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Freihandelsabkommen mit Kanada
"Wenn man 14 Tage mehr braucht, ist das so"

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) ist optimistisch, dass Belgiens Zentralregierung und die Wallonie sich noch über CETA einig werden - wenn auch nicht mehr in dieser Woche. Im DLF plädierte er für mehr Zeit. Schließlich handle es sich bei dem Freihandelsabkommen mit Kanada nicht um den Kauf eines Gebrauchtwagens.

Martin Schulz im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    EU-Parlamentspräsident Martin Schulz während einer Debatte in Straßburg am 5.10.2016. Im Hintergrund eine blaue Wand mit gelben Sternen.
    Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD) (AFP/FREDERICK FLORIN)
    Vielmehr gehe es darum, mit einem großen Handelsabkommen erstmals Regeln in die Globalisierung zu bringen, sagte Schulz im DLF. "Wir drehen ein großes Rad." Wenn man dafür zwei Wochen mehr Zeit brauche, sei das eben so.
    Er kritisierte, dass auf dem Weg zum Freihandelsabkommen die Strategie geändert worden sei. Die Staats- und Regierungschefs hätten zu Beginn definiert, dass CETA eine europäische Angelegenheit sei. Dann sei das Abkommen umdefiniert worden, sodass die Parlamente der 28 Mitgliedstaaten miteinbezogen wurden.
    Das habe den Sachverhalt komplizierter gemacht. Es sei zwar generell kein Fehler, wenn man möglichst viele Parlamente mit einbeziehe, man könne dies aber nicht bei jeder Entscheidung machen, so der Präsident des Europaparlaments.
    Schulz antwortete auf die Frage, ob er sich vorstellen könnte, Kanzlerkandidat der SPD zu werden, dass die Partei einen Fahrplan habe, dass zum Jahresbeginn der Parteivorsitzende Gabriel einen Vorschlag unterbreiten werde.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Eigentlich war alles vorbereitet für den EU-Kanada-Gipfel, der am Donnerstag stattfinden soll. Der Freihandelsvertrag CETA lag bereits zur Unterschrift der Staats- und Regierungschefs bereit. Doch ein kleines europäisches Volk, die Wallonen machten einen Strich durch die Rechnung mit ihrer Blockade. Nach einer gesetzten Frist, die als Ultimatum verstanden wurde, teilte der belgische Regierungschef Michel, der eigentlich ein Befürworter von CETA ist, mit: Wir können dem Vertrag heute nicht zustimmen. - Am Telefon begrüße ich dazu jetzt Martin Schulz von der SPD, Präsident des Europaparlaments. Schönen guten Morgen, Herr Schulz.
    Martin Schulz: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Herr Schulz, noch ist der EU-Kanada-Gipfel ja nicht abgesagt. Der kanadische Regierungschef Trudeau, der plant weiter, nach Europa zu reisen. Kann er sich den Flug eigentlich sparen?
    Schulz: Ich glaube nicht, dass wir diese Woche noch eine Lösung haben werden. Das scheint mir sehr, sehr schwierig zu sein. Mal sehen, was heute in Belgien läuft. Das ist ja zunächst auch eine Frage zwischen der Regierung in Brüssel, also der föderalen Regierung Belgiens und der wallonischen Regierung. Da werden wir mal sehen, ob die sich heute einigen. Da bin ich skeptisch. Aber dass sie sich einigen werden, das glaube ich schon.
    "Wenn man 14 Tage mehr Zeit braucht, verschiebt man halt so einen Gipfel"
    Heckmann: Das heißt, man könnte den Gipfel eigentlich auch abblasen?
    Schulz: Man muss ihn verschieben. Ich höre die ganze Zeit seit Tagen immer, scheitern, abblasen, was weiß ich was. Wir drehen ein ganz großes Rad. Ein solches transatlantisches Handelsabkommen ist ja nicht irgendein kleiner Vertrag über den Kauf eines Gebrauchtwagens, sondern das ist eine, von weltweiter Bedeutung geprägte erstmalige richtig große Handelsvereinbarung, die eine Regel in die Globalisierung bringen soll. Und wenn man dazu 14 Tage mehr Zeit braucht, dann verschiebt man halt so einen Gipfel.
    Heckmann: Bernd Lange von der SPD, Ihr Parteifreund, der ist Vorsitzender des Handelsausschusses im Europaparlament. Und er hat gestern gesagt, CETA ist de facto gescheitert und er sei nicht überzeugt davon, dass ein späterer Unterzeichnungstermin am Widerstand der belgischen Regionen noch etwas ändern werde. Weshalb sind Sie anderer Ansicht?
    Schulz: Ich habe gestern lange mit Bernd Lange darüber telefoniert. Das ist ein enger Freund von mir. Und ich habe das mit ihm erörtert, habe ihm gesagt, Bernd, ich bin da nicht Deiner Meinung, glaube nicht, dass das gescheitert ist. Ich habe einfach festgestellt, dass da ein Mann mal mit der Faust auf den Tisch gehauen hat. Er hat da jetzt sieben Jahre seiner Arbeitskraft darin investiert und sieht, dass auf den letzten 100 Metern da über Kleinigkeiten noch diskutiert wird. Dass da einem dann der Kragen platzt, ich glaube, das kann man auch verstehen. Bernd Lange hofft genauso wie ich, dass wir das Ding noch unter Dach und Fach bekommen.
    "Entweder wir wollen mehr Demokratie, dann brauchen wir ein bisschen mehr Zeit"
    Heckmann: Aber erst hat man ja die Belgier unter Druck gesetzt, ein Ultimatum gestellt, und statt dass Wallonien einlenkt, gab es noch weitere Regionen, die mit einem Nein dazukamen. Hat sich da die europäische Elite verspekuliert, auch in der Taktik?
    Schulz: Ich weiß nicht, wen Sie als europäische Elite betrachten. Die Staats- und Regierungschefs, die zum Beispiel ein Mandat vor Jahren definiert haben, dass das eine ausschließlich europäische Angelegenheit sei, und dann irgendwann auf der Strecke gesagt haben, nee, wir wollen es doch teilen, ein Teil soll nur EU-Angelegenheit, ein anderer Teil soll auch Angelegenheit der 28 Mitgliedsstaaten werden, die haben sicher ein bisschen zur Verkomplizierung des Sachverhaltes selbst beigetragen.
    Heckmann: War das ein Fehler, Herr Schulz, die nationalen Ebenen mit einzubeziehen?
    Schulz: Auf der anderen Seite sind die nationalen Ebenen mit einbezogen worden. Das war eine Forderung, die viele Menschen erhoben haben, gerade auch nach dem Brexit, jetzt müssen die nationalen Parlamente mehr einbezogen werden, weil darüber die Bürger mehr einbezogen werden, …
    Heckmann: Auch Sigmar Gabriel hatte sich ja dafür sehr stark gemacht, Ihr Parteifreund.
    Schulz: Jetzt beziehen wir die Bürger über die Parlamente mehr ein, zum Beispiel die der Wallonie, jetzt regen sich alle darüber auf. Ja was denn jetzt? Entweder wir wollen mehr Demokratie, dann brauchen wir ein bisschen mehr Zeit, dann muss man mehr Überzeugungsarbeit leisten, oder aber man sagt, es ist ausschließlich Europa, dann ist die Demokratie durch die Abstimmung im Europaparlament gewährleistet. Das ist eine Frage, über die wir sicher in der Zukunft noch mal vom Grundsatz her reden müssen.
    "Kein Fehler, wenn man möglichst viele Parlamente mit einbezieht"
    Heckmann: Trotzdem noch mal zurück zu meiner Frage. War es ein Fehler, die Belgier auf diese Art und Weise so unter Druck zu setzen?
    Schulz: Ich glaube, es kann kein Fehler sein, wenn man möglichst viele Parlamente mit einbezieht. Das ist vom Grundsatz richtig. Aber man kann es nicht immer und bei jedem Fall machen. Transatlantische, internationale Handelsverträge der EU müssen von den EU-Organen gemacht werden. Wenn sie gemischte Abkommen sind, das heißt EU-Zuständigkeit und nationale Zuständigkeit, dann haben sie die Situation, wie wir sie jetzt haben. Das ist eine Frage der Definition zu Beginn des Prozesses. Gefährlich ist, wenn man auf der Strecke die Strategie ändert.
    Heckmann: Herr Schulz, jetzt haben Sie gerade gesagt, das ist erst mal eine innerbelgische Angelegenheit. Aber dennoch muss da ja auch von europäischer Seite was kommen. Was können Sie den Belgiern denn anbieten, damit die am Ende doch noch zustimmen?
    Schulz: Nein, das ist nicht ganz richtig, Herr Heckmann. Es ist am vergangenen Wochenende noch mal klar geworden, dass die Verhandlungen eigentlich abgeschlossen sind. Zwischen Kanada und der EU gibt es auch keine Konflikte mehr. Konflikte gibt es innerhalb Belgiens über die Frage der Definition der Handelsschiedsgerichte. Da gibt es in Deutschland bereits eine Entscheidung drüber. Sie erinnern sich, da haben wir gerade in meiner Partei heftig über die Schiedsgerichte diskutiert und eine Formulierung gefunden. Die Wallonen wollen eigentlich diese Formulierung und die müsste die belgische Zentralregierung anerkennen. Die Wallonie will übrigens ein Verfahren, wie es das Bundesverfassungsgericht für Deutschland bereits in seinem vorläufigen Urteil verlangt hat. Das wollen die Wallonen auch. Das muss die belgische Zentralregierung dann akzeptieren. Ich glaube, wenn diese beiden Punkte akzeptiert werden, dann kriegen wir ein belgisches Ja, und deshalb nein, das kann jetzt nicht die EU-Kommission oder das Europaparlament machen, das muss schon Herr Michel und Herr Magnette untereinander ausmachen.
    Übrigens wenn ich Ihnen eine Sache noch sagen darf: Da ist nicht noch eine Region dazugekommen. Die Region Brüssel hat schon vor Monaten genau wie die Wallonie gesagt, wir haben die gleichen Bedenken, hat nur nie einer über Brüssel geredet.
    "Ich will CETA unter Dach und Fach bringen"
    Heckmann: Okay. Das macht die Sache natürlich nicht einfacher.
    Schulz: Aber darüber haben die sich natürlich gestern aufgeregt und dadurch entstand der Eindruck, jetzt käme noch einer dazu.
    Heckmann: Herr Schulz, letzte Frage zum Abschluss. Sie werden als heißer Kanzlerkandidat gehandelt. Dass Sie nichts dazu sagen derzeit, dürfen wir das als Zeichen dafür sehen, dass Sie sich die Sache zutrauen würden?
    Schulz: Die SPD hat einen Fahrplan festgelegt, auch einen Zeitplan. Da haben wir ja vorige Woche lange in Berlin drüber geredet, dass zum Jahresbeginn der Parteivorsitzende der SPD das tut, was ihm Kraft Amt zusteht, nämlich einen Vorschlag zu unterbreiten, und daran halte ich mich genau wie alle führenden Mitglieder der SPD.
    Heckmann: Aber reizen würde Sie es?
    Schulz: Reizen tut mich vor allen Dingen eines: Ich will CETA unter Dach und Fach bringen, und zwar so, dass die Bürger damit zufrieden sein können.
    Heckmann: Gut, ist auch eine Antwort. - Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments, schönen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.