Sandra Pfister: TTIP jagt vielen Europäern Angst ein. Das Freihandelsabkommen, das in dieser Woche zum achten Mal verhandelt wird, könnte uns nicht nur Chlorhühnchen bescheren, sondern unserer Regierung viele Klagen von US-Konzernen, die sich hier benachteiligt fühlen. Hört sich nach einem reinen Wirtschaftsthema an. Aber dass TTIP auch unsere Bildung verändern könnte, das hatten bislang sehr wenige auf dem Schirm. Die deutschen Bildungsgewerkschaften GEW und VBE haben immer mal wieder darauf hingewiesen, dass auch öffentliche Schulen und Hochschulen bedroht sein könnten. Denn private Bildungsanbieter wie private US-Hochschulen oder US-Privatschulen würden stärker auf den hiesigen Markt drängen und könnten dann sagen, na ja, der deutsche Staat darf die anderen Schulen nicht länger subventionieren, das schränkt den freien Wettbewerb und unsere Gewinnmöglichkeiten ein, also klagen wir dagegen! Es geht vielleicht sogar noch weiter: Auch die Weiterbildung, die Erwachsenenbildung könnte von TTIP umgekrempelt werden. Deshalb hat jetzt die europäische Dachorganisation für Jugend- und Erwachsenenbildung Alarm geschlagen. Wir reden darüber mit Elisabeth Vanderheiden, der Vorsitzenden der Katholischen Erwachsenenbildung Deutschland. Guten Tag, Frau Vanderheiden!
Elisabeth Vanderheiden: Hallo, Frau Pfister!
Pfister: Frau Vanderheiden, warum glauben Sie, dass TTIP der Bildung schaden wird?
Vanderheiden: Ja, wir haben ja jetzt seit dem 07.01. erfreulicherweise erste Dokumente vorliegen und da ist ziemlich deutlich geworden, dass auch der Bereich der Bildung betroffen sein wird, auch die Erwachsenenbildung oder Jugendbildung, die man ja so gemeinhin unter den Stichwort nonformale Bildung zusammenfassen kann. Und da sehen wir, dass dieses System, was wir in Deutschland haben im Bereich der nonformalen Bildung, was ein sehr bewährtes, sehr vielfältiges und außerordentlich qualitätsvolles ist, dass das vermutlich nachhaltig gefährdet sein wird. Also, das ist ein sehr flächendeckendes System, das ist bedarfsorientiert, es wird bezahlbare Bildung angeboten und das von ganz unterschiedlichen Trägern.
"Ist Bildung ein Produkt oder ein Menschenrecht?"
Pfister: Jetzt käme noch ein bisschen US-Konkurrenz dazu. Konkurrenz, könnte man sagen, belebt das Geschäft!
Vanderheiden: Ja, ich glaube, es geht gar nicht so sehr, dass wir keine Konkurrenz aushalten können, es gibt unter den Trägern viel Konkurrenz, Konkurrenz an sich ist erst mal eine Bereicherung. Ich glaube, es geht um die Grundhaltung gegenüber Bildung: Ist Bildung ein Produkt, ist Bildung ein Geschäftsmodell oder ist Bildung, wie wir das in Deutschland verstehen, ein Menschenrecht?
Pfister: Frau Vanderheiden, wenn man jetzt einfach mal einen katholischen Weiterbildungsträger nimmt, vielleicht können Sie an einem Beispiel mal plastisch machen, wie der eigentlich von TTIP beeinträchtigt werden könnte?
Vanderheiden: Ja. Also, vielleicht muss man da verschiedene Dinge noch mal in den Blick nehmen, das Beispiel der Produktschulung für eine bestimmte Software oder Soft- und Hardware, die vermutlich kommen werden, da wird es im Moment so aussehen, dass ein Weiterbildungsträger, ob es die Katholische Erwachsenenbildung oder an der Volkshochschule ist, sei jetzt mal dahingestellt, die würde Angebote machen, dass Menschen sich über bestimmte Software-Angebote informieren, über bestimmte Hardware-Angebote, am Ende als kritische Konsumenten entscheiden: Will ich das Produkt oder will ich das nicht? Was gibt es an datenschutzrechtlichen Fragestellungen zu berücksichtigen und so weiter und so fort. Das ist was anderes, als wenn ich Anbieter habe, die sagen, ich schule jetzt für eine bestimmte Software und die Leute sollen das einfach kaufen, damit bei mir der Rubel rollt. Ein anderes Beispiel, was das vielleicht noch mal von einer anderen Seite beleuchtet, ist: Wir machen im Moment sehr, sehr viele Angebote im Bereich von Grundbildung, also Alphabetisierung etwa. Dass wir diese Angebote machen können, liegt daran, dass wir staatliche Unterstützung bekommen. Das könnten wir ohne diese Unterstützung nicht mehr machen und niemand anderes wird diese Angebote machen, weil man damit kein Geld verdienen kann.
Pfister: Würde es Ihnen denn helfen, wie das ja beim GATS-Abkommen ist, dass festgeschrieben würde, dass ausländische Unternehmen nicht das Recht hätten, die gleichen staatlichen Subventionen zu bekommen wie europäische Inlandsorganisationen?
Vanderheiden: Also, ich glaube, es wäre sehr wichtig, dass man diese nonformale Bildung aufnimmt in die Liste der sensiblen und zu schützenden Bereiche der Daseinsvorsorge. Das hat es ja auch in GATS als erste Idee gegeben und gibt es auch im sehr allgemeinen Ansatz bei TTIP, und das müsste entsprechend ausgeweitet werden. Das würde, glaube ich, tatsächlich helfen.
"Es drohen Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren"
Pfister: Jetzt müssen Sie mir noch mal erklären, es spricht ja eigentlich nichts dagegen, dass die Einrichtungen, die Sie genannt haben, die kommunalen Träger selbst, die katholischen, konfessionellen Träger, dass die weiterarbeiten; wenn weitere Anbieter auf den Markt kommen und Sie weiterhin günstige Preise anbieten, können Sie die ja preislich auch ausspielen.
Vanderheiden: Also, das ist ja die Frage, ob die Angebote weiter existieren werden. Das könnte dazu führen, dass es bestimmte demokratisch zustande gekommenen Gesetze wie Weiterbildungsgesetze etwa oder Erwachsenenbildungsförderungsgesetz einfach gar nicht mehr zur Anwendung kommen dürften, weil es die ständige Gefahr gibt von Investitionsschutz, von Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren und so weiter und so fort.
Pfister: Also, es könnte ein US-Weiterbildungsanbieter kommen und könnte gegen Sie beziehungsweise gegen den deutschen Staat klagen und könnte sagen: Die dürfen keine Subventionen mehr bekommen, sonst haben wir keine faire Chance hier auf dem deutschen Markt?
Vanderheiden: Dazu müsste man mal sagen, dass das, was es an Unterstützung für Bildungsinstitutionen in Deutschland gibt, keine Subventionen sind, sondern das sind im Grunde durch Gesetze legitimierte staatliche finanzielle Unterstützungsleistungen. Der Punkt scheint mir auch eher zu sein, was sich strukturell verändern wird und wie nachhaltig das sein wird. Es ist eben was anderes, ob ich ein Produkt anbiete, für das die Schule zum Beispiel...das ist ja die Frage, wenn Software-Konzerne kommen auf den europäischen Markt und entsprechende Produktschulungen machen, die bislang auch, sage ich jetzt mal, von anderen Anbietern eingebracht wurden, mit einer anderen Bildungsintention auch, nämlich nicht zum Beispiel Menschen einfach zu Konsumenten für bestimmte Produkte zu machen, sondern zu kritischen Konsumenten, das ist was ganz anderes vom Ansatz her.
"Prozess von Transparenz und Beteiligung fortsetzen"
Pfister: Aber kann der Staat, könnte die Europäische Union nicht einfach Standards festschreiten, die da nicht unterschritten werden dürfen, um dieser Kommerzialisierung dann vorzubeugen?
Vanderheiden: Ich glaube, das würde nur gehen, wenn wir sagen, wir nehmen den Bereich der Bildung und damit wären dann nicht nur Schulen, Grundschulen, Hochschulen gemeint, sondern auch nonformale Bildung, also Erwachsenenbildung, Jugendbildung, Familienbildung, politische Bildung, wenn wir die explizit aufnehmen. Nur dann, glaube ich, wird es möglich sein, diese Standards zu halten.
Pfister: Nach allem, was man jetzt hört, könnte öffentliche Bildung ja tatsächlich aus dem TTIP-Abkommen ausgeklammert werden. Für wie wahrscheinlich halten Sie das, dass auch Ihr Bereich der nonformalen Bildung ausgeklammert wird?
Vanderheiden: Das wird davon abhängen, wie konsequent dieser jetzt begonnene Prozess von Transparenz und Beteiligung fortgesetzt wird.
Pfister: Das war Elisabeth Vanderheiden, die Vorsitzende der Katholischen Erwachsenenbildung in Deutschland. Wir haben mit ihr gesprochen über die Folgen von TTIP für die Bildung allgemein und insbesondere für den Bereich der Weiterbildung in Deutschland. Danke Ihnen!
Vanderheiden: Danke, Frau Pfister, schönen Tag!
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