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Freihandelsabkommen
Lambsdorff begrüßt Verschiebung

Der FDP-Europapolitiker Lambsdorff hält die Verschiebung des geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine für ein "vernünftigen Vorgehen". Das Freihandelsabkommen sei für Russland der schwierigste Teil des Assoziierungsabkommens der EU mit der Ukraine, sagte der Vize-Präsident des Europaparlaments im DLF. Durch die Verschiebung könne mit Russland und der Ukraine ein Kompromissweg ausgelotet werden.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Der Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff von der FDP.
    Der Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff von der FDP. (picture alliance / dpa / Roland Weihrauch)
    Das umstrittene Freihandelsabkommen zwischen der Ukraine und der Europäischen Union wird vorerst nicht umgesetzt: EU-Handelskommissar De Gucht sagte nach Gesprächen mit Vertretern Russlands und der Ukraine in Brüssel, man habe sich darauf geeinigt, die Anwendung des Abkommens bis Ende 2015 zu verschieben. Der EU-Ministerrat müsse diesem Kompromiss aber noch zustimmen. Hintergrund sind Bedenken, die Russland geltend gemacht hat.
    Im Deutschlandfunk bezeichnete der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff dieses Vorgehen als vernünftig. Es gehe darum, einen Kompromissweg auszuloten, über den sowohl Russen als auch Ukrainer gehen könnten und über den sichergestellt sei, dass sie auch in den nächsten Monaten noch im Gespräch blieben. Das sei eine "komplizierte Operation", die nicht ohne Weiteres verständlich sei, sagte Lambsdorff. "Ich halte sie dennoch für richtig". Er kritisierte allerdings auch, Russland habe sich mit seiner Kritik an dem Abkommen erst sehr spät gemeldet.
    Der Freihandelspakt ist wichtiger Bestandteil des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine. Dieses soll nach Angaben De Guchts in der kommenden Woche von Kiew und dem Europaparlament in Straßburg ratifiziert werden.

    Das Interview in voller Länge
    Jürgen Zurheide: Die Europäische Union - so steht es zumindest auf dem Papier - zeigt auf der einen Seite Stärke Russland gegenüber, es gibt weitere Sanktionen, auf der anderen Seite allerdings auch Kompromissbereitschaft, man hat im Zusammenhang mit dem Assoziierungsabkommen jetzt das Freihandelskapitel so gestrickt, dass es erst später in Kraft treten soll. Das ist also die Mischung aus Stärke und Kompromissbereitschaft.
    Und über all das wollen wir jetzt reden mit Alexander Graf Lambsdorff, für die FDP im Europaparlament, zunächst einmal schönen guten Morgen, Graf Lambsdorff!
    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Jetzt fangen wir mal an, was ist das für ein Signal: Das Assoziierungsabkommen ja, diese Woche, Freihandel aber erst später. Ist das ein richtiges Signal oder ist das ein Kotau vor Moskau?
    Kritik von Russland kam sehr spät
    Lambsdorff: Ich glaube, was man in der letzten Woche gesehen hat, ist, dass sich ja einige Regierungen sehr schwer getan haben damit, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, deswegen sind sie ja auch verspätet erst in Kraft getreten. Gleichzeitig ist das Freihandelsabkommen im Assoziierungsabkommen der für Moskau schwierigste Teil. Ich halte es deswegen für eigentlich ein vernünftiges Vorgehen von Karel De Gucht hier, mit beiden Konfliktparteien, also den Russen und den Ukrainern einen Kompromissweg hier auszuloten, auf dem dann alle gehen können und über den sichergestellt ist, dass man auch über die nächsten Monate im Gespräch bleibt. Das ist eine komplizierte Operation, die auch ohne Weiteres nicht so leicht verständlich ist, aber ich halte sie dennoch für richtig.
    Zurheide: Jetzt könnte man natürlich fragen: Viele sehen das so wie Sie inzwischen, warum hat man das in Brüssel nicht eigentlich viel eher begriffen? Und wenn man das viel eher getan hätte, hätte man vielleicht ein Ganzteil der Zuspitzung nicht gehabt, die wir jetzt haben auch auf kriegerischer Ebene! Oder ist das zu weit hergeholt?
    Lambsdorff: Na ja, es ist ja so, dass die Russen sich mit ihrer Kritik an dem Abkommen sehr, sehr spät gemeldet haben. Es ist ja eine Mähr erstens, dass man die Ukraine vor die Wahl gestellt hätte, Russland oder die EU, das stimmt nicht. Und das Zweite ist: Moskau hat behauptet, es wüsste gar nichts von den Verhandlungen, die zwischen Brüssel und Kiew geführt wurden. Auch das ist nachweislich falsch. Ich glaube, dass jetzt, leider, angesichts der schrecklichen Entwicklungen im Osten der Ukraine leider viel zu spät auch die Russen hingegangen sind und gesagt haben, wir führen einen Dialog, wir sagen genau, was unsere Schwierigkeiten sind, und dann können wir mit den Ukrainern und den Europäern einen gemeinsamen Weg finden auf diesem Feld. Das war eben vorher nicht so, die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens, die ja Janukowitsch wollte, die hat in Russland zu einer brachialen Reaktion geführt beim letzten Mal, und das war einfach eine Situation, die wir heute nicht mehr haben. Wir haben heute im Osten der Ukraine eine dramatisch eskalierte Situation, aber ich bin froh, dass es hier wieder Gespräche gegeben hat zwischen den drei Seiten.
    Ukraine kann Brückenfunktion übernehmen
    Zurheide: Auf der anderen Seite kann man natürlich grundsätzlich fragen: Wo ist die Rolle der Ukraine? Ist nicht – und das sehen viele so – eigentlich die Rolle der Ukraine, der Mittler zwischen Ost und West zu sein? Das heißt, eine vollständige Integration – und geschweige denn NATO – kann eigentlich nie zur Debatte stehen. Wie sehen Sie das?
    Lambsdorff: Die Ukraine ist zu schwach, um ein Mittler zwischen der Europäischen Union und Russland zu sein. Wenn man sich die Realitäten anschaut, dann muss man feststellen, dass die Ukraine in den letzten 20, 25 Jahren, im Grunde seit ihrer Unabhängigkeit, aus dem großen Potenzial, das dieses Land ja hat, nicht wirklich viel gemacht hat. Die Wirtschaft ist nicht sehr hoch entwickelt, obwohl die Menschen gut ausgebildet sind, das politische System ist von systemischer Korruption gekennzeichnet, das Land hat insgesamt es eben nicht geschafft - anders als zum Beispiel Polen, das ja vergleichbare Startvoraussetzungen hatte -, etwas aus sich zu machen. Und Russland lässt sich auch von der Ukraine ganz sicher nicht irgendwie vertreten oder über die Ukraine nach Westen hinweg seine Kontakte vermitteln. Insofern, da muss man realistisch sein. Was die Zukunft angeht, da bin ich bei Ihnen, ich glaube in der Tat, dass das Land zwischen Russland und der Europäischen Union, wenn beide Seiten das anerkennen - und das ist das Problem bei Russland -, wenn es von beiden Seiten anerkannt wird, eine Brückenfunktion haben kann, ja. Aber sicher keine Vermittlerrolle.
    Innenpolitisch eher schwach
    Zurheide: Jetzt haben Sie gerade in der Tat eines der Kernprobleme angesprochen, die Ukraine selbst ist innenpolitisch und von der inneren Verfasstheit eher schwach, Sie haben auch das Stichwort Korruption angesprochen. Darüber reden wir nach meiner Beobachtung im Moment viel zu wenig, welch weiten Weg dieses Land eigentlich noch vor sich hat!
    Lambsdorff: Ja, wir dürfen ja eines nicht vergessen: Die Ukraine wollte ja 2008 ganz klar Richtung NATO marschieren, auch mithilfe der Amerikaner. Und damals hat Deutschland gesagt, Nein, wir dehnen die NATO nicht bis auf die Krim aus, sondern die Ukraine sollte sich für einen Weg entscheiden, der in der Tat zwischen Russland und dem Westen liegt. Die Amerikaner waren damals sehr verstimmt über diese deutsche Haltung, ich halte die aber nach wie vor für richtig. Und auf der anderen Seite sehen wir, dass das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union, das die Ukraine abgeschlossen hat, eine Hilfe sein sollte auf dem Weg, das Land wirtschaftlich weiterzubringen. Das ist eben in den vergangenen 20 Jahren vor diesem Abkommen nicht gelungen, die Oligarchenherrschaft war so ausgeprägt, dass beispielsweise das Parlament auch im Grunde nichts anderes war als ein Spielball wirtschaftlicher Interessen, ein Spielball der Oligarchen. All das muss die Ukraine überwinden, das kann sie. Wenn man nach Kiew fährt, mit den Menschen dort spricht, das sind Europäerinnen und Europäer, das ist überhaupt kein Problem. Das Bildungsniveau ist hoch, die Ressourcen sind groß, die Landwirtschaft ist im Prinzip leistungsfähig, also, es gibt keinen Grund, warum das Land es nicht schaffen sollte.
    Poroschenko hat Korruption nicht nötig
    Zurheide: Ist der Oligarch Poroschenko dann der Richtige, genau diesen Weg, diese innere Modernisierung hinzukriegen?
    Lambsdorff: Herr Zurheide, das ist eine ein bisschen paradoxe Situation, aber die Antwort lautet: Ja. Denn Poroschenko ist nicht in die Politik gegangen, um reich zu werden, sondern…
    Zurheide: Er war es schon, ja!
    Lambsdorff: Genau! Ja, ich meine, das ist im ukrainischen politischen System so, dass die meisten in dieses System reingegangen sind, um dort über Korruption - das gilt übrigens auch für Frau Timoschenko…
    Zurheide: Eben.
    Lambsdorff: …, es gilt auch für Herrn Krawtschuk davor -, über dieses politische System, über die Kontrolle, über die Transittransporte von Gas und Öl reich zu werden. Das ist bei Poroschenko nicht nötig, deswegen haben ihm die Leute das Vertrauen geschenkt. Im Übrigen ganz ähnlich wie beim Bürgermeister von Kiew, Herrn Klitschko, der natürlich auch durch das Boxen vorher sehr wohlhabend geworden ist. Die Menschen haben dann einfach das Vertrauen, dass der eben, was Korruption angeht, weniger anfällig sein würde.
    Zurheide: Dann wollen wir hoffen, dass es möglicherweise auch so ist. Ich bedanke mich bei Ihnen, Alexander Graf Lambsdorff, für diese Einschätzungen zur Ukraine, zur aktuellen Lage. Danke schön für das Gespräch!
    Lambsdorff: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.