Die Proteste richteten sich gegen massive Eingriffe in die Demokratie und die kommunale Selbstverwaltung. "Was hat das mit Freihandel zu tun, wenn lokale Wasserversorger beschränkt werden?", fragte Hofreiter. Im Grunde gehe es bei TTIP und Ceta gar nicht um Freihandelsverträge, sondern um Deregulierungsverträge. Niedrige Zölle gebe es jetzt schon, Freihandel sei schon weitgehend geschaffen: "Uns stört, was im Vertrag noch alles drinsteht."
Trotz der Unterschiede zwischen TTIP und CETA lehnt Hofreiter auch bei Ceta die geplanten Schiedsgerichte ab. Auch beim Abkommen mit Kanada würden Streitfälle außerhalb der öffentlichen Gerichtsbarkeit ausgetragen.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Christiane Kaess: Vor der Sendung habe ich darüber mit Anton Hofreiter gesprochen. Er ist Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion. Bundeswirtschaftsminister Gabriel, der hat 2015 schon gesagt, Deutschlands exportstarke Unternehmen sind auf Freihandel angewiesen, einige der Kritikpunkte der Gegner seien berechtigt, andere beruhten auf Horrorszenarien und Mythen, so Gabriel damals. Gegen welche Mythen er heute demonstriert, weil er bei den Demonstrationen dabei sein wird, das habe ich Anton Hofreiter gefragt.
Anton Hofreiter: Wir demonstrieren dagegen, dass private Schiedsgerichte unsere öffentliche Verwaltungsgerichtsbarkeit aushebeln. Wir demonstrieren dagegen, dass plötzlich in einem völkerrechtlichen Vertrag festgelegt wird, wie die Kommunen ihre Wasserversorgung zu gestalten haben beziehungsweise da eingegriffen werden kann. Und wir demonstrieren dagegen, dass das Vorsorgeprinzip im Verbraucherschutz- und im Umweltrechtsbereich ausgehöhlt wird. Und dagegen, dass Industrielobbyisten noch mehr Einfluss auf die Gesetzgebung bekommen. All das hat mit Freihandel nichts zu tun, denn das Ganze ist kein Freihandelsvertrag, das ist einfach schlichtweg eine Täuschung.
Kaess: Sie sagen: kein Freihandelsvertrag. Was soll es denn dann sein?
Hofreiter: Es ist ein Deregulierungsvertrag. Es soll mir mal einer erklären, was denn mit Freihandel zu tun hat, wenn in einem völkerrechtlichen Vertrag festgelegt wird, dass eine Sperrklinkenklausel drin ist, wenn eine Kommune ihre Wasserversorgung rekommunalisieren will. Hat das was mit Freihandel zu tun, wenn kommunale Wasserversorgungen eingeschränkt werden, die ja doch sehr lokal sind?
Kaess: Also, Sie glauben auch nicht daran, Herr Hofreiter, dass bei CETA und TTIP das eintreten würde, was Freihandelsabkommen ja bisher gebracht haben, nämlich Jobs und Wachstum?
Hofreiter: Na ja, man darf ja eins nicht vergessen: Der Hauptpunkt für Freihandelsabkommen in der Vergangenheit war, entsprechend die Zölle zu senken und die Handelshemmnisse zu beseitigen.
Kaess: Das passiert ja hier, würde ja auch passieren bei CETA und TTIP.
Hofreiter: Wir haben bereits sehr niedrige Zölle
Hofreiter: Nein, das ist ja schon weitgehend passiert zwischen USA und Kanada und Europa, nämlich wir haben ja schon von wenigen Ausnahmen abgesehen sehr, sehr niedrige Zölle. Und es würde sich auch niemand auf die Straße gehen, was das Lieblingsbeispiel der Autoindustrie ist, wenn die mich immer fragen: Herr Hofreiter, was stört Sie denn daran, dass die Blinkerfarben zwischen USA und Europa einheitlich werden? – Ja, daran stört uns überhaupt nichts. Uns stört daran, was in dem Vertrag noch alles drin steht, denn wie gesagt: Freihandel ist schon weitgehend geschaffen zwischen USA und Europa, was man auch daran erkennt, dass wir einen gigantischen Handel haben zwischen diesen beiden großen Wirtschaftsblöcken. Es geht hier um was ganz anderes, es geht hier um massive Eingriffe in Demokratie und kommunale Selbstbestimmung.
Kaess: Herr Hofreiter, Sie möchten an der momentanen Situation gar nichts verändern, wenn ich Sie richtig verstehe?
Hofreiter: Ja, man könnte schon etwas verändern. Man könnte sich natürlich auch auf vernünftige gemeinsame Standards einigen, man könnte sich zum Beispiel auf hohe gemeinsame Umweltstandards einigen.
Kaess: Aber darum geht es ja bei den Verhandlungen.
Hofreiter: Nein, darum geht es nicht bei den Verhandlungen. Bei den Verhandlungen geht es darum, die jeweils niedrigsten Standards des jeweiligen Landes zu verwenden und das Ganze auch noch abzusichern durch private Schiedsgerichte, die am Ende dann dafür sorgen, dass über Begriffe wie indirekte Enteignung die Rechte des Parlaments eingeschränkt werden. Stellen Sie sich vor, das Parlament beschließt, dass es ein Problem hat mit Fracking. Und Sie wollen jetzt fracken. Dann wird Ihnen natürlich durch das Frackingverbot Ihr zukünftiger Gewinn weggenommen, das ist indirekte Enteignung und Sie können klagen. Das ist überhaupt kein theoretisches Beispiel, sondern es gibt so einen ähnlichen Vertrag schon zwischen USA, Kanada und Mexiko. Und gegen Kanada beziehungsweise die Provinz Quebec wird genau nach dieser Maßgabe geklagt.
Kaess: Aber genau bei diesem Punkt, Herr Hofreiter, müssen wir unterscheiden zwischen CETA und TTIP, denn bei CETA ist es so, dass die Verhandlungen vorangeschritten sind, viel weiter als bei TTIP. Und bei CETA wird es keine privaten Schiedsgerichte mehr geben, es gibt jetzt öffentlich – also, das ist der Verhandlungsstand –, öffentlich-rechtliche Schiedsgerichte mit unabhängigen Richtern. Was ist dagegen zu sagen?
Hofreiter: Es sind weiterhin private Schiedsgerichte
Hofreiter: Es gibt keine öffentlich-rechtlichen Schiedsgerichte, sondern es sind weiterhin private Rechtsanwälte, das ist weiterhin außerhalb der öffentlichen Gerichtsbarkeit. Der einzige Vorschritt ist gegenüber dem jetzigen, es gibt eine Liste von Rechtsanwälten, die da als Richter tätig sind. Und es gibt entsprechend eine zweite Instanz, aber mit öffentlich-rechtlicher Gerichtsbarkeit hat das nichts zu tun. Und außerdem weiß ich auch gar nicht, will man denn immer ausdrücken, dass unsere Verwaltungsgerichte so korrupt oder unfähig sind, dass man nicht entsprechend bei unseren öffentlichen Verwaltungsgerichten klagen soll? Ich finde, wir haben eine ganz hervorragende Verwaltungsgerichtsbarkeit, deswegen sagt ja auch der Vorsitzende im Bund der Richter, dass das eben mit rechtsstaatlichen Standards nichts ausreichend zu tun hat. Und ich glaube, der Vorsitzende des Richterbundes weiß das ziemlich genau, ob das jetzt öffentliche oder private Gerichtsbarkeit ist.
Kaess: Aber müssen Sie denn nicht tatsächlich ein bisschen genauer differenzieren zwischen CETA und TTIP, also mit Verhandlungen zwischen der EU und den USA, und auf der anderen Seite der EU und Kanada? Denn in Kanada ist ja tatsächlich eine andere Situation gegeben, dort gibt es so etwas wie einen sozialen Dialog, dort gibt es Gewerkschaften, die gut organisiert sind, und in CETA sind Arbeitnehmerrechte verankert.
Hofreiter: Ja, wir differenzieren auch, es sind zwei unterschiedliche Verträge und beide Verträge sind nicht identisch. Der TTIP-Vertrag ist ja auch noch nicht fertig. Und wie problematisch auch der CETA-Vertrag ist, können Sie auch daran erkennen, dass die gut organisierten kanadischen Gewerkschaften diesen Vertrag ablehnen genauso wie hier bei uns. Weil nämlich, es gibt eine starke Zivilgesellschaft in Kanada. Und mit der sind wir im intensiven Dialog und die halten diesen Vertrag für genauso fehlerhaft wie sie andere Verträge gehalten haben, die man in der Vergangenheit abgeschlossen hat. Und deswegen geht es darum, wirklich dafür zu sorgen, dass wir entsprechend gute Verträge abschließen würden, Verträge, wo es um hohe gemeinsame Umweltstandards geht und wo nicht die Zivilgesellschaft aus Europa und die Zivilgesellschaft aus Kanada den Vertrag ablehnt. Weil nämlich, wir haben ihn jetzt, wir haben ihn geprüft durch Professoren, durch Verwaltungsrichter, und der Vorsitzende des Richterbunds prüft den Vertrag und sie stellen fest: Der Vertrag nutzt uns nichts, sondern der Vertrag schadet uns.
Kaess: Wenn es am Ende dazu kommen sollte, dass weder CETA noch TTIP zustande kommen, also das, was Sie im Moment wollen, müssen Sie sich dann den Vorwurf gefallen lassen, dass Sie dazu beigetragen haben, dass es dazu kommen wird, dass Asien den beiden großen Wirtschaftsblöcken USA und EU den Rang ablaufen wird?
Hofreiter: Nein, diesen Vorwurf müssen wir uns nicht gefallen lassen. Denn er geht davon aus, dass die Verträge hilfreich sind für die Wirtschaftsblöcke, und wir sehen die Verträge eben nicht als hilfreich an, sondern als hochproblematisch. Da sind wir uns nebenbei auch mit dem Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz einig, der ein intensives Buch darüber geschrieben hat. Ein sehr, sehr ausführliches, wie problematisch diese Handelsverträge sind und dass sie am Ende sogar der Innovationskraft in der Wirtschaft schaden.
Kaess: Die Meinung von Anton Hofreiter, Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion im Bundestag. Danke für das Gespräch heute Mittag!
Hofreiter: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.