dass Standards abgesenkt werden. Aber dass wir jetzt sagen, ja wir sind einverstanden, Standards abzusenken, damit sie nicht abgesenkt werden, wäre ja irre!
Heckmann: Wobei Sigmar Gabriel ja sagt, die Standards werden nicht abgesenkt.
Bütikofer: Ja, das sagt er. Aber dann gibt es auch noch die Realität und davon haben wir ja gerade geredet. Sigmar Gabriel hat sicher keinen beneidenswerten Job in dieser Frage. Auf der einen Seite will er unbedingt dieses Abkommen zustande bringen, auf der anderen Seite bemüht er sich, seiner Partei und der kritischen öffentlichen Meinung, die auf die Kritikpunkte und auf die Mängel hinweist, irgendwie auch gerecht zu werden. Und er hat sich am Schluss entschieden, lieber zu beschönigen als bei der strengen Verfechtung der Standards zu bleiben, die er mal der SPD versprochen hat. Das kann ich ihm nicht lösen, aber deswegen muss ich ihn auch nicht freisprechen.
Heckmann: Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über Klagen gegen das Freihandelsabkommen CETA mit Kanada. Im Gespräch hier im Deutschlandfunk war das Reinhard Bütikofer von Bündnis 90/Die Grünen und die schlechte Telefonleitung, die bitten wir zu entschuldigen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.