Ein Dutzend Aktivisten von Attac Frankfurt mischt sich zwischen Zeil und Hauptwache unter die Passanten, drückt ihnen orangefarbene Postkarten mit einem wohlgerundeten Hinterteil in die Hand. Aufschrift: "Freihandelsabkommen TTIP: Die Arschkarte will ich nicht haben."
Ein Aktivist erläutert einem Passanten: "Eine Arschkarte, die hast du bekommen, weil das Freihandelsabkommen hierher kommt, die darfst du aber wieder zurückgeben. Und hier kannst du ankreuzen, warum du sie wieder zurückgeben möchtest und an einen der Spitzenkandidaten der wichtigsten Parteien schicken."
Demonstranten beklagen mangelnde Transparenz
Selten fallen Überzeugungsgespräche so einfach aus. Die beiden kennen sich, und der Mann im Anorak ist ohnehin TTIP-Skeptiker - obwohl - so ganz durchblicke er das nicht. Kein Zufall, meint Dorothea Korn, die sich anschaut, was Frankfurter Künstler vorn auf die Lastwagen-Bühne bringen: "Keiner wird informiert, das ist das Schlimme daran. Die mangelnde Transparenz ist genau das, was am meisten verängstigt."
Auch die Frankfurter Schauspielerin Bettina Kaminski ist zu der Kundgebung gekommen. "So ein Handelsabkommen, wo wir sozusagen als Land, als Kultur, als Menschen, verfrühstückt werden, und das am liebsten geheim – da muss man alles dafür tun, damit das publik gemacht wird", sagt sie, bevor sie die Bühne besteigt. Mehr Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum, von dem auch die Kultur profitiert? Daran glaubt sie nicht. Eher fürchtet sie Kommerzkultur, die sich keiner mehr leisten kann.
Der Bundeswirtschaftsminister von der SPD griff die Kritik an der mangelnden Information durch die Chefunterhändler von EU und USA in Berlin auf. Sigmar Gabriel warnte sie davor, das Abkommen durch "Geheimniskrämerei" zu gefährden. Allerdings versicherte er gemeinsam mit den Unterhändlern, dass TTIP Umwelt- und Verbraucherschutzstandards nicht senken werde.
Die Frankfurter Greenpeace-Frau Edeltraud Tobe bezweifelt das. Was die resolute grauhaarige Umweltschützerin vor allem aufbringt, ist der sogenannte Investorenschutz. Sie fürchtet, dass internationale Schiedsrichter, die aus Rechtsanwälten bestehen, über deutschen Gerichten stehen. Im Endeffekt würden gar keine Gesetze mehr gemacht, weil die Politiker Angst vor Klagen hätten, glaubt sie. Am Ende falle auch die Buchpreisbindung, weil sie US-Medienkonzerne benachteiligen könnte, argwöhnt Edeltraud Tobe. "Ich möchte auch kein Chlorhähnchen haben und keine anderen genmanipulierten Lebensmittel essen."
Sozialdemokratische Basis sieht Freihandelsabkommen skeptisch
Die Sozialdemokratin Gisela Weber wirft die orangefarbene A-Karte zuerst in die Papp-Wahlurne mit dem Konterfei von Martin Schulz. Der Spitzenkandidat ihrer Partei will Präsident der EU-Kommission werden. Die sozialdemokratische Basis steht TTIP skeptisch gegenüber, mag Vizekanzler Gabriel noch so sehr betonen, dass das Abkommen die Globalisierung in ein Regel-Korsett zwingt. Sollte sein Genosse Schulz den angestrebten Posten an der Spitze der Kommission ergattern, so will der die Verhandlungen zur Chefsache machen, Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherschützer mit Hilfe eines Beirats beteiligen.
"Gabriel, aber auch Martin Schulz als europäischer Spitzenkandidat, stehen voll hinter diesem Abkommen. Sie werden versuchen, das durchzuboxen. Dass man jetzt im Wahlkampf ein paar kritische Töne hört, das kann sein. Aber an der Substanz der Positionierung der Sozialdemokratie für dieses EU-USA-Wirtschaftsabkommen wird sich da erstmal nicht viel ändern", meint Alexis Passadakis von Attac. Das Bündnis gegen das Abkommen will sich an den Verhandlungen gar nicht beteiligen lassen, denn seine Forderung heißt:
"Stoppt das TTIP, stoppt das TTIP!"
Die Demonstranten an der Hauptwache hüpfen dazu. Das ist erst die Aufwärmübung. "Die kommenden Monate sind entscheidend: Entweder nehmen die Verhandlungen dann Fahrt auf", sagt Passadakis, "oder wir schaffen es, sie zu blockieren."