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Freihandelsabkommen
"Endlich eine Möglichkeit, CETA zu stoppen"

Die grüne Europa-Abgeordnete Ska Keller ist erleichtert, dass die belgische Region Wallonie das Handelsabkommen der EU mit Kanada blockiert. Sie sagte im Deutschlandfunk, in vielen Teilen Europas gebe es Widerstand gegen CETA. Die EU müsse jetzt ihre Handelspolitik ändern.

Ska Keller im Gespräch mit Stephanie Rohde |
    Die Grünen-Politikerin Ska Keller
    Die Grünen-Politikerin Ska Keller (dpa / picture-alliance / Oliver Mehlis)
    Keller sagte, die Bedenken, die jetzt aufgetaucht seien, habe es immer schon gegeben. Die Wallonie habe außerdem schon vor längerer Zeit angekündigt, dass sie dem Abkommen nicht zustimmen könne. Das jetzige Chaos müsse dazu führen, dass endlich die gesamte Handelspolitik verändert werde.
    Keller verwies auf das Scheitern des Abkommens ACTA gegen Produktpiraterie im Jahr 2012. Daraus hätte die EU lernen können. Zwar habe die Kommission gesagt, sie lerne daraus, viel sei aber nicht passiert. Keller hält das CETA-Abkommen für überfrachtet, weil es zu viel reguliere. "Das muss da alles nicht rein, man kann auch mal auf ein klassisches Handelsabkommen zurückkommen", sagte sie im Deutschlandfunk.
    Die Grünen-Abgeordnete forderte, die Parlamente nicht erst bei der Abstimmung zu beteiligen, sondern schon bei der Erteilung des Verhandlungsmandats. Das komme aber von den Staats- und Regierungschefs und sei nicht öffentlich; nicht einmal das EU-Parlament wisse, was darin stehe. Wenn die EU-Kommission sieben Jahre lang verhandle, das Parlament aber nur das Endergebnis zu sehen bekomme, werfe die Kommission den Abgeordneten vor, sie würden die Glaubwürdigkeit in Frage stellen. Allerdings dürfe man in dem Fall hinterher nicht überrascht sein, dass es Probleme gebe. Es sei wichtig, dass man von Anfang an alle Beteiligen im Boot habe.

    Das Interview in voller Länge:
    Stephanie Rohde: Die kanadische Handelsministerin startet einen neuen Versuch, das Handelsabkommen mit der EU noch zu retten, morgen. Jetzt will sie den Präsidenten des Europaparlaments Martin Schulz treffen, zuvor hatte sie die Gespräche mit der belgischen Region Wallonie abgebrochen.
    Und darüber möchte ich jetzt reden mit Ska Keller, sie sitzt für die Grünen im Europaparlament. Guten Morgen!
    Ska Keller: Guten Morgen!
    Rohde: Frau Keller, die Welt schüttelt fassungslos den Kopf und fragt sich, warum die EU sich nur so vorführen lässt von der kleinen Wallonie. Aber Sie freuen sich, oder?
    Keller: Ja klar, wir sind … ich bin sehr froh, dass es endlich doch eine Möglichkeit zu geben scheint, CETA zu stoppen. Und man muss ja auch wirklich sagen, diese Bedenken sind ja nicht gestern auf einmal irgendwie aufgetaucht, sondern sie waren immer im Spiel. Und auch die Wallonie hat schon vor längerer Zeit angekündigt, dass sie die Nichtwahl … also, dass sie Bedenken hat, ob sie überhaupt zustimmen kann. Ich glaube aber, das Chaos, das wir jetzt haben, das muss dazu führen, dass endlich wirklich eine Änderung in die gesamte Handelspolitik kommt. Denn wir haben ja auch nicht zum ersten Mal solch eine Situation. Wir hatten bereits das Handelsabkommen ACTA, da ging es um Produktpiraterie offiziell, aber eigentlich um viel mehr, es ging um Internet, es ging um Zugang zu Medizin. Und bereits das wurde abgelehnt vom Europäischen Parlament. Und die Kommission hat gesagt, sie lernt daraus, aber letztendlich ist da nicht viel passiert. Und ich denke, wir müssen insgesamt überlegen, wie kriegen wir es hin, dass Handelspolitik so gemacht wird, dass von Anfang an alle Beteiligten … dass das öffentlicher stattfindet, dass das Mandat nicht nur von Staats- und Regierungschefs und -chefinnen ausgearbeitet wird, sondern dass auch zum Beispiel das Europäische Parlament beteiligt ist, dass auch Zivilgesellschaft, dass auch nationale und regionale Parlamente befragt werden und vor allem auch, dass wir diese Handelsabkommen abrüsten. Weil, ich glaube, es bringt nichts, dass die Kommission immer versucht, ganz neue Sachen da reinzutun, regulatorische Zusammenarbeit zum Beispiel, auch für die Investorengerichte wäre es jetzt das erste europäische Abkommen gewesen, wo die drin sind. Das muss da alles nicht rein, man kann auch mal auf ein klassisches Handelsabkommen zurückkommen.
    "Kein Mensch weiß, was da drin steht"
    Rohde: Sie sagen jetzt, das sind sozusagen die Lehren, die man ziehen soll, wie man es in Zukunft besser machen soll. Ich will noch mal reden darüber, wo wir gerade stehen. Wir sind ja an einem Punkt, wo die Minderheit die Mehrheit beherrscht, nur um das mal im Verhältnis zu sehen. Da sind weniger als ein Prozent der europäischen Bevölkerung, die die gesamte Politik als Geisel nimmt. Ist das Ihrer Meinung nach noch demokratisch?
    Keller: Na ja, es ist ja nicht nur das wallonische Parlament oder die Mehrheit im wallonischen Parlament, die das so sieht, sondern es gibt unglaublich viele andere Menschen in der Europäischen Union, die das auch so sehen, die aber nicht direkt abstimmen können. Und diese Bedenken haben sich ja auch ganz laut geäußert.
    Rohde: Aber die Regierungen können ja abstimmen in Europa, das heißt, die demokratische Legitimation ist da!
    Keller: Tja, also, die Regierungen in der Tat sitzen da im Boot. Am Anfang jedes Handelsprozesses gibt es das sogenannte Mandat, wo also drin steht, was verhandelt werden soll. Und das in der Tat beschließen die Staats- und Regierungschefs, die sind ja auch gewählt, klar. Nur gehen die damit nicht an die Öffentlichkeit, das Mandat ist nicht öffentlich, kein Mensch weiß, was da drin steht, also noch nicht mal das Europäische Parlament kriegt das Mandat zu sehen, geschweige denn kann darüber mit abstimmen. Und dann sind hinterher alle überrascht, wenn es dann doch noch Probleme gibt. Also, ich glaube, da liegt schon das Problem. Natürlich … Ja, es gibt halt weniger Leute, die sich einfach blind darauf verlassen, dass das, was ihre Staats- und Regierungschefs da irgendwo unterschreiben, dass das schon seine Richtigkeit haben wird. Ich glaube auch nicht, dass das ein gutes Konzept ist.
    Rohde: Aber ich muss sagen, das verstehe ich noch nicht. Sie und Ihre Kollegen, Sie fordern ja immer, dass die EU demokratisch gestärkt wird. Wäre das hier nicht gerade ein Weg gewesen, das in der EU zu entscheiden und damit die demokratische Handlungsfähigkeit eben zu beweisen, statt es über die nationalen Parlamente zu spielen und dann so ein bisschen versacken zu lassen?
    Keller: In der Tat, dadurch dass wir bei der Handelspolitik wirklich viel demokratischer machen würden … Ein wichtiger Punkt, den ich sehe, ist, dass das Europäische Parlament dieses Mandat mit entscheiden muss. Momentan sind wir da ja raus. Weil, dann sind wir von Anfang an dabei, können da auch schon rein und sagen, Moment, damit haben wir ein Problem, aber stattdessen soll das rein. Und das fehlt momentan komplett und das muss sich ganz dringend ändern. Weil, in der Tat sind wir jetzt … Als Europäisches Parlament stehen wir daneben und freuen uns über die Wallonie – nicht alle Kolleginnen und Kollegen natürlich –, aber es wäre doch …
    Rohde: Nur die von der linken Seite, ja.
    Keller: Aber es wäre doch wirklich wichtig, dass das Europäische Parlament von Anfang an beteiligt wird. Weil, in der Tat, jetzt hat die Kommission halt sieben Jahre herumverhandelt, aber alle kriegen nur das Endresultat zu sehen, inklusive des Europäischen Parlamentes! Und dann heißt es dann, ja, wenn ihr jetzt noch aufmuckt, dann stellt ihr hier die Glaubwürdigkeit infrage. Das ist doch ein Kernproblem, aber das lässt sich auch ändern.
    Rohde: Ich würde jetzt gerne noch darüber reden, welche Auswirkungen das hat. Sie haben eben schon von Resultaten gesprochen. Ist dieses basisdemokratische Experiment jetzt, was Sie ja auch befürworten, es wert, dass die EU als Verhandlungspartner nicht mehr ernst zu nehmen ist in der Welt?
    "Was sind das eigentlich für Standards, die man da setzt"
    Keller: Es ist natürlich schwierig, wenn die Kommission erst verhandelt mit der Zustimmung der Regierungschefs und hinterher, dann erst wird darüber diskutiert. Ich glaube, es ist wirklich wichtig, dass man von Anfang an alle Leute im Boot hat. Damit wird nicht immer noch hier jeder glücklich sein damit, aber zumindest konnten dann Probleme gelöst werden, Bedenken aufgenommen werden und so weiter und so fort. Und die Kommission würde vielleicht auch eher mitkriegen, wo sind die Limits. Weil, wie gesagt, diese Handelsabkommen, das sind ja keine Handelsabkommen mehr, das sind Regulierungsabkommen, die wirklich alles mitverhandeln. Und da müssen wir mal abrüsten.
    Rohde: Aber trotzdem ist dann das Problem … Also, sagen wir, die EU macht das nicht mehr auf diese Art und Weise, ist vielleicht jetzt nicht mehr als Verhandlungspartner ernst zu nehmen, dann legen ja andere die Standards fest, die Chinesen beispielsweise. Also, legt sich die EU und Sie sich auch selber nicht hier ein Ei?
    Keller: Also, das sehe ich nicht ganz so. Auch …
    Rohde: Aber ein bisschen?
    Keller: Die Frage ist ja, was sind das eigentlich für Standards, die man da setzt, und wie will man die umsetzen. Ich würde auch stark dafür plädieren, dass wir als Europäische Union auch ein multilaterales Handelssystem setzen. Zum Beispiel wenn wir ein Abkommen machen mit den USA, dann setzen wir da schon Standards. Aber nicht unbedingt gute, und die sind dann trotzdem verbindlich für alle anderen Länder der Welt. Nicht offiziell, aber de facto doch. Weil, wenn ein anderes Land der Welt mit einem von den beiden Ländern und Blöcken Handel treiben will, dann müssen sie sich mehr oder weniger daran halten. Und das ist aber ein Problem, wenn man der großen Mehrheit der Welt einfach irgendwelche Standards aufoktroyiert. Und wie gesagt, da geht es nicht unbedingt um gute Standards, die da drin wären, sondern es geht auch um Liberalisierungsstandards, was wird alles privat, was wird alles privatisiert und was darf der Staat überhaupt noch machen? Also, Standards, da muss man genau aufpassen, über welche Standards reden wir dann genau. Und was ist der beste Weg, wenn wir finden, das sind die richtigen Standards, wie wir die international voranbringen.
    Rohde: Ich würde gern noch reden mit Ihnen über eine Personalie. Ihre Parteikollegin Rebecca Harms will nach sieben Jahren als Kofraktionschefin der Grünen im Europaparlament die Zügel aus der Hand geben. Und Grund dafür sind offenbar Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Fraktion zu wichtigen Themen, zum Beispiel auch Beziehungen zu Russland. Hat Rebecca Harms nicht recht, jetzt hinzuschmeißen, wo die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel wieder keine Linie gefunden haben gegen Russland?
    Keller: Also, ich hatte vom Gipfel doch ein relativ klares Signal gehört, nämlich dass alle ganz klar sich die Option offenhalten, schärfer gegen Russland vorzugehen. Es ist ganz klar, dass es ein abscheuliches Verbrechen ist, was da … was ständig ja noch passiert in Aleppo, gerade der Angriff auf den Hilfskonvoi. Und da kann die Welt nicht tatenlos zusehen. Also, natürlich hat niemand so richtig die Generalmedizin dafür, aber es ist trotzdem wichtig, dass wir als Europa geeint sagen, wir sind da stark, wir sind da geeint.
    Rohde: Und Rebecca Harms schmeißt hin, weil sie denkt, das funktioniert nicht mehr, diese Einheit gibt es nicht?
    Keller: Die Einheit ist natürlich in der gesamten EU bei den Staats- und Regierungschefs auch nicht einfach herzustellen. Die Frage ist ja auch, was ist das beste Mittel? Ich glaube, es ist ja auch keine ganz einfache Frage. Aber ich denke, in der Stoßrichtung sind sich schon alle mehr oder weniger einig.
    Rohde: Sie werden innerhalb der Fraktion jetzt gehandelt als Favoritin für die Nachfolge. Was werden Sie in Bezug auf Russland anders machen als Rebecca Harms?
    Keller: Es freut mich natürlich, wenn Sie sagen, ich wäre hier Favoritin und gehandelt, aber ich äußere mich dazu jetzt nicht in den Medien.
    Rohde: Das steht in den Agenturen, natürlich, gerüchteweise. Also wollen Sie nichts ändern?
    Keller: Genau, Gerüchte. Ich äußere mich dazu zu gegebener Zeit, zu dem.
    Rohde: Das war die Grünen-Europaabgeordnete Ska Keller, vielen Dank für das Gespräch!
    Keller: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.