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Freihandelsabkommen
"Wir verteidigen hier europäische Interessen"

Durch ein Freihandelsabkommen mit den USA würde Europa stark profitieren, erklärte EU-Handelskommissar Karel De Gucht im DLF. Natürlich müsse man auch Zugeständnisse bei den Verhandlungen machen. "Zugleich aber werden wir sicherstellen, dass die Besonderheiten Europas bewahrt werden."

Karel De Gucht im Gespräch mit Jule Reimer |
    Jule Reimer: Geheimnistuerei, Konzernagenda, keine ordentliche Einbeziehung von Verbraucher- und Umweltschutzorganisationen - nur einige der Vorwürfe, mit denen Kritiker die Verhandlungsführung der EU-Kommission beim geplanten Freihandelsabkommen mit den USA überziehen. Ganz groß in der Kritik eine geplante Vereinbarung, die es Unternehmen möglich macht, vor einem internationalen Schiedsgericht gegen Gesetze einer beteiligten Regierung zu klagen, deren Auswirkungen möglicherweise die erwarteten Gewinne schmälern könnten. Doch dieser Teil der Verhandlungen soll jetzt erst einmal drei Monate ausgesetzt werden, teilte EU-Handelskommissar Karel De Gucht am Dienstag mit. Ich fragte ihn vor dieser Sendung, was der durchschnittliche Deutsche sich denn an Vorteilen von dem geplanten Freihandelsabkommen mit den USA erhoffen kann.
    Karel De Gucht: Der Handel zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten ist wirklich die große Autobahn des Handels. Zwei Milliarden Euro werden hier Tag für Tag umgesetzt. Dennoch bestehen bestimmte Hemmnisse im Bereich des Zolls, aber vor allem im Bereich der Regulierungen der Normen und Standards. Diese wollen wir beseitigen. Wir wollen auch besseren Zugang zu den Aufträgen der öffentlichen Hand haben. Dieser Beschaffungsmarkt ist in Europa sehr offen, nicht aber in den USA.
    Darüber hinaus wollen wir mit mehr Freizügigkeit finanzielle Dienstleistungen erbringen. Und der Grund, weshalb wir das alles anstellen, ist, dass alle Studien besagen, dass dadurch Wachstum und Arbeitsplätze geschaffen werden. Zugleich aber werden wir sicherstellen, dass die Besonderheiten Europas bewahrt werden. Zum Beispiel wird es nicht erlaubt sein, Hormon-Rindfleisch in die EU zu importieren. Wir werden auch nicht dem amerikanischen Ansatz bei den genetisch veränderten Organismen folgen. Wir werden insbesondere auch den Schutz der Privatsphäre und die Datenschutzrechte in den Verhandlungen gewährleisten.
    Reimer: Ein Aspekt dieses Abkommens, was sehr viel Kritik oder Skepsis hervorgerufen hat, ist das Investor-Staat-Klageverfahren. Sie haben die Verhandlungen über dieses Verfahren jetzt für drei Monate ausgesetzt, Sie wollen weitere Konsultationen. Warum verhandeln Sie überhaupt über so ein Investorenschutz-Abkommen mit den USA?
    De Gucht: Wir erfinden ja keineswegs dieses Schlichtungsverfahren zwischen Staaten und Investoren. Das gibt es ja bereits in allen bilateralen Investitions-Schutzabkommen, die einzelne EU-Staaten, darunter auch Deutschland, abgeschlossen haben. Wegen des Lissabon-Vertrages ist die Zuständigkeit dafür nun auf die Europäische Union übergegangen. Wir wollen das System verbessern, sodass zum Beispiel, wie man ja einwenden könnte, keine Beeinträchtigung des politischen Handlungsraumes mehr erfolgen kann. Das wollen wir tatsächlich abstellen. Wir werden sichergehen, dass solche Beeinträchtigungen in Zukunft nicht mehr möglich sind.
    Zwei Gründe für Investorenschutz
    Reimer: Aber wenn sich die Rechtssysteme gegenseitig anerkannt haben, warum braucht man dann noch ein zusätzliches Schiedsgericht, was einzig allein ausländischen Unternehmen einen ganz besonderen Rechtsweg eröffnet, wie im Fall zum Beispiel, dass Vattenfall dagegen klagt, dass es Atomkraftwerke in Deutschland abstellen musste? Vattenfall war da nicht als ausländisches Unternehmen diskriminiert worden, sondern die Beschlüsse der Bundesregierung betrafen alle Betreiber von Atomkraftwerken.
    De Gucht: Ja! Aber die Causa Vattenfall betraf ja nicht die USA und Europa, sondern Schweden und Deutschland, zwei Mitgliedsländer der EU, die ja ein Abkommen abgeschlossen hatten. Schauen wir einmal, was aus diesem Prozess herauskommt. Es könnte durchaus sein, dass die Abkommen zwischen den beiden Ländern eben nicht hieb- und stichfest waren.
    Lassen Sie mich aber zwei Gründe für unser Handeln angeben. Erstens: Unsere europäischen Unternehmen brauchen ein solches Abkommen. Mehr als die Hälfte, 52 Prozent der Schlichtungsverfahren sind in den letzten 24 Monaten von europäischen, auch von deutschen Unternehmen angestrengt worden. Unsere Unternehmen brauchen also ein solches Abkommen. Zweitens: Zurzeit gibt es vor amerikanischen Gerichten keine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit, wenn ein Vertrag auf internationalem Recht beruht. Grundlage von solchen Klagen wird also dann der jetzt gerade entstehende Vertrag zwischen USA und Europa sein. Nur ein solches Schlichtungsverfahren bietet eine Handhabe, um Ansprüche durchzusetzen.
    Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Fall Repsol, dieses Ölunternehmen Spaniens, das gegen Argentinien eine Klage einreichte, und sie hätten keinerlei Handhabe gehabt, wenn es zwischen Spanien und Argentinien nicht ein solches Investitions-Schutzabkommen gegeben hätte. Ich gebe durchaus zu, das System muss mit den Fehlern und Mängeln der Vergangenheit aufräumen. Daran arbeiten wir ja auch. Das System insgesamt aber ganz abzuschaffen, das wäre ein riesiger Fehler.
    Reimer: Sie haben gesagt, dass Sie keinesfalls irgendwelche Standards im Bereich der Lebensmittel aufgeben möchten. Verhandlungen zeichnen sich aber dadurch aus, dass jeder von beiden Seiten etwas geben muss. Warum haben Sie dann überhaupt den Lebensmittelbereich, den Agrarbereich mit in die Verhandlungen reingenommen?
    De Gucht: Wir verändern doch keineswegs die grundlegende Gesetzeslage zur Lebensmittelsicherheit in Europa, umso weniger, als wir auch derartiges nicht vom Parlament verlangen werden. Nein: Wir setzen an bei der bestehenden Gesetzeslage. Innerhalb dieses Rahmens versuchen wir, praktikable Lösungen zu erarbeiten. Die meisten nichttarifären Hindernisse für den Handel haben überhaupt nichts mit der Lebensmittelsicherheit zu tun. Wir werden also die bestehende Gesetzeslage in Europa nicht antasten.
    Wahrung europäischer Interessen
    Reimer: Warum müssen Sie es dann überhaupt mit verhandeln?
    De Gucht: Nun, da gibt es eine Reihe von Beispielen, zum Beispiel nichttarifäre Handelshemmnisse für verarbeitete Lebensmittel in den USA. Dort bestehen noch eine ganze Reihe von Schranken. Wir Europäer haben ein Interesse daran, ein günstiges, verkaufsförderndes Umfeld zu schaffen, zum Beispiel für unsere Süßwaren, Schokolade, Bonbons und so weiter. Wir wollen auch unsere geografischen Herkunftsbezeichnungen schützen, weil sie für unsere Landwirtschaft und unsere Ernährungswirtschaft so wesentlich sind. Es geht insgesamt um die Wahrung unserer Interessen. Bei solchen Verhandlungen über ein Wirtschaftsabkommen geht es letztlich um Interessen und wir verteidigen hier europäische Interessen.
    Reimer: Die USA haben strengere Finanzmarktregeln. Wie wird die Europäische Union da verhandeln?
    De Gucht: Die Amerikaner zeigen sich widerstrebend, die Finanzdienstleistungen in die Verhandlungen aufzunehmen. Sie wenden ein, wir hätten ja bereits G8, wir hätten G20 und die Bankenaufsicht unter Basel. Das ist sicherlich nicht der Fall, denn wenn man sich anschaut, wie diese Bestimmungen praktisch umgesetzt werden, dann haben wir Unterschiede. Da wo Unterschiede bestehen, da wird für unsere Unternehmen der Marktzugang in den USA erschwert und wir wollen eben diesen Zugang schaffen. Der Zugang für unsere Unternehmen wird aber nur möglich sein, wenn wir die regulatorischen Rahmenbedingungen einander angleichen. Wir bestehen darauf und wir werden auch das weiterhin in den Verhandlungen vertreten, dass eine solche Anpassung der regulatorischen Umfelder und der Marktzugang miteinander unauflöslich verbunden sind.
    Reimer: Für wen ist das Abkommen wichtiger, für die Europäische Union oder für die USA?
    De Gucht: Alle Analysen, die mir vorliegen, besagen, dass der Vorteil für die EU größer sein wird als für die USA. Wir gehen von der Einsicht aus, dass solche Handelsabkommen zwischen der EU und den USA ein ausgeglichenes Verhandlungsergebnis bestrebt sind zu erreichen. Man versucht, ein Geben und Nehmen herzustellen. Jeder macht Zugeständnisse, erhält aber dafür von der anderen Seite auch einen angemessenen Gegenwert. Die Vorteile sind also gleichmäßig verteilt. Warum sollten wir irgendwelche Nachteile erleiden, wenn Handelshemmnisse abgeschafft werden, und die Amerikaner würden sich ja auch nicht auf solche Verhandlungen einlassen, wenn sie nicht auch für sich Vorteile erwarteten. Ein solches ausgeglichenes Ergebnis macht also alle glücklich. Aber was noch wichtiger ist, ist, sich ehrgeizige, nach vorne weisende Ziele zu setzen. Darum geht es in diesen Verhandlungen. Wir wollen mehr, wir wollen etwas erreichen.
    Reimer: Der EU-Handelskommissar Karel De Gucht verteidigt das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Das Gespräch haben wir vor dieser Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.